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Es ist ein makabres Jubiläum: Seit drei Jahrzehnten wissen wir von jener damals noch obskuren Krankheit, deren sperriger Name “Acquired Immunodeficiency Syndrome”, in seiner Abkürzung AIDS (manchmal auch: Aids) inzwischen Jedermann und -Frau ein Begriff ist (oder zumindest sein sollte). Etwa 40 Millionen Menschen sind seither dieser Krankheit erlegen, die sich dank besserer pharmakologischer Versorgung zwar kontrollieren lässt, aber nach wie vor nicht heilbar ist. Ich hatte vor fünf Jahren, aus Anlass des 25. Jahrestages, ein Gespräch mit Dr. Michael Gottlieb geführt, jenem Arzt in Los Angeles, der am 5. Juni 1981 im “Morbidity and Mortality Report” der US- Seuchenkontrollbehörde CDC den ersten wissenschaftlichen Hinweis auf Aids publiziert hatte. Das Interview war bisher noch nicht veröffentlicht worden:

Als Sie den ersten medizinischen Artikel über ein ungewöhnliches neues Krankheitsbild veröffentlichten, das später als Aids bezeichnet werden sollte – ahnten Sie da schon, welche Ausmaße diese Seuche einst annehmen würde?

Wir wussten, dass es ein großes Problem werden würde, aber wir hatten keine Ahnung, wie groß. Dass es 40 Millionen Menschen weltweit treffen würde.

Ihr Artikel beruhte nur auf einer Handvoll Fälle …

Es waren genau fünf Patienten, ja.

Und trotzdem sahen Sie schon große Folgen voraus?

Fünf Fälle von schwer kranken Patienten mit unbekannter Diagnose in so kurzer Zeit, das ließ natürlich vermuten, dass es noch viel mehr solcher Fälle geben musste.

Worauf waren Sie damals spezialisiert? Aids-Spezialisten konnte es ja noch keine geben.

Ich war ein klinischer Immunologe an der Uniklinik der UCLA in Los Angeles. Ich wurde routinemäßig konsultiert, wenn Patienten mit unklarer Diagnose, deren Krankheitsursache also nicht auf Anhieb erkennbar war, behandelt wurden. Und darum wurde ich auch einbezogen, als der erste dieser Patienten mit einer schweren Lungenentzündung in die Notaufnahme eingeliefert wurde. Es war in gewisser Weise also ein reiner Zufall, dass er ausgerechnet in ein akademisches Zentrum kam, wo wir an Ort und Stelle waren. Als andere Ärzte von diesem Fall erfuhren, überwiesen sie vier weitere Patienten mit vergleichbaren Symptomen an uns.

Heißt das, dass es schon vorher Fälle gegeben haben könnte, die von den behandelnden Ärzten nur nicht erkannt wurden?

Die gab es ganz bestimmt. Nach der Publikation des Artikels erfuhr ich von vielen Ärzten, dass sie schon Monate vorher vergleichbare Fälle behandelt hatten.

Doch obwohl all diese Patienten innerhalb weniger Monate starben, schien sich zumindest die Öffentlichkeit kaum dafür zu interessieren. Die Resonanz in den Medien damals steht jedenfalls in keinem Vergleich zu der Aufregung, die Krankheiten wie Sars oder die Vogelgrippe heute auslösen können. Warum eigentlich?

Es war eine andere Zeit. Die Öffentlichkeit war über Krankheiten einfach weniger aufgeklärt – und vielleicht auch nicht so sehr daran interessiert. Und dann kam noch dazu, dass es sich um Homosexuelle handelte, die damals am Rand der Gesellschaft standen, im Gegensatz zu heute.

Aber auch die Reagan-Regierung ignorierte das Aids-Problem. Reagans späterer Regierungssprecher Pat Buchanan hatte 1983 sogar ganz unumwunden erklärt, dass Aids die Rache der Natur an den Homosexuellen sei.

Reagans innenpolitischer Berater damals war Gary Bauer, ein religiöser Konservativer, der das Ignorieren von Aids zu einem Bestandteil der innenpolitischen Agenda gemacht hatte.

Hätte eine andere Einstellung der Regierung damals helfen können, die explosionsartige Ausbreitung von Aids zu bremsen?

Ich denke schon. Tausende, wenn nicht sogar Zehntausende hätten eine Chance bekommen, Aids zu verhüten.

Allerdings hatte auch mangelndes Wissen viel zu seiner Ausbreitung beigetragen. So glaubten anfangs viele, dass nur Männer an dieser Krankheit sterben müssten.

Es gab eine große Scheu, über die Krankheit zu reden – auch, weil man nicht viel darüber wusste. Es dauerte ja allein drei Jahre, bis das verantwortliche Virus entdeckt und als Ursache akzeptiert wurde.

Aber Sie hatten doch von Anfang an ein Virus im Verdacht?

