Und ja, ehe ich den Text nun in seiner Version von 2004 reinlaufen lasse: Ich weiß, dass Carl Zimmer das “God Gene” verrissen hatte (und dazu – damals noch – auf den amerikanischen Scienceblogs einen Eintrag schrieb), und dass PZ Myers der Kamm schwillt, wenn er nur den Namen Dean Hamer liest. Aber ich denke, selbst in dem kurzen Interview wird schon klar, dass Hamer von seiner Position, es gebe “ein Gottesgen” zurückrudern musste. Und das fand ich doch ganz aufschlussreich. Genug jedenfalls, um es hier noch einmal zu bringen:

Der Titel Ihres Buches heißt “Das Gottes-Gen”. Wollen Sie damit sagen, dass Gott in unseren Genen steckt?

Der Titel bezieht sich auf das Konzept, dass die Fähigkeit zur Spiritualität zumindest in Teilen genetisch bedingt ist. Natürlich ist diese Formulierung stark vereinfacht.

Wir glauben also an Gott, weil wir ein genetisch bedingtes Bedürfnis danach haben? Ganz im Sinn von Voltaire, der erklärt hatte, dass man Gott erfinden müsste, falls es ihn nicht gäbe?

Vielleicht. Aber man könnte es auch so sehen: Wenn es Gott wirklich gibt, dann müssen wir ja auch in der Lage sein, ihn zu erkennen. Ich kann Ihnen als Wissenschaftler nicht sagen, welche von diesen zwei Möglichkeiten die zutreffende ist.

Was bewirkt solch ein Gen überhaupt in uns?

Das Gen VMAT2 beeinflusst unseren Sinn für Bewusstsein, der wiederum im Zentrum aller Gefühle von Verbundenheit mit dem Universum steht, und das ist der Kern von Spiritualität, der Suche nach einem höheren Wesen.

Sind wir Menschen die einzigen Wesen, die dieses Gen besitzen?

Absolut nicht. Nicht das Gen ist einmalig in Menschen, sondern der Sinn für Bewusstsein. VMAT2, das ich als das “Gottes-Gen” bezeichnet habe, ist sicher nur ein Teil des biochemischen Apparats, der dahinter steckt.

Das Gen steuert also einen simplen biochemischen Vorgang. Sie haben sich sicherlich viele Feinde gemacht, indem Sie Spiritualität auf einen biochemischen Prozess reduziert haben?

Mir ist klar, dass manche Leute die Vorstellung, dass so etwas Komplexes wie Spiritualität auf simple Biochemie zurück geführt werden kann, als empörend empfinden. Aber ich weiß, dass jeder Gedanke, jede Empfindung letzten Endes biochemische Vorgänge sind. Aber dadurch würdige ich sie ja auch nicht herab; es ist einfach ein besserer Weg, sie zu begreifen. Einsteins größte Einfälle waren auch nichts anderes als Elektronen, die sich durch sein Hirn bewegten.

Aber verfehlt dieser Ansatz nicht das Wesentliche? Man kann doch zum Beispiel auch das künstlerische Talent eines Fotografen nicht nur mit dem biochemischen Ablauf erklären, der Lichtreize auf der Netzhaut in Nervenimpulse umwandelt?

Aber am Ende läuft es auch darauf hinaus. Natürlich ist das eine grobe Vereinfachung. Die Kathedrale von Chartres beispielsweise ist großartig, von hohem ästhetischem Wert, hat eine reiche Geschichte – und ist doch nur eine Anhäufung von Atomen. Das macht sie nicht weniger großartig.

Welche Bedeutung hat dieses VMAT2-Gen dann beispielsweise für ein Schwein?

Hamer: Wenn man dieses Gen ganz abschaltet, dann stirbt das Schwein. Ein verkrüppeltes Gen macht das Schwein lethargisch, und es verliert seine Vitalität.

