Warum ich mich nicht auch gegen die Todesstrafe ausgesprochen hatte, wurde ich in einem Kommentar zu meiner Frage, ob der Tod ein Grund zu Jubeln sei. Die Antwort darauf ist zu vielschichtig (und liegt mir auch zu sehr am Herzen), als dass ich sie in einem x-ten Kommentar unterbringen will.
Erstens wäre da das rein formal-logische Argument: Darüber, ob die Tötung Osama bin-Ladens zu rechtfertigen war (oder ob sie wenigstens sinnvoll für die Erreichung des dafür gesetzten Ziels, den al-Kaida-Terror zu beenden, sein kann) kann man sicher streiten – und vermutlich tue ich das auch noch zu einem anderen Zeitpunkt. Aber darum ging es mir nicht: Den Tod des Terroristenführers als Faktum akzeptierend, hatte ich jedoch gefragt, ob dies gleichzeitig ein Grund zum Jubeln, zu öffentlichen Freudenfeiern sein kann. Die Antwort, die ich aus meiner Sicht darauf gegeben habe: Nein.
Bezogen auf die Todesstrafe – denn in der Tat könnte man die Tötung bin-Ladens als eine solche bezeichnen, daher akzeptiere ich mal die Analogie – müsste sich die Diskussion im angesprochenen Sinn dann auch darauf beschränken, dass ich lediglich Probleme damit sähe, wenn die Hinrichtung eines Verurteilten öffentlich gefeiert wird. Das ist aber, soweit ich das beurteilen kann, ein eher seltenes Phänomen, und schon gar keines, das sich amerikaweit vor laufenden Fernsehkameras wiederholt.
Aber gut, wenn schon die Todesstrafe angesprochen wird: Bin ich auch dagegen. Hier aber nicht nur aus moralischen oder humanitären Gründen. Die Todesstrafe ist in vieler Hinsicht falsch, und darüber habe ich in der Tat hier auch schon geschrieben, in Kommentaren ebenso wie in eigenen Einträgen.
Und dieses Versagen der Todesstrafe ist nicht nur meine – oder anderer Blogger – persönliche Meinung. Es ist auch belegt und nachweisbar. Zum Beispiel die Illusion, dass sie irgendwie abschreckend und dadurch vorbeugend gegen Gewalttaten wirken könnte. Darüber hatte Ali Arbia in seinem Blog zoon politikon bereits einmal etwas geschrieben, aber ich fasse die Fakten, wie ich sie sehe, noch einmal hier zusammen:
– Die Studie
(John Donohue und Justin Wolfers, Stanford Law Review 2006) kam zum Resultat, dass es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Todesstrafe und Mordrate gibt:
None of these approaches suggested that the death penalty has large effects on the murder rate. Year-to-year movements in homicide rates are large, and the effects of even major changes in execution policy are barely detectable.
Sicher gibt es auch Studien, die das Gegenteil behaupten, doch so lange die Mordrate in US-Staaten mit Todesstrafe deutlich höher liegt als in US-Staaten ohne, fehlt dem Argument der Abschreckung die Plausibilität.
– Das Argument, dass ein Mörder nicht das Recht habe, dem Steuerzahler für seine lebenslängliche Unterbringung und Verpflegung auf der Tasche zu liegen, zieht auch nicht: Todesurteile kommen den Steuerzahler fast drei Mal so teuer wie ein lebenslängliches (und in den USA heißt das durchaus: bis zum natürlichen Tod) Strafmaß; dies belegt eine
des Urban Institute für Maryland.
– Todesstrafe kann grundsätzlich nie die Rehabilitierung Resozialisierung des Täters (und das ist nun mal ein Ziel unseres modernen Strafrechtsgedankens) zum Ziel haben und ist alleine schon aus diesem Grund ein Rückfall in eine zu alte Zeit. Wie wär’s mit öffentlichen Vierteilungen? Die waren auch mal ganz populär …
– Da Todesurteile von Menschen gefällt werden und Menschen Fehler machen können, sind – das ist eigentlich trivial – auch Todesurteile nicht unfehlbar. In der Tat hat das Innocence Project, das der Benjamin N. Cardozo School of Law der New Yorker Yeshiva University angegliedert ist, seit 1994 die Unschuld von mehr als 250 zum Tod Verurteilten nachweisen können – das sind mehr Menschen, als in den Jahren 2007 bis 2010 in den USA hingerichtet wurden. Und weitaus mehr als ein “kleiner Fehler”, den man nun mal im Kampf gegen das Verbrechen in Kauf nehme müsse, wie an Amerikas Version von Stammtischen (und vermutlich auch an einigen deutschen) so gerne schwadroniert wird.