Ja, aber das war nur eine Vermutung. Ich hatte auf das Zytomegalievirus (CMV, ein Herpes-Virus, d.Red.) getippt – aber das war nicht die Ursache, sondern nur eine Begleiterscheinung der Krankheit.

Ihre Kollegen lehnten die Virus-Hypothese allerdings erst mal ab.

Na ja, die CMV-Hypothese lag ja auch wirklich daneben. Aber wir Immunologen waren sicher, dass nur ein Virus in der Lage sein konnte, die T-Zellen und das ganze Immunsystem in diesem Ausmaß schädigen konnte. Doch damals war kein Virus bekannt, das speziell die T-Zellen des Immunsystems schädigen konnte. Erst als auch Bluter im Jahr 1982 infiziert wurden, fand die Virus-Hypothese breitere Zustimmung.

Aber nun sind es mehr als 20 Jahre, und für viele Virus-Erkrankungen hätte in dieser Zeit eine Impfung gefunden werden können. Was ist anders am Aids-Virus?

HIV kämpft nicht fair. Es ändert sich dauernd. Wer einen Impfstoff entwickeln will, muss wissen, worauf er zielt – HIV ist aber ein bewegliches Ziel. Es verändert sich, vergleichbar dem Influenza-Virus.

Erst fünfzehn Jahre nach der Entdeckung der Krankheit wurden Behandlungsmethoden gefunden, die das Leben der Patienten zumindest nennenswert verlängern konnten. Das heißt, eineinhalb Jahrzehnte lang war jeder Patient, den Sie behandelten, dem sicheren Tod geweiht.

Ja, das war sehr entmutigend.

Hatten Sie manchmal daran gedacht. alles hinzuschmeißen?

Wir hatten einen Hoffnungsschimmer, als 1987 AZT entwickelt wurde. Der Umstand, dass es etwas gab, das – wenn auch nur für kurze Zeit – das Leben der Patienten verlängern konnte, hat uns die Hoffnung gegeben, dass wir noch wirksamere Therapien finden würden. Aber ohne AZT wäre es für mich schwer gewesen, weiter zu arbeiten.

Welche anderen Meilensteine gab es im Lauf Ihrer Arbeit?

Erst mal die Anerkennung 1982, dass ein Virus die Ursache sein musste, und dann, ein Jahr später, die Entdeckung des Virus durch Francoise Barre am Pariser Pasteur-Institut. Daneben würde ich die Entwicklung des Aidstests nennen, dann AZT, und schließlich auch Rock Hudson, der 1985 seine Aids-Erkrankung öffentlich machte und sie damit ins Bewusstsein der Leute brachte. Der nächste große Schritt kam dann erst wieder 1995 mit der hochaktiven anti-retroviralen Therapie HAART. Und dann ist natürlich die Entdeckung von Aids in Afrika zu nennen, wo es zwar 1983 zum ersten Mal beschrieben, aber lange Zeit nicht erkannt wurde, sondern statt dessen als Slim-Disease abgehandelt wurde. Ich selbst habe auch lange gebraucht, biss ich begriff, dass es sich hier um die gleiche Sache handelte.

Wenn man sich die explosionsartige Ausbreitung von Aids in Afrika und Asien anschaut, muss man sich fragen, ob sich diese Krankheit jemals bewältigen lässt.

Ach du meine Güte, ja. Unsere Hauptprobleme liegen zurzeit darin, dass die meisten Menschen erstaunlich wenig über HIV wissen. Wussten Sie beispielsweise, dass Millionen von Menschen keine Ahnung haben, ob sie infiziert sind oder nicht? Die meisten der geschätzten 40 Millionen Aids-Infizierten weltweit wurden nie getestet, weil selbst für so etwas simples wie einen Aidstest die Mittel fehlen. Der erste Schritt muss erst mal sein, dieses Problem zu überwinden und die weitere Ausbreitung dadurch einzudämmen. Ich habe immer noch Hoffnung – nein, ich rechne fest damit, dass ein Impfstoff entwickelt werden kann.

Sind wir solch einem Impfstoff im vergangenen Jahrzehnt denn in irgend einer Weise näher gekommen?

Ohne Zweifel. Sicher nicht in der Form, dass ein spezifischer Wirkstoff gefunden wurde. Aber die Forscher, die daran arbeiten, wissen inzwischen viel genauer, worauf sie achten müssen, wenn sie einen Impfstoff entwickeln wollen.

Auf der anderen Seite haben die Medikamente, die Aids zu einer behandelbaren Krankheit machen, offenbar das Risikobewusstsein wieder verschlechtert. Es scheint, dass vor allem junge Menschen glauben, es genüge, ein paar Pillen zu schlucken, und ansonsten könne man so weiter leben wie zuvor.

