Schon verwirrt durch den Titel? Dann wird’s vermutlich noch schlimmer, wenn ich nun verrate, dass indirekt mein Kater – den ich hier schon mal kurz vorgestellt habe – daran eine Mitschuld trägt. Denn als Katzenhalter hatte sich mein Blick bei der Lektüre der gestrigen New York Times an diesem Artikel (wegen des Katzenfotos) gefangen, in dem auf der Basis eines Papers im Journal of Ornithology noch einmal die grundsätzlich schon bekannte Tatsache referiert wurde, dass Katzen – und zwar auch jene domestizierten und gepflegten Haustiere, die im Garten spielen dürfen – mit weitem Abstand die größten Schäden an einheimischen Vogelbeständen verursachen; in den USA beispielsweise wird die Zahl der durch Katzen getöteten Vögel auf 500 Millionen im Jahr geschätzt – Windräder hingegegn, über die in der Folge des japanischen Reaktorunglücks wieder heftiger diskutiert wird, hingegen haben hier “nur” 440.000 Vogelleben auf dem elektrischen Gewissen.
Was mich zwangsläufig zum Thema “Risikowahrnehmung” bringt, die ihrerseits ja ein Thema bei der Bewertung von Reaktor- und sonstigen Unglücken spielt. Und auch wenn ich weiß, dass meine ScienceBlogs-Kollege Ulrich Berger, der sich mit solchen Fragen ja professionell befasst, vermutlich zu Recht schwere Seufzer – oder auch Schlimmeres – ausstößt, wenn sich Dilettanten wie ich zum Thema Wahrscheinlichkeiten und Wahrnehumng äußern, werde ich hier trotzdem ein paar – absolut rechenfreie – Gedanken zu Papier und damit ins Schussfeld der Kritik bringen.
Denn in der Diskussion werden natürlich unterschiedliche Risiken miteinander verglichen. Ich nehme mal als Beispiel diesen Kommentar:
Ein KKW ist für mich wie ein großer Bus, in dem – industrieller Verbrauch berücksichtigt – 1-2 Millionen Menschen mitfahren. Der baut nach diesen Angaben alle 1500 Jahre einen Unfall der immerhin das Potential entwickeln könnte, Insassen zu verletzen oder zu töten.
Und irgendwo stimmt es ja auch immer: Der Tsunami in Südostasien forderte rund 150.000 Menschenleben – doch jeden Tag sterben 30.000 Kinder auf der Welt an vermeidbaren Krankheiten und mangelnder Pflege, was den damaligen Leiter der UN-Hilfsorganisation, Jan Egeland, zu der bitteren Bemerkung veranlasste, hier geschehe “ein Tsunami pro Woche”. Im deutschen Straßenverkehr starben 2010 insgesamt 3657 Menschen, das sind immer noch ein paar mehr als zwischen 2004 und 2008 weltweit bei Flugzeugabstürzen ums Leben kommen – trotzdem haben mehr Leute Angst vorm Fliegen als vor Autos.
Redaktionelle Ergänzung:
Wir sind nun mal notorisch schlecht im Einschätzen von Risiken. Und die Mathematik hilft dabei auch nicht unbedingt: Wenn, sagen wir mal, durch Verkehrsunfälle weltweit im Jahr etwa 1,2 Millionen Menschen sterben und jährlich irgendwo auf der Welt ein Chemiewerk explodiert und dabei 1,2 Millionen Menschen vergiftet werden – dann sind doch (so will man uns jedenfalls in der öffentlichen Diskussion, siehe obiges Zitat, einreden) – die Risiken für beide Todesarten gleich groß. Aber so einfach ist es halt nicht. Ich denke, was ich meine, wir klarer, wenn ich mal eine bizarre Metapher wähle: Es wäre an sich schon eine schlimme Sache, wenn zwei Millionen Menschen eine Münze werfen müssen, die für sie über Leben und Tod entscheidet – eine ganz andere, wenn ein einziger eine Münze wirft, die dann für eine Million Menschen, die ihm geografisch am nächsten sind, den Tod bedeutet. Mit dem Münzwurf ist jeder wenigstens ein bisschen Herr oder Frau über das eigene Schicksal, während er/sie im zweiten Fall nur das Opfer der Handlung eines Dritten ist.