– Die Todesstrafe scheint, wie es derzeit aussieht, in ihrer Praxis zudem der amerikanischen Verfassung zu widersprechen: Der dabei in fast allen US-Staaten verwendete Drogencocktail ist keineswegs so human, wie er seit Jahren angepriesen wurde. Die Todeskandidaten sterben, wie es scheint, ziemlich qualvoll. Auch wenn dies das Rachebedürfnis einiger Hardliner zu befriedigen scheint – es verstößt gegen die amerikanische Verfassung, die “grausame und unübliche Strafen” verbietet.
– Hinzu kommt, dass sich die USA selbst ein Bein gestellt haben: Die für den Exekutionscocktail vorgeschriebene Droge Thiopental wird in den USA nicht mehr hergestellt; der Import aus anderen Ländern scheitert aber daran, dass diese Substanz nicht zu Hinrichtungszwecken verkauft werden darf …
– In den meisten (allen?) Bundesstaaten ist zudem vorgeschrieben, dass die Hinrichtung unter ärztlicher Aufsicht stattfinden muss – nicht nur, um hinterher den Tod ordnungsgemäß festzustellen, sondern auch um das EInsetzen der Kanülen und die Injektion der Drogen zu überwachen. Doch diese Mithilfe an der Tötung eines Menschen verstößt gegen den Hippokratischen Eid und wird daher von der American Medical Association als unethisch angesehen – was aber zugegebener Maßen nicht unbedingt dazu führt, dass sich Ärzte daran gebunden fühlen.
All dies Faktoren zusammen – ohne jetzt sagen zu können, welcher davon dominiert (obwohl ich selbst hier vor allem dem finanziellen Argument eine gewisse Überzeugungskraft zuschreiben würde) haben dazu geführt, dass die Zahl der Todesurteile, und vor allem der Hinrichtungen in den USA deutlich gesunken ist: Ein Artikel im aktuellen New Yorker beziffert die Zahl der Todesurteile, die 2010 gefällt wurden, mit 114 – fast ein Drittel der Zahlen, die in den 90-er Jahren Standard waren; auch die Praxis, Verurteilte hinzurichten, ist zunehmend unpopulär: Von den 34 Staaten, in denen es noch die Todesstrafe gibt (zuletzt hat Illinois beschlossen, sie ab dem 1.7.2011 endgültig abzuschaffen; alle bis dahin verkündeten Todesurteile werden automatisch in lebenslange Haftstrafen umgewandelt), haben im vergangenen Jahr “nur” 12 solche Strafen auch vollstreckt. Selbst in Texas, das mit 17 Vollstreckungen immer noch der exektionsfreudigste aller US-Staaten ist, setzt ein Umdenken ein: Laut dem Artikel im New Yorker hat selbst die Staatsanwaltschaft in Houston (Texas), das einst den fraglichen Ruhm hatte, die “Hinrichtungshauptstadt Amerikas” zu sein (weil kein anderer Bezirk mehr Todeskandidaten dem Henker überantwortet hatte als Harris County, in dem Houston liegt), inzwischen ihren Kurs geändert: Von 28 Fällen, in denen die Rechtslage ein Todesurteil erlaubt hätte, wurde sie nur in zwei Fällen gefordert.
Scheint also, als ob die Henker Amerikas das gleiche Problem haben werden wie so viele andere, deren Job einst so sicher schien: Downsizing wird auch vor der Henkerstube nicht halt machen, falls der Trend sich durchsetzt.
Foto: California Department of Corrections Public domain], via Wikimedia Commons
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