Also hat dieses Gen nicht nur die Aufgabe, uns in höhere geistige Sphären zu führen?

Ganz und gar nicht. Seine eigentlichen Aufgabe ist es, die Verteilung von Monoaminen im Gehirn zu steuern.

Aber das könnte doch auch bedeuten, dass andere Lebewesen, die dieses Gen besitzen, ebenfalls zur Spiritualität befähigt sind?

Sicher nicht. Spiritualität ist ein komplexes Zusammenspiel vieler Faktoren; ein Gen allein kann das nicht erklären.

Welchem arterhaltenden Zweck dient Spiritualität eigentlich – vorausgesetzt, dass sie die Folge einer evolutionären Entwicklung ist?

Für uns Wissenschaftler ist es immer sehr schwer, Evolutionsvorgänge zu beweisen, da wir keine entsprechenden Experimente machen können. Aber wir vermuten, und es ist nur eine Vermutung, dass der Selektionsvorteil der Spiritualität darin liegt, dass sie Menschen gesünder macht, und das sowohl geistig als auch körperlich.

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Kommentare (12)

  1. #1 hein
    10. Mai 2011

    Sechs Personen pro Gruppe gehen schon in Ordnung, wenn die Effektstärke hoch genug ist. Die Aussage: “Effekt vorhanden” kann damit schon getroffen werden. Schätzungen über den genauen Wert des Effekts sind aber mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Die Erklärung der Schmerzlinderung über Alpha Wellen finde ich aber spannend. Normalerweise zeigen sich Alpha Wellen im EEG sobald der Proband die Augen schließt. Sie werden im Allgemeinen als ein Hinweis auf Entspannung interpretiert. Andersherum könnte man das Ergebnis der ersgenannten Studie so formulieren: “Entspannung hilft gegen Schmerzen”

  2. #2 Alexander
    10. Mai 2011

    Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion und Meditation ist wohl schon länger im klinischen Bereich angekommen und hat nichts mit Esoterik zu tun. Es ist ja auch unzweifelhaft, dass bei Meditation etwas passiert / passieren kann. Das wird dann zwar klassisch als spirituelles Erleben gedeutet, hat aber wohl doch ganz konkrete (wenn auch noch bei weitem nicht ganz erforschte) Ursachen, zB in Verarbeitungsvorgängen des Gehirns. Interessantes Beispiel ist die Frage, wo setzt das Gehirn die Grenze zwischen sich (+ “seinem” Körper) und der Umwelt? Wenn im Rahmen der Meditation dieses Zentrum stillgelegt wird, kommt es zu einem Eins-Sein-mit-der-Welt-Erlebnis.

  3. #3 MartinB
    10. Mai 2011

    @Alexander
    Hast du dafür (eins-sein-Erlebnis) ein paper o.ä.?

  4. #4 KommentarAbo
    10. Mai 2011

  5. #5 Alexander
    10. Mai 2011

    Hallo Martin, Paper kann ich dir nicht nennen. Habe das aber schon öfters mal und schon vor Jahren so gelesen. Ich meine, es wird auch in Precht, “Wer bin ich und wenn ja wie viele”, https://www.amazon.de/Wer-bin-ich-viele-philosophische/dp/3442311438/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1305033903&sr=8-2 erwähnt oder in einem Buch von Gerald Hüther. https://www.amazon.de/Bedienungsanleitung-für-ein-menschliches-Gehirn/dp/3525014643/ref=ntt_at_ep_dpi_4

  6. #6 rolak
    10. Mai 2011

    Hmm, ich kenne (=habe erlebt) einige Methoden, um dieses ‘eins mit der Welt’-Gefühl zu erreichen. Nicht alle haben mit Drogen zu tun, alle sind nicht eindeutig reproduzierbar und -ein echter Grusel für so kleine Testgruppen- es ist auch schon völlig ohne ‘Methode’ gelungen: Wanderpause auf Lichtung, ins Grün setzen, *plop*.

