Tagelang habe ich es geschafft, nichts über den Fall Dominique Strauss-Kahn zu schreiben, obwohl er hier in den USA die Medien dominiert. Aber übers Wochenende hatte ich gleich zwei befreundete Juristen getroffen, einer davon ein namhafter (hier aber trotzdem anonym bleibender) New Yorker Strafverteidiger. Und da war erstens das Thema als Gesprächsstoff nicht länger zu vermeiden, und zweitens wurde meine wissenschaftliche Neugier angestachelt: Welche Rolle spielt das Zusammenwirken von Sex und Macht in diesem Fall?
Aber der Reihe nach: Erst mal muss der Juristenklatsch niedergeschrieben werden, denn auf dem beruhen dann wieder einige nachfolgende Betrachtungen. Einiges davon dürfte inzwischen auch in den Medien zu finden sein, aber ich berufe mich jetzt mal auf die befreundete Quelle – der Strafverteidiger ist zwar selbst nicht mit dem Fall befasst, doch er ist mit den Anwälten, die am Fall DSK arbeiten, in guten Kontakt, dass ihm einige Details zu Ohren kamen.
Die Linie der Verteidigung wird sein, dass es zwar zu einem sexuellen Akt gekommen ist – dass dieser aber in gegenseitigem Einverständnis geschehen sei. Dies folge allein schon aus der kurzen Dauer der Begegnung – laut dem Schließcomputersystem des Hotels seien nur vier Minuten zwischen Schließen und nachfolgenden Öffnen der Zimmertür vergangen. Außerdem sei es nachweislich zur Fellatio gekommen, was sich anhand von DNA-Spuren belegen ließe. Und dies sei, so meint der Strafverteidiger, ja nur möglich, wenn DSK eine “freundliche Aufnahme” erwarten konnte (wegen der potenziellen Gewebeschäden, die ein Gebiss ansonsten an sensiblen männlichen Körperteilen verursachen kann). Das Szenario, das die Verteidigung im Sinn habe, sehe etwa so aus: DSK ist im Bad, ahnungslos, nur mit einem Badetuch bekleidet. Er hört, dass die Tür aufgeht, und sieht sich dem schwarzen Zimmermädchen gegenüber. Ihre Blicke treffen sich, sie fragt, ob sie wieder rausgehen soll, er antwortet “nur wenn Sie wollen, Madame” – und sie beschließt zu bleiben. Der Rest ist pure erotische Anziehungskraft zwischen zwei Erwachsenen.
Als Verteidiger muss man wohl so denken. Mein anderer Anwaltsfreund vermutete übrigens, dass die DSK nicht rein zufällig zu diesem Zeitpunkt im Badetuch herum lief: Vermutlich habe er eine Prositutierte erwartet (diese These kursiert, wen wundert’s, vor allem in New Yorker Juristenkreisen) und das Zimmermädchen mit selbiger verwechselt. Aber das nur nebenbei, denn letztlich ist es irrelevant. Denn selbst wenn’s so war: Kann man in so einem Fall tatsächlich von Freiwilligkeit ausgehen? Oder spielt der Machtunterschied zwischen den beiden Akteuren dabei die maßgebliche Rolle?
Dazu habe ich mal ein wenig gestöbert und bin gleich auf zwei Arbeiten gestoßen, die sich mit dem Thema Sex und Macht befassen – und die, dies sei gleich vorweg genommen, zumindest bei einigen Männern eine automatische Gleichsetzung von Sex und Macht konstatieren. Beide Paper aus dem Jahr 1995 wurden von dem Yale-Psychologieprofessor (damals noch New York University) John Bargh mit verfasst, mit dem ich dann auch Kontakt aufgenommen habe. Sowohl Attractiveness of the Underling: An Automatic Power -> Sex Association and Its Consequences for Sexual Harassment and Aggression, erschienen im Mai 1995 im Journal of Personality and Social Psychology, als auch The Naive Misuse of Power: Nonconscious Sources of Sexual Harassment, erschienen im Frühjahr 1995 im Journal of Social Issues können belegen, dass es einen bestimmten Männertypus gibt, der erstens diese automatische Gleichsetzung von Sex und Macht entwickelt hat, und sich zweitens dieses Automatismus einerseits, sowie des daraus resultierenden Machtmissbrauchs seinerseits gar nicht bewusst ist. Mit anderen Worten:
Solch ein Mann (und es ist, wenn man sich die Vorgeschichte des DSK anschaut, nicht abwegig, ihn in diese Kategorie einzuordnen) findet Macht, die er über Frauen hat, sexuell stimulierend – so stimulierend, dass Frauen, die er anderweitig nur wenig attraktiv empfände, allein schon dadurch für ihn begehrenswert sind, weil sie sich in seinem Einflussbereich bewegen. Diesen Zusammenhang konnten Bargh und eine ganze Reihe seiner Fachkolleginnen und -Kollegen tatsächlich in Tests nachweisen (und ich zitiere jetzt mal nur aus dem “Underling”-Paper, dessen Versuchsabläufe dort zwar ausführlich beschrieben sind, aber hier jeden Rahmen sprengen würden):
The results of Experiment 1 are consistent with the hypothesis that sexual harassers automatically think in terms of sex in situations in which they have power.