Wer glaubt, dass er mit Aids leben kann, der sollte sich klar machen, dass das Leben nach einer Aids-Diagnose nie mehr so sein wird wie vorher. Alles ändert sich. Es ist nicht so, dass man ein paar Spritzen bekommt und dann geht’s einem gleich besser. Ich kann nicht begreifen, wie ein junger Mensch es für akzeptabel halten kann, sich mit etwas zu infizieren, das ihn zwingt, für den Rest seines Lebens Medikamente zu schlucken. Sicher, wer heute mit der Aids-Therapie beginnen muss, hat vermutlich noch Jahrzehnte zu leben – aber es ist ein schweres Leben, voller Pillen, gesellschaftlicher Ablehnung und der ständig lauernden Angst vor Komplikationen. Und was geschieht, wenn die Medikamente ihre Wirksamkeit verlieren?

Woran arbeiten Sie selbst derzeit?

Ich widme mich sowohl der klinischen Versorgung von Patienten als auch der Forschung nach besseren Medikamenten.

Die Bush-Regierung* hat gelobt, 15 Milliarden Dollar in die Aids-Bekämpfung zu stecken. Ist davon schon etwas zu spüren?

Die Bereitschaft der Regierung, etwas zu tun, hat sich in den vergangenen Jahren spürbar verbessert. Selbst der konservative Senator Jesse Helms, der 20 Jahre lang alle Präventionsprogramme aus Abneigung gegen Homosexualität behindert hatte, hatte kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Senat im Jahr 2002 für Aidshilfe in Afrika appelliert. Es ist ironisch, dass es erst zu einer globalen Ausbreitung der Gefahr kommen musste, damit sich unsere Regierung zuständig fühlt. Von diesem Enthusiasmus war in den 80-ern und frühen 90-ern wenig zu spüren, als Aids noch ein inneramerikanisches Problem zu sein schien. Erst auf diesem Umweg hat sich die Forschungs-Finanzierung schließlich doch noch verbessert.


* Zur Erinnerung: Das Interview wurde im Mai 2006 geführt

Abb.: ChristianHeldt [Public domain], via Wikimedia Commons

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Kommentare (17)

  1. #1 Bey
    31. Mai 2011

    Dieses Totschweigen und andere Ignoranz geht ja oft mit dem Nicht-Wissen einher.
    Und natürlich mit dem Nicht-Wissen-Wollen. Oder wenigstens dem Nicht-Wahrhaben-Wollen.

    1990 war ich auf einer Infektionsstation einer Uniklinik beschäftigt.
    Dort bin ich zum ersten Mal AIDS-Kranken begegnet. Das waren zu dieser Zeit auch noch mehrheitlich männliche Homosexuelle, Bluter und ihre Frauen.
    Ich erinnere mich nur an wenige von ihnen. Das waren feine Menschen.
    Der Kontakt zu ihnen hat mich dazu bewogen, mich mit Homosexualität erstmals auseinander zu setzen.
    Damals wußte ich nichts von der Naturgegebenheit der Homosexualität.
    Doch habe ich sie schon zuvor nicht als unnatürlich eingestuft.

    Von Buchanans Äußerung wußte ich nichts.
    Erschreckend – auch zu dieser Zeit!

    Erschreckend auch, dass es viele Menschen gibt, die auch heute noch so denken und es offen aussprechen: Homosexualität ist unnatürlich und sollte (wieder) verboten werden.
    V.a. Männer sagen das. Frauen kaum.
    (Woran das liegt, frag ich mich gerade.)

    AIDS als Strafe.
    Die Natur als Richter.
    Und Buchanan damals – andere heute – als Zeugen der Anklage.
    Pfui Teufel.

    Nicht-Wissen wollen. Nicht Wahrhaben-Wollen. Manchmal auch nur: Sich-Gar-Nicht-Erst-Vorstellen-Wollen. Für Betroffene kommt es auf´s Gleiche raus: Man verkennt sie.

    Danke für das Interview!
    K.

  2. #2 noch'n Flo
    31. Mai 2011

    Tolles Interview. Ich bin echt neidisch, dass Du mit Gottlieb sprechen konntest – muss ein echt faszinierender Mann sein (wenn man so seinen Lebenslauf verfolgt).

    Aber dennoch bleibt es äusserst erschreckend, dass es immer noch Menschen gibt, die ungestraft HIV und AIDS in der (Internet-)Öffentlichkeit leugnen dürfen. Wir haben ja ein paar ihrer Jünger regelmässig als Trolle hier bei SB zu Gast. Sorry, aber in meinen Augen sind diese Menschen Mörder.

    Ich habe selber mal die Angst, an HIV erkranken zu können, durchstehen müssen: während meines Medizinstudiums habe ich an unserer Uniklinik in der Pflege gejobbt. Und 1993 hatte ich einen Unfall mit einer Spritzenkanüle, mit der ich kurz zuvor einem HIV-Patienten eine Anti-Thrombose-Spritze gesetzt hatte. (Und damals habe ich gelernt, dass das “Re-Capping” von Kanülen ein absolutes “No-Go” ist!!!) Damals war die Postexpositionsprophylaxe (PEP) noch nicht Gang und Gebe – und ich musste lange 3 Monate auf den 2. HIV-Test warten (der dann zum Glück negativ war – an diesem Tag wurde ich ein zweites Mal geboren!).