    Zur Schmerzreduktion: Vom Schmerz ablenken hilft, zum Ablenken gibt es auch Techniken – warum sollte also Meditation nicht helfen?

  7. #7 möp
    10. Mai 2011

    https://www.amazon.de/Buddha-die-Wissenschaft-vom-Gl%C3%BCck/dp/3442217792
    Sehr interessant auch, oder grad wenn man mit Göttern und Glauben im allgemeinen nichts anfangen kann.

  8. #8 Jürgen Schönstein
    11. Mai 2011

    @rolak

    Vom Schmerz ablenken hilft, zum Ablenken gibt es auch Techniken – warum sollte also Meditation nicht helfen?

    Gewiss ist das plausibel. Der Haken ist nur, dass das Paper nichts zum Thema Schmerz untersucht hat – alle Probandinnen/Probanden waren während der Tests ohne Schmerzen. Und damit ist diese Studie halt zu diesem konkreten Thema nicht gewichtiger als beispielsweise Dein Blog- Kommentar – absolut plausibel, ja, aber Daten? Leider nein.

  9. #9 rolak
    11. Mai 2011

    Ausgelöst durch Alexanders Verbindung des ersten und zweiten Teilthemas, war auch nicht geplant, mit dem Kommentar irgendwelche Datenbasen nachzuschieben – der letzte Satz war eher lautes Denken.
    Doch bzgl der Studie: Wenn ich die Preseerklärung um diese Tageszeit richtig verstehe, ging es um das <wie>, nicht um das <ob> das aus anderen Studien als hinreichend belegt angesehen wird. Ob dieses <wie> jetzt tatsächlich besser geklärt ist als vorher, wird zumindest mir nicht deutlich.
    Hmm, nun passt der Schlußsatz noch schlechter als vorher – kann er nachträglich gestrichen werden? (bitte nicht in Gelb)

  10. #10 miesepeter3
    11. Mai 2011

    Die Wissenschaft hat festgestellt,……. dass das menschliche Gehirn noch viel mehr kann, als man sich bislang hat erträumen können.

    Aber dass man Schmerzen durch (Ablenkungs-?) Techniken sich “wegdenken” kann, ist nun wirklich nicht neu. Entsprechende Techniken gibt es seit Jahrtausenden und werden in der Neuzeit sogar von Rehakliniken gelehrt. Natürlich gibt es da Bevorzugungen und Modeerscheinungen, aber im Prinzip sind die Techniken sich alle irgendwie ähnlich. Neu ist nur, dass die Frage nach dem “Wie” immer besser beantwortet werden kann. Allerdings sind wir immer noch in der Wissenschaft in der Bekämpfungsphase solch neuer Erkenntnisse, sie passen nicht so recht in das Prinzip “Ursache-Wirkung”. Man braucht nicht mal Medikamente dafür und das eigene Hirn scheint der besserer Arzt zu sein. Das fordert immer noch vehementen Widerspruch heraus. Aber irgendwann werden wir auch auf diesem Gebiet erwachsen sein.

  11. #11 MartinB
    12. Mai 2011

    @Alexander
    etwas verspätet danke. (Vom Precht halte ich ja nicht so viel – habe das Buch mal irgendwo in einem Evolutionsabschnitt aufgeschlagen und fand den ziemlich schlecht.)

  12. #12 Roland Kopp-Wichmann
    www.persoenlichkeits-blog.de
    27. September 2012

    Hallo,
    ein Hauptargument gegen Meditation ist von vielen Interessierten oft, dass sie keine Zeit haben, zwanzig Minuten morgens oder abends zu meditieren.
    Das mag mitunter so sein, ist aber oft nur eine Ausrede.
    Dass es auch viel kürzer geht, zumindest für den Anfang, darüber habe ich auf meinem Blog einen Artikel geschrieben: https://goo.gl/iODa7