Das Ergebnis von Versuch 1 (in dem die Reaktionsgeschwindigkeit bei Männern mit hoher Neigung zu sexueller Aggression auf sexuell “geladene” Reizwörter untersucht wurde, und zwar jeweils nach Priming mit neutralen bzw. mit Macht assoziierten Begriffen – Anmerkung von mir) ist im Einklang mit der Hypothese, dass sexuelle Belästiger in Situationen von Macht automatisch an Sex denken.
Aber es kommt noch ein zweites Element dazu: Diese Männer sind sich dessen nicht bewusst. Sie glauben, dass sie den ihnen untergebenen Frauen lediglich mit ihrem Charme und ihrem Sex-Appeal imponieren, obwohl diese vielleicht nur jene allgemeine Höflichkeit und unverbindliche Freundlichkeit zeigen, die gegenüber Vorgesetzten, die disziplinarische – und ökonomische! – Macht über sie haben, sowieso stets ratsam ist. Die betroffenen Frauen seien sich, wie eigentlich jede(r) Angestellte, dieser Abhängigkeit von der Macht des Vorgesetzten in aller Regel sehr bewusst:
The behavior of subordinates toward their superiors is different from their behavior toward people who do not have power over them (…): More deferential, friendly, appreciative, and hardly ever negative. (…) the power holder comes to attribute these behaviors on the part of others to the greater import, value, and quality of his or her own ideas, contributions, and personality, and fails to recognize the critical constraining role played by his or her power on the subordinates’ reactions to him or her.
Das Bild vom Chef, der sich für unwiderstehlich hält, ist sicher inzwischen bekannt genug. Und es wäre konsistent mit dem Verhalten, das Dominique Strauss-Kahn in der Vergangenheit gezeigt hat. Aus seiner Sicht wäre dann das Verhalten der ihm untergebenen Frauen – und dass ein Mindestlohn-Zimmermädchen, dem jederzeit gekündigt werden kann, sich einem Gast, der 3000 Dollar pro Tag zahlen kann und dessen Wort bei Management sicher mehr Gewicht hat als ihres, untergeben fühlen kann, ist wohl unbestreitbar – immer “freiwillig”, da er sich des Machtmissbrauchs, den er betreibt, nicht bewusst ist (dieses Nicht-Bewusstesein ist übrigens mit dem Wort “naiv” im Titel des ersten Paper gemeint – damit ist keine Verharmlosung beabsichtigt). Die untergebenen Frauen hingegen seien sich dieses Machtgefälles durchaus bewusst:
The female employee understands the situation quite differently, in terms of the constraints imposed on her by his authority and power over her. Thus, she experiences the boss’s sexually oriented behavior toward her as an overt power play.
Ich bin kein Jurist, aber aus meiner langjährigen Journalistentätigkeit habe ich gelernt, dass vor US-Gerichten bei Vergewaltigungsklagen fast nur der körperliche Widerstand als ausreichendes Signal der Verweigerung akzeptiert wird. (Auch nach deutschem Recht, wenn ich den einschlägigen Paragraphen 177 des Strafgesetzbuches richtig verstanden habe, ist Machtmissbrauch noch keine Form des sexuellen Missbrauchs – dieser setzt physische Gewalt voraus, sei sie nun real oder angedroht.) Wenn sich jedoch eine Frau aus opportunistischen Gründen gezwungen sieht, dem “Verführer” nachzugeben, dann wird dies – ungeachtet der eben beschriebenen Zusammenhänge von Macht und Sex sowie dem Missbrauch von beidem – vermutlich nicht als erzwungenes Verhalten gelten.
Aber warum eigentlich? Die American Psychological Association ordnet die sexuelle Belästigung (sexual Harassment) in das Spektrum von “Gewalt gegen Frauen” ein. Wenn sich Männer in Machtpositionen dieses Missbrauchs nicht bewusst sind, dann kann die Antwort ja nicht sein, “macht nichts”, sondern dann sollten sie darüber aufgeklärt werden. So wie sich ein Boxer bewusst sein muss, dass seine Fäuste eine gefährliche Waffe sein können (die US-Justiz bewertet den Einsatz körperlicher Gewalt durch ausgebildete Kampfsportler härter als durch Untrainierte), so sollten sich Vorgesetzte bewusst sein müssen, dass sie Macht über ihre Untergebenen haben – und dass sie diese Macht missbrauchen, wenn sie sexuelle “Vergünstigungen” von diesen annehmen, egal wie “freiwillig” dies auch erscheinen mag. Denn auch wenn sie es im speziellen (sexuellen) Fall nicht sehen wollen, sind sich doch gerade diese Machtmenschen ihrer Macht meist sehr bewusst. Oder, um Bargh et al. noch ein letztes Mal zu zitieren (diesmal gleich in deutscher Übersetzung):
“Es wäre naiv zu glauben, dass alle Personen, die ihre Amtsmacht für selbstsüchtige Zwecke missbrauchen, dies tun, ohne es zu bemerken; bei dem Gedanken kann man die Geister von Hobbes, Macchiavelli und Nietzsche vor Lachen brüllen hören.”
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