Der Medienrummel um die neuen Empfehlungen der U.S Preventive Services Task Force zu Mammografien liegt ja schon ein paar Wochen zurück, fiel zudem in meine Blog-Zwangspause und ist somit vielleicht schon ein alter Hut. Dass die bisherigen US-Standards – viele Versicherungen erstatten hier Routine-Mammografien bereits für Frauen ab 35, ab 40 galt eine jährliche Untersuchung als der Regelfall – weit über das hinaus gehen, was meines WIssens in Europa üblich ist, dürfte sowieso zur Folge gehabt haben, dass östlich des Atlantik die Aufregung nicht wirklich nachvollziehbar war. Trotzdem hatte ich, nach Lektüre eines eigentlich ganz umfassenden Artikels im aktuellen Wall Street Journal (ich weiß, das gibt’s nur für Abonnenten, aber für ebensolche oer auch findige Klicker hier der Link, noch mal das Bedürfnis, ein paar Gedanken zur Vorsorgeuntersuchung generell aufzuschreiben.
In einem früheren Blog-Beitrag hatte ich mich dazu ja schon mal geäußert, damals ging es um Prostatakrebs-Vorsorge, die – wie zwei Langzeitstudien (Links im Original-Beitrag) – offenbar die Zahl der Krebstoten nicht signifikant zu reduzieren scheint. Auch bei den neuen Brustkrebs-Empfehlungen geht es im Kern darum, dass die Experten der Task Force zu dem Schluss kamen, dass der bisherige Aufwand der Routine-Screenings in keiner vertretbaren Relation zum Erfolg im Sinn von geretteten Leben kam.
Der WSJ-Beitrag dröselt das Zahlenmaterial, oder besser gesagt: die statistischen Unzulänglichkeiten der verwendeten Materialien, sehr gründlich auf. Dass zum Beispiel die Angabe, dass von 1900 Frauen unter 50, die regelmäßig Mammogramme machen lassen, nur eine weniger an Brustkrebs stirb als von 1900 Frauen, die nicht zur Vorsorge gehen, auf einer so dünnen Datenbasis beruht, dass das 95-Prozent-Vertrauensintervall (ich hoffe, ich habe jetzt den richtigen Begriff aus meinem vor mehr als 30 Jahren abgelegten Stochastik-Grundkurs ins Gedächtnis gerufen – wenn nicht, bitte ich die Fachleute um Milde) zwischen 900 und 6000 Frauen läge. Außerdem wurden in der Analyse schon alle Frauen zu Mammografie-Empfängerinnen gezählt, die eine Einladung zum Screening bekommen hatten – unabhängig davon, ob sie tatsächlich dann zur Untersuchung gingen oder nicht.
Aber letzlich ist auch das nur Zahlenklauberei, und die Frage, ob nun eine von 100, eine von 1000 oder eine von 1.000.000 Million Frauen gerettet wird, ist aus der Sicht dieser einen Geretteten garantiert irrelevant. Entscheidend ist dabei doch, ob sich zwei Risiken – Tod durch Brustkrebs einerseits, eine unnötige Biopsie als Resultat einer falschen Positiv-Diagnose andererseits – gegenseitig aufrechnen lassen. Also ob die 8,3 Menschenleben, die bei 1000 Frauen zwischen 40 und 49 Jahren über das Jahrzehnt hinweg gerettet würden (das WSJ zitiert als Quelle für diese Zahlen die Annals of Internal Medicine, und ich vermute, das bezieht sich auf diesen Beitrag) die 158 unnötigen Biopsien wert waren, die Frauen in dieser Zeit über sich ergehen ließen.
Darf man so rechnen – 19 falsche Biopsien wiegen ein Menschenleben auf? Den Gedanken kann man auch ausdehnen: Hunderte Millionen Nadelstiche bei einer Durchimpfung der US-Bevölkerung gegen die H1N1-Grippe addieren sich bestimmt auch auf eine enorme Menge Schmerz – sind x-tausend Impfpiekse das eine Menschenleben wert, das durch sie gerettet werden könnten?
Ich will hier die Ängste und Sorgen all jener, die Angst vor Impfungen oder Vorsorgeuntersuchungen aller Art haben, nicht herunter spielen. Und ehe ich mir eine Impfung geben lasse oder zur was-auch-immer-Vorsorge gehe, will ich sowieso erst mal wissen, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Vorbeugemaßnahme und dem erhofften Resultat gibt (der sich beispielsweise für Homöo … nö, das Wort schreibe ich jetzt ganz Google-unfreundlich nicht aus, weiß ja eh jeder, was hier gemeint ist) … nie nachweisen ließe. Und ich will die Risiken kennen, selbst wenn’s nur ein Schnupfen oder zwei Tage Fieber sind. Aber die Entscheidung, was für mich schwerer wiegt, ist eine persönliche, keine statistische.
Und das ist das Dilemma bei solchen Empfehlungen generell: Sie beziehen sich auf Aggregate, auf Gesellschaften, betreffen aber konkrete Entscheidungen von Individuen. Und die Risiken einer Gesellschaft sind eben nicht die gleichen wie die eines Individuums: Eine Gesellschaft kann zu 0,5 Prozent an Brustkrebs leiden, das Individuum hingegen ist entweder gesund oder an Krebs erkrankt – letzteres dann aber immer zu 100 Prozent.
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