    Aber auch die PEP ist nicht wirklich schön – ein Kollege von mir hat sie mal vor etwa 10 Jahren erhalten, nachdem er einen “Zusammenstoss” beim Blutabnehmen bei einem HIV-positiven Junkie hatte. Er hat danach die Triple-Therapie bekommen – mit allen Nebenwirkungen. Und hat ebenfalls 3 Monate in Angst gelebt (er hatte damals schon Frau und 3 Kinder!). Zum Glück ist es auch für ihn gut ausgegangen.

  3. #3 flatolino
    1. Juni 2011

    Wer sich für die frühen Jahre der AIDS-Forschung und vor allem für deren Verhinderung (durch die Reagan-Administration, aber auch durch die Schwulen-Verbände selbst) interessiert, dem sei Randy Shilts’ “And the band played on” nahegelegt. Ein beeindruckendes Dokument für Dummheit und Niedertracht des homo sapiens.

  4. #4 Barbara
    1. Juni 2011

    Das willkürlich erscheinende Ignorieren von Krankheit und Virus scheint mir sehr ähnlich dem zu sein, was gerade mit dem relativ “neuen” humanen Retrovirus XMRV (Xenotropic Murine Leukemia-Virus Related Virus) und schon lange mit der Krankheit CFS / Chronic Fatique Syndrom (G 93.3) passiert. Wobei einei Verbindung zwischen beiden erst seit relativ kurzer Zeit im Gespräch ist. Und wobei noch unklar ist, inwieweit diese Verbindung ursächlicher Natur ist oder es sich eher um einen “contributing factor” handelt.

    CFS ist eine schwer behindernde Multisystemerkrankung, deren Ausprägungsgrade bis zu kompletter Bettlägerigkeit mit konstanten Schmerzen und aufgrund Lichtempfindlichkeit notwendiger Zimmerverdunkelung reichen. Und das über Jahre und Jahrzehnte hinweg ohne bisher mögliche ursächliche Besserung. Dr. Nancy Klimas, führende Forscherin im Bereich HIV/ Immunologie verglich beide Krankheiten einmal so: “Meine Aids Patienten sind in den meisten Fällen gesund und munter, dank drei Jahrzehnte intensiver und exzellenter Forschung und Milliarden von Dollar. Auf der anderen Seite sind viele meiner CFS-Patienten sehr krank und nicht in der Lage zu arbeiten oder sich um ihre Familie zu kümmern. Ich teile meine Arbeit zwischen den beiden Krankheiten (Aids und CFS) und ich kann Ihnen sagen, wenn ich zwischen den beiden Krankheiten wählen müsste (2009), ich hätte lieber Aids.”

    Und trotzdem wird diese zugegebenermaßen oft eben auch “bizarr” und “grotesk” wirkenden Krankheit immer noch weiter ignoriert, bagatellisiert, als psychogene Erkrankung (Hypochondrie!, Depression!) fehlgedeutet und die Betroffenen so immer weiter missachtet, verhöhnt, abgeschnitten von oft jeglicher ärzlicher Versorgung. Jetzt ist eine mögliche Verbindung mit dem Retrovirus XMRV aufgetaucht, – ob es der öffentlichen Wahrnehmung dieser Krankheit helfen wird? Zweifel kommen auf, wenn man verfolgt, wie auch die Erforschung dieses Virus immer wieder so scheint es willkürlich blockiert, verschleiert, ignoriert wird:

    Führend im Nachweis von XMRV ist Prof. Judy Mikovits vom Whittemore Peterson Institute. Und obwohl ihre Studien das Virus sicher identifizieren und bisher auf einen deutlichen Zusammenhang mit CFS hinweisen (Vorkommen bei CFS bis zu 90%, Vergleich gesunde Bevölkerung ca. 4%) wird von allen Seiten, so scheint es, immer wieder versucht, dieses Ergebnis (sowohl Nachweis als auch Zusammenhang) mit allen -auch unlauteren- Mitteln zu widerlegen.

    Da werden Gegenstudien entworfen und angeführt, die nie dazu ausgelegt waren den Nachweis zu wiederholen, die sich anderer, unausgereifter Methodik bedienen … um dann aber das negativ ausfallende Ergebnis als Widerlegung zu interpretieren. Oder es wird der Vorwurf der Kontamination erhoben, ohne zu beachten (absichtlich?), dass die Kontaminationsgefahr dem Mikovits-Team längst bekannt und immer umgangen worden war. Und so weiter und so weiter.

