Moment mal! Gibt’s da nicht noch eine dritte Möglichkeit? Etwa so wie “eine Frage des Nicht-Dürfens” oder “Nicht-Gelassenwerdens”, zum Beispiel? Da komme ich später noch drauf. Erst mal zum Nicht-Können: Dass dies ausgeschlossen werden kann, muss man eigentlich gar nicht mehr lange diskutieren. Aber es gibt immer noch Verfechter der vom damaligen Harvard-Boss Larry Summers bisher am prominentesten verkündete These, dass Frauen irgendwie biologisch weniger zu mathematischen Leistungen begabt seien (wer die genaue Stelle sucht: 2. Absatz, dritter Satz). Und darum lassen wir gleich mal die Zahlen zu Wort kommen: 46 Prozent, also knapp die Hälfte, aller Studienplätze in Undergraduate-Mathematik sind von Frauen besetzt; bis zum Doktortitel nimmt der Frauenanteil zwar schon auf 30 Prozent ab, aber das liegt immer noch weit über dem Anteil der Frauen auf Lehrstühlen – im Schnitt liegt dieser in stark mathematisch geprägten Fächern an den 100 besten US-Hochschulen unter zehn Prozent, für Mathematik selbst zum Beispiel bei gerade mal 7,1 Prozent. All diese Zahlen stammen aus einem neuen Paper zum Thema Sex Differences in Math-Intensive Fields, das in der aktuellen Ausgabe der Current Directions in Psychological Science erschienen ist.
Das wirft natürlich die Frage nach dem Grund auf. Die alte These, die sich auch Larry Summers zu eigen gemacht hatte, war eine irgendwie andere (und natürlich irgendwie geringere) Begabung von Frauen für Mathematik. Doch der einzige Beleg für einen angeborenen Geschlechterunterschied scheint in einem – statistisch! – unterschiedlich veranlagten räumlichen Vorstellungsvermögen zu liegen: Hier scheinen männliche Säuglinge, so etwa im Alter von vier bis fünf Monaten, um 50 bis 75 Prozent besser abzuschneiden. Ob und wie weit dies jedoch mathematische Leistungsfähigkeit mitbestimmt, ist noch unklar – bei den Mathe-Schulabschlussnoten schneiden die Schülerinnen jedenfalls nicht schlechter ab. Und selbst wenn man einräumt, dass zumindest unter den mathematisch Hochbegabten im obersten Prozent nur ein Drittel weiblich ist, erklärt dies nicht den drastisch niedrigen Anteil der akademischen Karriere-Mathematikerinnen. Am Können allein kann’s also schon mal nicht liegen …
Vielleicht als am Nicht-Lassen, oder besser: an geschlechtsspezifischer Diskriminierung? Obwohl dies sicher eine populäre Annahme wäre, kommen Wendy Williams und Stephen Ceci, beide von der Cornell-Universität, zu dem Fazit, dass dies auszuschließen sei. Sie hätten keine Belege dafür finden können, schreiben sie, dass Frauen wegen ihres Geschlechts mehr Probleme hätten, Paper zu veröffentlichen, oder Forschungssubventionen zu erhalten, und schon gar nicht bei der Stellenbesetzung benachteiligt würden:
A National Academy of Science task force found that, among new PhDs applying for tenure-track jobs, women were slightly more likely to be invited to interview than men, and there were no sex differences in job offers or resources:
For the most part, men and women faculty in science, engineering, and mathematics have enjoyed comparable opportunities within the university. . . . Women fared well in the hiring process at Research I institutions, which contradicts some commonly held perceptions of research universities. If women applied for positions at RI institutions, they had a better chance of being interviewed and receiving offers than male job candidates had. (Committee on Gender Differences, 2010, p. 5)
Demnach hätten Frauen also nicht nur gleiche, sondern sogar bessere Chancen als Männer, zu solchen Bewerbungsverfahren für Professorenstellen etc. eingeladen zu werden (wir reden hier weiterhin nur von Fächern, die eine stark mathematische Basis haben, wohlgemerkt), auch wenn dies den “commonly held perceptions”, also den gängigen Ansichten widerspreche.
