Ihre Kollegen lehnten die Virus-Hypothese allerdings erst mal ab.
Na ja, die CMV-Hypothese lag ja auch wirklich daneben. Aber wir Immunologen waren sicher, dass nur ein Virus in der Lage sein konnte, die T-Zellen und das ganze Immunsystem in diesem Ausmaß schädigen konnte. Doch damals war kein Virus bekannt, das speziell die T-Zellen des Immunsystems schädigen konnte. Erst als auch Bluter im Jahr 1982 infiziert wurden, fand die Virus-Hypothese breitere Zustimmung.
Aber nun sind es mehr als 20 Jahre, und für viele Virus-Erkrankungen hätte in dieser Zeit eine Impfung gefunden werden können. Was ist anders am Aids-Virus?
HIV kämpft nicht fair. Es ändert sich dauernd. Wer einen Impfstoff entwickeln will, muss wissen, worauf er zielt – HIV ist aber ein bewegliches Ziel. Es verändert sich, vergleichbar dem Influenza-Virus.
Erst fünfzehn Jahre nach der Entdeckung der Krankheit wurden Behandlungsmethoden gefunden, die das Leben der Patienten zumindest nennenswert verlängern konnten. Das heißt, eineinhalb Jahrzehnte lang war jeder Patient, den Sie behandelten, dem sicheren Tod geweiht.
Ja, das war sehr entmutigend.
Hatten Sie manchmal daran gedacht. alles hinzuschmeißen?
Wir hatten einen Hoffnungsschimmer, als 1987 AZT entwickelt wurde. Der Umstand, dass es etwas gab, das – wenn auch nur für kurze Zeit – das Leben der Patienten verlängern konnte, hat uns die Hoffnung gegeben, dass wir noch wirksamere Therapien finden würden. Aber ohne AZT wäre es für mich schwer gewesen, weiter zu arbeiten.
Welche anderen Meilensteine gab es im Lauf Ihrer Arbeit?
Erst mal die Anerkennung 1982, dass ein Virus die Ursache sein musste, und dann, ein Jahr später, die Entdeckung des Virus durch Francoise Barre am Pariser Pasteur-Institut. Daneben würde ich die Entwicklung des Aidstests nennen, dann AZT, und schließlich auch Rock Hudson, der 1985 seine Aids-Erkrankung öffentlich machte und sie damit ins Bewusstsein der Leute brachte. Der nächste große Schritt kam dann erst wieder 1995 mit der hochaktiven anti-retroviralen Therapie HAART. Und dann ist natürlich die Entdeckung von Aids in Afrika zu nennen, wo es zwar 1983 zum ersten Mal beschrieben, aber lange Zeit nicht erkannt wurde, sondern statt dessen als Slim-Disease abgehandelt wurde. Ich selbst habe auch lange gebraucht, biss ich begriff, dass es sich hier um die gleiche Sache handelte.
Wenn man sich die explosionsartige Ausbreitung von Aids in Afrika und Asien anschaut, muss man sich fragen, ob sich diese Krankheit jemals bewältigen lässt.
Ach du meine Güte, ja. Unsere Hauptprobleme liegen zurzeit darin, dass die meisten Menschen erstaunlich wenig über HIV wissen. Wussten Sie beispielsweise, dass Millionen von Menschen keine Ahnung haben, ob sie infiziert sind oder nicht? Die meisten der geschätzten 40 Millionen Aids-Infizierten weltweit wurden nie getestet, weil selbst für so etwas simples wie einen Aidstest die Mittel fehlen. Der erste Schritt muss erst mal sein, dieses Problem zu überwinden und die weitere Ausbreitung dadurch einzudämmen. Ich habe immer noch Hoffnung – nein, ich rechne fest damit, dass ein Impfstoff entwickelt werden kann.
Sind wir solch einem Impfstoff im vergangenen Jahrzehnt denn in irgend einer Weise näher gekommen?
Ohne Zweifel. Sicher nicht in der Form, dass ein spezifischer Wirkstoff gefunden wurde. Aber die Forscher, die daran arbeiten, wissen inzwischen viel genauer, worauf sie achten müssen, wenn sie einen Impfstoff entwickeln wollen.
Auf der anderen Seite haben die Medikamente, die Aids zu einer behandelbaren Krankheit machen, offenbar das Risikobewusstsein wieder verschlechtert. Es scheint, dass vor allem junge Menschen glauben, es genüge, ein paar Pillen zu schlucken, und ansonsten könne man so weiter leben wie zuvor.
Wer glaubt, dass er mit Aids leben kann, der sollte sich klar machen, dass das Leben nach einer Aids-Diagnose nie mehr so sein wird wie vorher. Alles ändert sich. Es ist nicht so, dass man ein paar Spritzen bekommt und dann geht’s einem gleich besser. Ich kann nicht begreifen, wie ein junger Mensch es für akzeptabel halten kann, sich mit etwas zu infizieren, das ihn zwingt, für den Rest seines Lebens Medikamente zu schlucken. Sicher, wer heute mit der Aids-Therapie beginnen muss, hat vermutlich noch Jahrzehnte zu leben – aber es ist ein schweres Leben, voller Pillen, gesellschaftlicher Ablehnung und der ständig lauernden Angst vor Komplikationen. Und was geschieht, wenn die Medikamente ihre Wirksamkeit verlieren?
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