    Auf einer Tagung sagte Mikovits, dass sie schon lange versuche, ihre Studien ausführlich in die entsprechende Fachliteratur/ -zeitschriften zu bringen (weiß nicht so genau, welche), dass dieses aber munter verhindert werde. Schwer zu verstehen, wer an dieser Art Verleugnung anscheinend so großes Interesse hat und warum…

    Ist da die Angst im Spiel, dass die Blutbanken längst mit diesem gefährlichen Virus (der aufgrund neuro- und immuntoxischer Eigenschaften übrigens noch mit allerlei anderen Krankheiten in Verbindung gebracht wird) verseucht sind und man Panik in der Bevölkerung vermeiden will? Macht sich etwas seltsam neben der Tatsache finde ich, dass CFS-Erkrankte in vielen Ländern bereits von Blutspenden ausgeschlossen sind (meines Wissens rät auch das RKI davon ab), so ganz geheuer scheint den öffentlichen Stellen die Sache also nicht zu sein.

    Aber natürlich ist es einfacher, beim CFS munter weiterhin eine psychogene Störung zu unterstellen. Entgegen aller Faktenlage und im Widerspruch zu allen seriösen Studien (=mit eindeutiger Kohortenbildung nach den “Kanadischen Kriterien”!), die allerlei immunologische, endokrinologische, neurologische Auffälligkeiten darstellen.

    … Alles jetzt mal so dargestellt, wie es mir als Laiin zugänglich ist. Allerdings würde ich wirklich gerne mal eine unabhängige seriöse Recherche zum Thema der XMRV-Forschung lesen: Wer verhindert da eigentlich was wie und warum? Scheint mir nämlich durchaus ein Politikum zu sein dieses Thema, mit heftiger Aktivität auf der Metaebene.

    -> Wär das nicht mal was für dieses Blog ?!

    Würd mich drüber freuen!
    Barbara

    Informationen zur Krankheit CFS
    https://www.lost-voices-stiftung.org/

    Darstellung des aktuellen Standes der Wissenschaft XMRV / Dr. AzRa Mae
    https://www.cfs-aktuell.de/maerz11_1.htm

    Konferenz-Zusammenfassung “Invest in ME” vom 20.05.11, auf der auch Judy Mikovits sprach. Direkt nach ihr berichtete Dr. Bieger, der bei der Entwicklung eines validen Testes inzwischen mit ihr zusammen arbeitet, im Zuge seiner Studien in Deutschland auch von XMRV-Funden bei deutschen CFS-Patienten, ohne bereits einen fixen Wert zu nennen. (In einer anderen Publikation war von ca. 70% die Rede, wobei die Tests immer noch weiter ausgefeilt werden).
    https://www.facebook.com/note.php?note_id=10150201835666797&comments

  5. #5 Wookie Monster
    1. Juni 2011

    Auf die Gefahr hin, dass das hier zum “Thread-Hijack” wird, dennoch

    @Barbara: Ich gebe zu, dass ich über die CFS-Forschung nur wenig weiß, abgesehen von ein paar Artikeln zum Thema in den englischsprachigen Science Blogs. Allerdings leuchtet mir nicht wirklich ein, was die Motivation dafür wäre, Erkenntnisse über einen CFS/XMRV-Zusammenhang zu unterdrücken. Wer genau hätte denn ein Interesse daran?

    Oft heißt es ja, medizinische Forschung sei in der Hand der pharmazeutischen Industrie. Aber die müsste doch frohlocken, wenn so eine klare Ursache für eine bisher rätselhafte Krankheit gefunden würde! Dann könnte man sich an die Entwicklung entsprechender Medikamente machen und sehr gut daran verdienen.

    Es ist jedenfalls sehr problematisch, Forscher mit gegenteiligen Ergebnissen als den Feind zu betrachten. Einem Anfangsverdacht zu einer möglichen Ursache sollte nachgegangen werden, ganz klar. Andererseits muss aber auch verhindert werden, dass falschen Fährten nachgelaufen wird, und dass auf einen bloßen Verdacht hin ohnehin schon schwer kranken Menschen eventuell sinnlos Medikamente verabreicht werden. Antiretrovirale Mittel sind ja nicht gerade nebenwirkungsfrei, fragen Sie mal HIV-Patienten! Falsche Hoffnung nützt niemandem, den Erkrankten am allerwenigsten, und wenn Ergebnisse eines Labors in anderen nicht reproduziert werden können, ist das oft ein Zeichen für methodische Mängel.

    Dass die Blutbanken Spender ablehnen, die unter heftigen körperlichen Beschwerden unbekannter Ursache leiden, ist vollkommen logisch. Selbst wenn XMRV nicht die Ursache ist, könnte es ja immer noch einer andere Art von Infektion sein. Also besser auf Nummer Sicher gehen – CFS-Patienten dürften wohl kaum die Hauptkundschaft der Blutspendezentralen sein.

  6. #6 Dagda
    1. Juni 2011

    @ Barbara
    es gibt mittlerweile ernste Zweifel an der XMLV Theorie des CFS, weil ein großteil der Studien zu dem Thema kein XMLV in Proben von CFS-Patienten finden konnten (das gilt auch für die Originalproben) und es auch wahrscheinliche Erklärungen gibt warum die Originalstudien fälschlicherweise XMLV gefunden haben.