Ende der reaktionellen Ergänzung
Warum wollen sich also Menschen unbedingt vor Kernkraftwerken fürchten, obwohl diese selbst unter Berücksichtigung schlimmster Annahmen für Tschernobyl-Opfer seit 1986 vermutlich “nur” ein Tausendstel der Opfer gefordert haben, die seither weltweit im Straßenverkehr starben? Die Antworten darauf enthalten zwar nichts wirklich Neues, aber da sie im Eifer der Diskussion leicht vergessen werden, möchte ich hier einige Aspekte der Risikowahrnehmung, wie ich sie sehe, noch einmal auflisten:
1. Information: Die ist sicher einer der wichtigsten Punkte. Denn abgesehen von den einmal jährlich veröffentlichten – und dann nur gelegentlich nochmal zitierten – Statistiken erfährt man eigentlich nie das Ausmaß der Unfalltoten. Sicher, ein dramatisches Unglück, bei dem Familien ausgelöscht werden, schafft es sogar in die Abendnachrichten – aber es bleiben immer zahlenmäßig kleine Einzelfälle. Bei Flugzeugabstürzen hingegen gehen die Opferzahlen schnell in die Hunderte, und die Berichte darüber werden weitaus prominenter platziert. Ein Tsunami ist eine weltbewegende Geschichte, über die in allen Ländern berichtet wird – die vernachlässigten Kinder der Dritten Welt hingegen sind, so zynisch es klingen mag, eine alltägliche Story, die kaum noch Beachtung findet.
2. Ausstrahlung: Ein Autounfall oder ein Blitzschlag sind lokal begrenzte Ereignisse. Der Autounfall in Hamburg, so dramatisch er auch gewesen sein mag, muss mir in München keine Angst machen. Eine Seuche hingegen (H1N1, jemand?) oder ein Nuklearunfall können mich auch auf große Distanz hinweg treffen.
3. Kontrolle: Wir fühlen uns meist sicherer, wenn wir selbst das Geschehen beeinflussen können. Das gilt für Raucher und Raucherinnen (die ihr Leben durch Lungenkrebs und Herzkreislauf-Erkrankungen drastisch verkürzen), die sicher sind, dass sie ja “jedereit aufhören” können, ebenso wie für den Mann oder die Frau am Steuer, die am liebsten auf ihre eigenen Autolenk-Künste vertrauen. Dass Piloten von Verkehrsmaschinen vergleichsweise viel besser im Umgang mit ihrem Verkehrsmittel geschult und erfahren sind als die durchschnittlichen Kraftfahrer, scheint daran wenig zu ändern. Und wenn wir uns beim Grillen selber mit Partikeln die Lunge vergiften, dann ist das unsere Entscheidung, während der Staub, der aus dem Kraftwerk herüber weht, uns keinen Ausweg lässt.
Und schließlich, 4. die Unausweichlichkeit: Wenn ich die Kontrolle über mein Auto verliere, dann bin ich noch nicht gleich tot. Vielleicht kriege ich ja noch die sprichwörtliche Kurve, und vielleicht komme ich mit Verletzungen davon. Und selbst wenn 1,2 Millionen Menschen jährlich im Straßenverkehr sterben, dann sind das dennoch 1,2 Millionen Einzelfälle, von denen jeder vielleicht auch anders hätte enden können. Aber wenn neben mir der Reaktor explodiert, dann ist es nur noch eine Frage, wie lange ich überlebe – nicht mehr, ob ich überlebe. Und das gleiche gilt für meine Nachbarn und werweißwieviele Menschen in meiner Umgebung. Selbst wenn ich im Zentrum des Autounfalls (= am Steuer, beispielsweise) sitze, gibt es noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ich lebend davonkomme. In Zentrumsnähe des Reaktorunglücks ist diese Wahrscheinlichkeit – auch wenn sie nur sehr unwahrscheinlich Realität wird – mit Sicherheit Null.
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