Geht’s noch? Das kann ich doch nicht ernst meinen, oder? Und doch: Ich könnte mir vorstellen, dass es der Überzeugungskraft der Evolutionstheorie nur helfen würde, wenn man in allen Schulen die biblische Schöpfungsgeschichte unterrichtet – und zwar genau so, wie sie da steht. Diese Idee scheint nur im ersten Moment abwegig, aber sie kam mir, als ich noch einmal einen Blick auf die Tabelle in dem Artikel aus Natural History
warf, der mich zum Beitrag über den Unterschied zwischen Glauben und Vertrauen inspiriert hatte. Erst mal die (per Scanner “geklaute”) Tabelle:
Und nun die Beobachtung: Am unteren Ende der Tabelle steht die Türkei, auf dem vorletzten Platz die USA – klar doch, das sind schließlich die Länder mit den schlimmsten religiösen Fanatikern, nicht wahr? Vielleicht. Aber es sind auch die Länder, in denen die Trennung von Religion und Schule am strengsten gehandhabt wird. Ob das ein Zufall ist? Und warum tauchen so viele ehemalige Ostblockstaaten – sicher auch über viele Jahre hinweg eher religionsfreie Schul-Zonen – im unteren Teil der Tabelle auf?
Statt einer Antwort will ich hier eine ganz persönliche Anekdote erzählen: Im Alter von acht Jahren musste ich – wie damals im katholischen Bayern üblich – eine spezielle Nachmittagsklasse zur Vorbereitung auf die Erstkommunion besuchen, in der die Bibel dann noch etwas intensiver als im normalen Religionsunterricht durchgepaukt wurde. Und dabei kam dann natürlich auch Kains Mord an seinem Bruder Abel zur Sprache, der in der Genesis (1. Buch Mose, 4. Kapitel) – der Schöpfungsgeschichte also – geschildert wird. Zur Sühne wird Kain aus seiner Heimat vertrieben, und dann folgt dieser Dialog mit dem Herrn:
14 Du hast mich heute vom Ackerland verjagt und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen; rastlos und ruhelos werde ich auf der Erde sein und wer mich findet, wird mich erschlagen.
15 Der Herr aber sprach zu ihm: Darum soll jeder, der Kain erschlägt, siebenfacher Rache verfallen. Darauf machte der Herr dem Kain ein Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn finde.
Und diese Passage begriff ich nicht: Vor wem soll der Kain sich denn fürchten, und welcher Fremde könnte ihn erschlagen, wenn es doch gar keine Menschen mehr außer ihm und seine Eltern gab? Wo sollten denn all die noch gar nicht erschaffenen Fremden herkommen? Ich erinnere mich, dass dem Pfarrer, der uns unterrichtete, erst mal nichts einfiel – und dann meinte er, dass man die Bibel halt nicht so wörtlich nehmen dürfe. Das seien doch alles nur Gleichnisse. Bingo!
Mag ja sein, dass ich hier ein bisschen naiv bin. Aber vielleicht ist es gerade der Umstand, dass in den USA oder auch der Türkei die Schöpfungsgeschichte eben nicht in den Schulen gelehrt wird, der sie vor kritischen Hinterfragen schützt.
Und kritische Fragen, vor allem mit der von theologischer und exegetischer Finesse (denn ich bin mir sicher, dass die Bibelforscher eine clevere Erklärung für die logischen Widersprüche der Genesis haben) unbeleckten kindlichen Geradlinigkeit des Denkens, würden die biblische Story ganz schön in Erklärungsnot bringen. Warum etwa hat Gott, wenn er doch alles weiß und Macht über alles hat, einen verbotenen Baum ins Paradies gestellt? Wo er doch wissen muss, dass Adam und Eva davon naschen werden? Ist das nicht gemein? Hätte er sie doch gar nicht erst ins Paradies lassen sollen, wenn er sowieso schon vorhatte, sie schändlich rauszuschmeißen. Oder warum hat er den Mord an Abel nicht nur nicht mit seiner Allmacht verhindert, sondern durch die Ablehnung von Kains Opfergaben überhaupt erst provoziert? Oder wie es den ersten und zweiten Tag der Schöpfung geben konnte, wenn der Tag an sich doch erst am dritten “Tag” geschaffen wurde (Genesis 1,14: “Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tagen und Jahren dienen”)?
Ja, vielleicht wäre es also gar nicht so verkehrt, wenn man solche Fragen in den Lehrplan schreibt und den Schülern damit die Möglichkeit gibt, alle Seiten des Gelehrten – das von den Kreationisten so lautstark geforderte “Für und Wider” – zu betrachten. Denn dann wird sehr schnell klar, wer im Wettbewerb der Ideen zwischen Religion einerseits und Wissenschaft andererseits die besseren Argumente hat.
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