    Auch und ja großartiges Interview

  7. #7 Dagda
    1. Juni 2011

    Tihi wie passend(und damit ist der Thread entgültig gekappert?):

    https://www.sciencemag.org/content/early/2011/05/31/science.1208542.abstract

  8. #8 Barbara
    1. Juni 2011

    @Dagda
    Ja, es werden immer wieder Zweifel an der XMRV-Theorie und an den Nachweismethoden laut. Das ist aber nichts Neues. Auffällig dabei ist halt dass diese “Gegenstudien” sich nicht wirklich mit der Anfangsstudie befassen und von vornherein auf Verschleierung aus zu sein scheinen. So gibt es längst umfangreiche Stellungnahmen des WPI zum “Kontaminationsvorwurf”, die diesen ausführlich entkräften. Komisch: Bisher ist mir keine Erwiderung hierauf bekannt. Genauso wenig wie auf alle anderen Stellungnahmen auch.

    Das Muster ist: Eine angebliche Gegenstudie wird veröffentlicht und mit großem Getöse verkündet. Das WPI antwortet mit einer Gegenstellungnahme und weist auf methodische Mängel eben dieser Studien und die Nicht-Anwendbarkeit auf die Ursprungsstudie und -ergebnisse hin. Widerlegt differenziert Darstellungen zu unterstellten eigenen methodischen Mängeln. Und dann: Schweigen im Wald. Und genau das .. finde ich auffällig. Wie gesagt, ich bin Laie, aber wenn ich diesen argumentativen Schlagabtausch so beobachte, dann erscheint mir die WPI-Seite doch deutlich die besseren Karten zu haben, seriöser zu argumentieren, ernsthafter an einer Aufklärung der XMRV-Geschichte interessiert zu sein.

    Aktuelle Stellungnahme z.B. hier
    https://files.me.com/jdj88/y0x76z
    Ausführungen u.a. zu den “Kontaminationsvorwürfen” im bereits zitierten Link
    https://www.cfs-aktuell.de/maerz11_1.htm

    @Wookie Monster
    Wie kommen Sie darauf, dass es mir (oder den WPI-Forschern) darum ginge, “Forscher mit gegenteiligen Ergebnissen als den Feind zu betrachten”? So etwas hielte ich in der Tat für inakzeptabel, sollte Wissenschaft doch immer den steten Zweifel hegen und auf Überprüfung und Überprüfbarkeit aus sein. Genau dieses, mangelnde Seriosität, mangelndes ernsthaftes Interesse an Aufklärung der Zusammenhänge und Weiterbringen der Forschung scheint jedoch, wie oben bereits erwähnt, auf Seiten der XMRV-Anzweiflern zu sein. Das scheint wie eine Mauer zu sein, – warum auch immer. Und genau hier wird es ja interessant…

    Es geht bei dieser Sache übrigens noch gar nicht um einen möglichen Zusammenhang mit CFS, vielmehr scheint die XMRV-Existenz und der XMRV-Nachweis an sich angezweifelt zu werden. Ohne eben bereits erbrachte, wasserdichte Nachweise zur Kenntnis zu nehmen. Forschung, die nicht immer weiter geht, auf bereits erbrachten Erkenntnissen aufbaut, widerlegten Theorien nachhängt ist nicht seriös, oder? Stattdessen: Was nicht sein darf, das nicht sein kann… so scheint es mir hier zu sein. (Alles natürlich meinem Eindruck nach wie gesagt, aber ich habe mich dann doch schon einige Zeit recht intensiv – mehr als Sie, wie Sie ja selber zugeben- mit dem Thema beschäftigt.

    Zum Thema antiretrovirale Therapie: Es laufen in Amerika bereits Therapieversuche von CFS-Erkrankten mit antiretroviraler Therapie. Auch wenn es hierzu noch keine Studie gibt, das was man so in den Blogs der betreffenden Personen lesen kann, hört sich z.T. recht erfolgversprechend an.

  9. #9 Barbara
    2. Juni 2011

    @Dagda
    Zu den ganz aktuell im Wissenschaftsmagazin Science geäußerten Zweifeln am Zusammenhang XMRV /CFS gibt es hier eine gute Übersicht der Zusammenhänge
    https://www.cfs-aktuell.de/juni11_3.htm
    inclusive einer Antwort des Ärztlichen Beirats des WPI /Whittemore Peterson Instiut
    https://www.cfs-aktuell.de/juni11_3.htm#30._Mai_2011_
    und einer Stellungnahme von Judy Mikovits
    https://files.me.com/jdj88/keednw
    Es sieht also alles ganz nach dem altbekannten Muster (s.o.) aus, “same old story” also. Das ist der Sache leider nicht dienlich.

