Mal tief Luft holen und – im übertragenen Sinn – abtauchen: Eine Langzeit-Studie über Meeres-Artenvielfalt, die in der aktuellen Ausgabe des Magazins “Science” erscheinen wird, hat ergeben, dass die gegenwärtige Artenvielfalt unserer Ozeane nicht etwa über die Jahrmillionen gewachsen ist, wie man lange glaubte, sondern sich bereits vor etwa 450 Millionen Jahren entwickelt hat; und der aktuelle Riff-Zustandsbericht der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) warnt, dass mehr als die Hälfte der atlantischen und karibischen Riffe unter US-Jurisdiktion in mäßigem bis mangelhaftem Zustand sind.

Dass beide Berichte am gleichen Tag bekannt gegeben werden, ist sicher nur Zufall. Und sie haben auch sonst sicher auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam, außer dass beide sowohl zu positiven als auch negativen Schlüssen führen. Die Artenvielfalt-Studie, die unter Mitwirkung von Professor Dr. Thomas D. Olszewski an der Texas A&M University erstellt wurde, scheint zu belegen, dass die marine Biodiversität selbst durch so dramatische Ereignisse wie Asteroideneinschläge und Klimawandel (den die Erde in den vergangenen 450 Millionen Jahren ja mehrfach erlebt hat) nicht nachhaltig beeinträchtigt wurde; der Riff-Zustandsbericht zeigt, dass vor allem in den pazifischen Meeresregionen, weitab von küstennahen Bevölkerungsschwerpunkten, die meisten (69 Prozent) der Korallenriffe in gutem oder ausgezeichnetem Zustand sind.

Aber Riffe sind fragile Ökosysteme, und als solche ein markanter Indikator dafür, welchem Stress unsere Umwelt derzeit ausgesetzt ist. “Während der Bericht anzeigt, dass die Riffe im Pazifik generell gesünder sind als im Atlantik, sind selbst weit abgelegene Riffe den Bedrohungen durch Klimawandel ebenso wie durch illegalen Fischfang und Meeresverschmutzung ausgesetzt”, erklärt Tim Keeney, Unterstaatssekretär im US-Handelsministerium (dem die NOAA zugeordnet ist). Die Erwärmung der Meere beispielsweise ist eine der Ursachen für die Korallenbleiche, die Steinkorallenbänke selbst noch in Samoa befallen hat (wenn auch dort noch bisher ohne langfristige Schäden). Eine Steigerung des CO2-Gehalts im Meerwasser – wie bereits hier berichtet – kann dazu führen, dass ein zunehmend versauertes Milieu entsteht, in dem die Steinkorallen nicht mehr in der Lage sind, ihre Kalkskelette aufzubauen.

Das wiederum kann sogar direkte Folgen für menschliches Leben haben, wie in der Folge des katastrophalen Tsunami von Weihnachten 2004 festgestellt wurde: Küstenregionen, die durch Riffe geschützt waren, wurden deutlich weniger von der Megawelle verwüstet als Regionen ohne oder mit zerfallenen Riffen.

Und was hat dies nun mit der Artenvielfalt zu tun? Die Langzeit-Studie macht keine Prognosen, sondern hat lediglich anhand von etwa 3,5 Millionen Fossilien die bisher bevorzugte Theorie überprüft, nach der sich die Biodiversität der Meere über die Erdzeitalter hinweg in einer Wachstumskurze gesteigert hat, die sich vor allem in der Kreidezeit (etwa 145 Millionen bis 65 Millionen Jahre zurück) stark beschleunigt haben sollte. Doch dem war offenbar nicht so: “Diversitäts-Niveaus, die der Gegenwart vergleichbar sind, wurden offenbar schon wenige Jahrzehnmillionen nach dem Erscheinen der ersten modernen Tiergruppen erreicht”, erklärt Olszewski – also schon kurz (zumindest in geologischen Zeiträumen) nach der so genannten kambrischen Explosion (vor ca. 542 Millionen Jahren), in der praktisch die Baupläne aller heute lebenden Tierarten erfunden wurden.

Aber menschliches Handeln kann vollbringen, was selbst Asteroiden-Bombardements aus dem All nicht konnten, wie die Riffstudie zeigt: Wir können Artenvielfalt in kürzester Zeit dramatisch reduzieren.

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