Darüber, dass Sprache ein Vehikel der Vorurteile ist, will ich hier gar nicht erst streiten – das setze ich jetzt einfach mal als akzeptabel voraus. Die entscheidende Frage – über die wir hier und hier auch schon intensivst aneinander vorbei diskutiert haben – dabei ist nur: Ist die Sprache der Passagier in einem von Vorurteilen gesteuerten Vehikel, oder hat umgekehrt die Sprache das Steuer in der Hand und fährt die Vorurteile dahin, wo es ihr passt? (Wiederum keine Frage sollte sein, dass diese Metapher ziemlich scharf am stilistischen Straßengraben entlang schrammt – dafür bitte ich um Nachsicht.) Laut einem neuen Paper, das im Journal of Experimental Social Psychology sitzt die Sprache am Steuer – sie transportiert nicht nur die Vorurteile, sie bestimmt sie auch.
Zwei Studien bilden die Grundlage dieses Paper; in beiden wurden zweisprachig aufgewachsene Probanden getestet – Französisch und Arabisch sprechende Marokkaner in der einen, Spanisch und Englisch sprechende Hispanics in den USA in der anderen. Aufgabe der Tests war, in so genannten Implicit Association Test Begriffe – im konkreten Fall beispielsweise marokkanische und französische Namen – spontan positiven oder negativen Kategorien zuzuordnen. Was dabei heraus kam, beschreiben die Autoren im Abstract so:
… Participants manifested attitudes that favored social categories associated with the test language, e.g. more pro-Moroccan attitudes when tested in Arabic as compared with French (Study 1) and more pro-Spanish attitudes when tested in Spanish as compared with English (Study 2). The effects of language on elicited preference were large (mean d > .7), providing evidence that preferences are not merely transmitted through language but also shaped by it.
Klingt überzeugend: In Arabisch beispielsweise – parallel dazu, bei den US-Latinos, in Spanisch – sind Vorurteile gegen Französisches oder Amerikanisches zu beobachten, die bei den gleichen Probanden verschwinden, wenn sie den gleichen Test in Französisch beziehungsweise Englisch machen. Also muss doch die Sprache die Triebfeder der Vorurteile sein, denn die getesteten Gehirne sind doch in beiden Fällen die gleichen …
Weiter als bis zum Abstract und zur Pressemitteilung der Harvard-Universität komme ich mangels eines Journal-Abos leider nicht. Aber zumindest anhand von dem, was ich aus diesen beiden Quellen erkennen konnte, ist die Folgerung, dass die Sprache ursächlich mit den Vorurteilen verbunden ist, nicht definitiv belegt: Es ist ebenso plausibel, dass die Probanden letztlich in zwei verschiedenen Welten sozialisiert wurden, wobei die sowohl bei Nordafrikanern als auch bei Latinos in den USA durchaus nachvollziehbaren Vorbehalte gegen französische oder amerikanische Einflüsse primär in der “Muttersprache” (Arabisch oder Spanisch) transportiert werden, während in der französisch- oder englischsprachigen Welt diese Vorurteile nicht zum Ausdruck kommen. Mit anderen Worten: Die Vorurteile wären in jedem Fall vorhanden, aber man hat vielleicht gelernt, sie in der “dominanten” Sprache (Französisch, Englisch) zu vermeiden. Oder man assoziiert Französisch/Englisch mit dem Umfeld, in dem solche Vorurteile nicht relevant sind. Egal wie, in beiden Fällen wär’s eben nicht die Sprache, die formt.
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