  10. #10 Wookie Monster
    2. Juni 2011

    @Barbara: Der vorgebliche Zusammenhang zwischen XMRV und CFS ist keine Theorie, dafür bräuchte es wesentlich mehr Belege. Eine Vermutung is diesem Stadium nennt man Hypothese.
    Ein bestimmtes Labor hat Blutproben untersucht und einen mögliche Zusammenhang gefunden. Dass sich andere Arbeitsgruppen dieser Thematik annehmen und die Hypothese skeptisch überprüfen, ist völlig normal: So funktioniert Wissenschaft. Eine solide Hypothese, die etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat, sollte allen Versuchen standhalten, sie zu widerlegen – so wie es (um mal auf Thema zurückzukommen) im Fall der Virushypothese für AIDS der Fall war.
    Die molekularbiologischen Methoden, die für die Detektion von XMRV verwendet wurden, sind notorisch anfällig für die kleinsten Kontaminiationen. Da muss nicht mal besonders geschlampt werden – es bedarf höchster Sorgfalt, um sie zu verhindern, und dass monate- oder gar jahrelang Phantomen nachgejagt wird, ist leider gar nicht mal so selten. Wenn ein einziges Labor ein bestimmtes Virus findet, alle anderen Labore (selbst in Proben der exakt gleichen Patienten, mit den gleichen PCR-Primern!) aber nicht, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass ein Kontaminationsproblem vorliegt. Da können die Autoren noch so oft behaupten, eine Kontamination sei ausgeschlossen – das ist im Nachhinein sicher schwer nachzuprüfen. Letztlich ist es aber nicht nötig, eine Kontamination nachzuweisen. Wenn das Virus da ist, müssten auch andere Labore im Stande sein, es zu finden. Wenn niemand sonst es finden kann, kann man nicht von einem erwiesenen Zusammenhang sprechen.

    Die englischsprachigen ScienceBlogs haben übrigens einen Retrovirus-Experten in ihren Reihen, der das Thema über die letzten zwei Jahre intensiv verfolgt hat. Hier die Übersicht über seine Beiträge, mit vielen Links zu den originalen Studien: https://scienceblogs.com/erv/xmrv/

    Offenbar wurden in der ursprünglichen Studie Schlüsse gezogen, die die Daten so nicht hergaben und die damit unzulässig waren.
    Dass XMRV Menschen infizieren kann, ist längst nicht erwiesen. Bisher konnte er offenbar noch nicht einmal in humenen Zellkulturen vermehrt werden. Ihn als Erreger für eine betimmte Krankheit zu postulieren, ist daher hochgradig unseriös. Die Seiten, die Sie verlinkt haben, sind extrem einseitig und tendentiös und scheinen die Möglichkeit eines Nicht-Zusammenhangs gar nicht in Betracht zu ziehen. Das hat mit vernünftiger wissenschaftlicher Berichterstattung nichts zu tun. Wer belastbare Daten zum Thema hat, soll sie liefern. Sich als vom Mainstream verfolgte Opfer hinzustellen ist der Sache nicht dienlich. (Der ScienceBlogger hat zwar auch einen sehr flapsigen Tonfall, kann aber zumindest alles, was er zum Thema schreibt, mit Originalquellen belegen.)

    Noch einmal meine Frage: Was wäre die Motivation dafür, Informationen über einen existierenden Zusammenhang zu unterdrücken? Wer hätte etwas davon? Ohne nachvollziehbares Motiv sehe ich wirklich keinen Grund, an ein Komplott zu glauben.

  11. #11 Barbara
    2. Juni 2011

    @WookieMonster

    Es ist beileibe nicht nur “ein bestimmtes Labor”, welches einen “möglichen Zusammenhang” herausgefunden hat: Das Team um Harvey Alter, Hepatitis-Forscher hatte bereits einige Zeit vorher dem XMRV sehr ähnliche Viren aufgespürt (welches sich verändert und Varianten ausbildet wie andere (Retro-)Viren auch). Später wiesen dann Studien in vielen (auch europäischen) Ländern auf einen Zusammenhang hin. In Norwegen wurden 67% der CFS-Erkrankten postiv getestet, Nicole Fischer vom UKE forscht ebenfalls zum Thema und konnte in ersten Studien ähnliche Positiv-Ergebnisse erzielen. Und das alles, und das ist wichtig (!) im Vergleich zur Vorkommenshäufigkeit einer gesunden Kontrollgruppe (3-6%)

    Und da wären wir auch schon bei einigen sehr wichtigen Argumenten gegen die Kontaminationstheorie angelangt, zu denen, ich wies bereits darauf hin, deren Vertreter jedoch niemals Stellung genommen haben:

    1. Deutlich gegen Kontamination der Proben sprechen doch schon die Unterschiede der XMRV-Positivität in Blutproben erkrankter und gesunder Menschen. Hätte hier wirklich eine Kontamination vorgelegen sollte man doch erwarten, dass alle Proben gleichmäßig durchseucht sein müssten!?
    2. Soweit ich weiß, weisen alle sogenannten Gegenstudien ein großes Manko auf: Sie konnten überhaupt kein XMRV nachweisen! (So z.B. eine Studie des RKI!) Es fehlt also der Beweis, dass hier überhaupt geeignete Methoden zum XMRV-Nachweis angewandt wurden. Und, ich sag es nochmal: Die (inzwischen hoch spezialisierten) Test-Verfahren des Mikovits-Teams wurden dabei nie (!) einer Überprüfung unterzogen, man wandte sie schlicht nicht an, sondern benutzte eigene Testverfahren.
    3. Gegen eine Kontamination spricht auch das Auffinden / die Bildung von Antikörpern und
    4. dass das Virus durch das Mikovits-Team eben sehr wohl in humanen Zellkulturen kultiviert werden konnte!

