Vor ein paar Tagen hatte ich ja schon angekündigt, dass ich mir heute mal anhören werde, was Professor Lorenzo Cohen vom M.D. Anderson Cancer Center zum Thema “Integration östlicher und komplementärer Medizin in die konventionelle medizinische Krebsbehandlung” zu sagen hat. Und ohne große Umschweife verrate ich hier gleich, dass ich das meiste, was mir dazu hinterher einfiel, doch lieber für mich behalten will – Skeptisches ebenso wie Zustimmendes.
Denn an der Frage, ob sich eine wissenschaftliche Einrichtung – und eine solche ist das M.D. Anderson Center, als Teil der University of Texas in Houston – überhaupt mit traditionellen chinesischen und indischen Heilmethoden, aber auch mit Akupunktur – auf die ich weiter unten jedoch trotzdem noch einmal eingehen will – Homöopathie, Qigong, Reiki und all solchen Praktiken aus dem Esoterik-Sortiment befassen darf oder soll, erhitzen sich vor allem auf ScienceBlogs nur all zu schnell die Gemüter. Und wenn man auf Cohens Web-Profil runterrollt, stößt man auf Projekte wie “Effects of Tibetan yoga on fatigue and sleep in cancer” oder “Biobehavioral effects of Qigong during treatment for rectal in cancer”, und er selbst beschreibt sein Spezialgebiet als “Mind-Body Medicine” – und das klingt wirklich schon sehr nach Hokuspokus.
Aber egal, ob sie solche Methoden medizinisch begründbar sind oder nicht – vier von fünf Patienten, die zum MD Anderson Cancer Institute (und vermutlich auch zu jeder anderen Krebsklinik) kommen, nutzen sowieso schon irgend welche Formen dieser “alternativen” Methoden. Rein pragmatisch bleibt den Leuten dort also gar nichts anderes übrig, als sich damit auseinander zu setzen. Und zwar auch wissenschaftlich – und sei es auch nur, um die Risiken besser zu erkennen.
Aber es ist natürlich mehr als das: Kliniken wie das MD Anderson Center, aber auch Sloan Kettering in New York oder das Dana-Farber-Institut in Boston setzten sich ja nicht nur wissenschaftlich mit solchen Alternativ-Methoden (die zumindest laut Cohen von ihnen nicht gerne als “alternativ” bezeichnet werden, weil dies den Eindruck erwecke, als ob sie Alternativen – im Sinn von entweder-oder – zur Medizin seien), sondern bieten sie ihren Patienten als Leistungen an. Wird da nicht eine Grenze überschritten? Darf man als medizinische Einrichtung etwas verkaufen (umsonst gibt es hier ja nichts), was medizinisch nicht wirksam ist? Zum Beispiel Akupunktur, die tatsächlich zum routinemäßigen Sortiment des Anderson-Centers gehört?
Wirksame Akupunktur?
Laut Cohen – der übrigens selbst kein Mediziner, sondern Verhaltensforscher ist, was ihm natürlich viel mehr Spielraum in der Auswahl seiner Forschungsfelder gibt – ist Akupunktur keineswegs in allen Fällen als unwirksam nachgewiesen. Er verwies mich auf die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe des National Institutes of Health, die 1998 zu dem Schluss kam:
Acupuncture as a therapeutic intervention is widely practiced in the United States. Although there have been many studies of its potential usefulness, many of these studies provide equivocal results because of design, sample size, and other factors. The issue is further complicated by inherent difficulties in the use of appropriate controls, such as placebos and sham acupuncture groups. However, promising results have emerged, for example, showing efficacy of acupuncture in adult postoperative and chemotherapy nausea and vomiting and in postoperative dental pain. There are other situations, such as addiction, stroke rehabilitation, headache, menstrual cramps, tennis elbow, fibromyalgia, myofascial pain, osteoarthritis, low back pain, carpal tunnel syndrome, and asthma, in which acupuncture may be useful as an adjunct treatment or an acceptable alternative or be included in a comprehensive management program. Further research is likely to uncover additional areas where acupuncture interventions will be useful.
Laut Cohen seien die Effekte dieser wissenschaftlich getesten Akupunktur sogar auf Magnetresonanztomographien nachweisbar …
Ich weiß, dass die Aufforderung, ‘über den Tellerrand zu schauen”, ein typisches polemisches Eso-Argument ist, mit dem eigentlich das Beharren auf allgemein akzeptierten wissenschaftlichen Grundsätzen als Borniertheit abqualifiziert werden soll. Aber das heißt ja nicht, dass man nie weiter als bis zum Tellerrand blicken darf – wenn es darüber hinaus etwas zu sehen gibt. Und manchmal lohnen die traditionellen und Natur-Heilmethoden halt doch einen zweiten Blick. Wie etwa das Krötengift, das in der traditionellen chinesischen Heilkunde verwendet wird und das, als pharmakologisch weiter entwickeltes Präparat namens “Huachansu”, in chinesischen Kliniken (und unter Partizipation des MD Anderson Center) Erfolg versprechend gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs, aber auch Lungen- und Leberkrebs gestestet wird.
“Wer heilt, hat Recht” ist ebenso ein beliebtes Eso-Argument, das vor allem von Homöpathieanhängern schnell ins Feld geführt wird. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Vor allem in der Krebstherapie – wo es halt nur all zu oft nicht um ein Prinzip, sondern um Leben und Tod geht – sollte grundsätzlich alles recht sein, was heilt.
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