Aber natürlich – hier wörtlich gemeint – gibt es einen Unterschied zwischen Männern und Frauen: Männer können keine Kinder kriegen. Und das beste Alter fürs Kinderkriegen ist bei den meisten Frauen auch das beste Alter für eine Karriere. Also sind Frauen doch benachteiligt? Nicht wirklich, meinen Autor und Autorin:
If choosing to have children reduces scientific productivity (and causes the pay and promotion consequences), this does not represent discrimination, despite the fact that women are disproportionately affected. In sum, it is essential to distinguish between claims of outright discrimination against women and gendered outcomes that may affect more women than men because of women’s choices but not because they are women per se. The evidence shows that sex discrimination does not account for women’s
underrepresentation in math-intensive fields.
Die Tatsache, dass Frauen von Natur aus vor die Wahl gestellt werden, sich zumindest zeitweise zwischen Kindern und Karriere zu entscheiden, sei keine Diskriminierung, steht hier sondern “gendered outcomes that may affect more women than men because of women’s choices but not because they are women per se” – geschlechtsspezifische Folgen, die Frauen eher treffen als Männer, allerdings aufgrund von Entscheidungen der Frauen, und nicht einfach, weil sie Frauen sind.” Das ist sicher eine Art Doppeldenk, die nach semantischen Klüftchen zu suchen scheint, um dort dann argumentatorische Kletterhaken einzuschlagen. Vor allem, weil sie zu unterstellen scheint, dass die Verantwortung fürs Kinderkriegen allein Sache der Frau sei, obwohl da meist auch ein (hoffentlich sanfter!) Druck des Ehe- oder Lebenspartners mit im Spiel ist.
Aber zumindest aus einem Gesichtspunkt kann man dem Argument dennoch stattgeben: In anderen, nicht-mathematischen Fächern müsste es sich eigentlich dann in gleicher Weise niederschlagen, denn auch hier muss eine akademische Karriere gegen den Kinderwunsch aufgewogen werden. Aber die Hälfte aller medizinischen Doktortitel und sogar mehr als Dreiviertel aller veterinärmedizinischen Doktorhüte werden heute von Frauen erworben. In Mathematik: Gerade mal 29,6 Prozent.
Also was ist denn nun der Grund, warum es so wenig Mathematik-, Physik- und sonstige Professorinnen gibt? Frauen hätten andere Präferenzen, vermuten Williams und Ceci. Schon im Schulalter unterscheiden sich die weiblichen von den männlichen Interessen: 24 prozent der 8- bis 17-jährigen Jungs wollen Ingenieure werden, aber nur fünf Prozent der gleichaltrigen Mädchen; im Alter zwischen 13 und 17 begeistern sich 74 Prozent der Jungs für die technische Seite von Computern, während dies nur 32 Prozent der Mädchen interessiert. Und das scheint auch für die jungen Frauen zu gelten, die eigentlich eine hohe mathematische Begabung haben. Aber hier gebe es einen Aspekt, der die Mädchen klar von den Jungs unterscheide:
among males and females of comparably outstanding mathematical aptitude, females are more likely to also have outstanding verbal ability (Park et al., 2008). This gives them more career choices than males, who are aware their strength is only math, whereas females can consider math-oriented fields as well as law, social sciences, humanities, and medicine.
Aha, den Frauen stehen also, dank besserer verbaler Begabung mehr Möglichkeiten in anderen Feldern offen, während den mathematisch begabten Männern nichts anderes mehr übrig bleibt als dann aus dieser Einseitigkeit das Beste zu machen (ich drücke mich mal absichtlich überspitzt aus) – das ist zumindest mal ein originellerer Ansatz …
Women drop out of scientific careers–especially math and physical sciences–after entering them as assistant professors at higher rates than men, and this remains true as women advance through the ranks. Although the reasons for this attrition are not well understood, it appears to have less to do with discrimination or ability than with fertility decisions and lifestyle choices, both freely made and constrained.
So fassen Ceci und Williams ihre Resultate zusammen. Es liege an den Entscheidungen der Frauen, selbst wenn sie nicht immer freiwillig sind.
Kann man also nix machen? Ist es wirklich nicht vorstellbar, auch in Wissenschaft und Forschung Strukturen zu schaffen, die es (jungen) Frauen erlauben, sich sowohl für Karriere als auch für Kinder zu entscheiden? Das ist eine Frage, auf das Paper nicht wirklich eingeht. Hat jemand anderer hier vielleicht eine bessere Antwort? Würde mich ehrlich interessieren.
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