    Und dann, soso, die von mir verlinkten Seiten sind “einseitig und tendenziös”? 😉
    Ja, Sie haben recht, diese Seiten stellen die Position einer Seite dar, – nämlich die Seite, die in offiziellen Darstellungen leider immer unter den Tisch fällt. Und nur zusammen wirds rund, oder? Der Unterschied ist: Die XMRV-Anzweifler entwerfen munter immer weiter Studien, die (absichtlich?) völlig an der angezweifelten Studie vorbei operieren (um die es doch aber eigentlich gehen soll), betreiben mit längst bekannten Allgemeinplätzen (Kontaminationsanfälligkeit!) Vernebelung, und nehmen vor allem selbst niemals Stellung zur darauf prompt erfolgten Stellungnahme und Kritik der “Befürworter-Seite”. Diese widerum stellt sich wirklich der Diskussion … bekommt nur leider niemals eine ebenso differenzierte Antwort. Seltsam.

    Wer etwas davon hat? Keine Ahnung. Verschwörungstheorien sind nicht mein Ding, das überlasse ich anderen. Und ich sag ja auch gar nicht, dass ich die Sache komplett überblicke oder mir auch nur sicher bin, welche Seite Recht hat. Wäre ja auch komplette Hybris. Ich habe aber sehr den Eindruck, dass da eben nicht mit offenen Karten gespielt wird, und dass die Freiheit und Ergebnisoffenheit der Forschung hier eben nicht oberste Priorität hat und die Wissenschaft eben nicht so funktioniert wie sie soll.

    Aber z.B.: Es gibt Thesen, dass das CDC /Center of Disease Control da stark reglementierend eingreift, um eigenen Versäumnisse der Vergangenheit zu vertuschen oder eben, auch bereits erwähnt, Panik in der Bevölkerung zu vermeiden. Auf Seiten der Wissenschaftler, – keine Ahnung.. Heimliches Gerangel um Entdeckerehre, Patentanmeldung oder sowas? Genau deshalb würde ich mir ja mal eine objektive (=alle Sichten berücksichtigende), kenntnisreiche, umfassende Darstellung wünschen.

  12. #12 Wookie Monster
    2. Juni 2011

    Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Retrovirus-Kontamination eine falsche Fährte erzeugt. Dem Virologen Dr. Robin Weiss ist in den Neunzigern mal etwas ganz ähnliches passiert mit einer scheinbar sensationellen Entdeckung, nachzulesen hier: https://www.biomedcentral.com/1741-7007/8/124
    Dieser Artikel stellt die Situation auch sehr gut dar:
    https://www.chicagotribune.com/health/sns-health-wellness-chronic-fatigue-syndrome-study,0,6716224.story

    Haben Sie für die anderen “positiven” Studien Referenzen zur Hand? Die würde ich nämlich gern mal nachlesen. Laut dem ERV Blog hat Harvey Alter z.B. nicht XMRV, sondern ein völlig anderes Retrovirus gefunden.

    2. Soweit ich weiß, weisen alle sogenannten Gegenstudien ein großes Manko auf: Sie konnten überhaupt kein XMRV nachweisen! (So z.B. eine Studie des RKI!) Es fehlt also der Beweis, dass hier überhaupt geeignete Methoden zum XMRV-Nachweis angewandt wurden.

    Das stimmt so nicht. Glauben Sie wirklich, darauf wäre noch kein Wissenschaftler gekommen? In der PCR wird standardmäßig eine Probe der gesuchten DNA-Sequenz als Positivkontrolle verwendet, um nachzuweisen, dass die Testmethode funktioniert. In allen Studien, die ich mir bisher angeschaut habe, wurde so eine Kontrolle eingesetzt und hat ein positives Ergebnis geliefert.

    Die XMRV-Anzweifler entwerfen munter immer weiter Studien, die (absichtlich?) völlig an der angezweifelten Studie vorbei operieren (um die es doch aber eigentlich gehen soll)

    Nein, es geht nicht um die Studie, sondern um die Frage, ob das Virus in erkrankten Menschen auffindbar ist oder nicht. Sofern es da ist, sollte es mit verschiedenen Mitteln aufzufinden sein, auch wenn die erste Studie nicht 1:1 kopiert wird.

    Mal etwas grundsätzliches zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn: Wer glaubt, eine neue Erkenntnis gewonnen zu haben – z.B. das ein bisher nicht als Krankheitserreger bekanntes Virus eine bestimmte Krankheit auslöst – der trägt die Beweislast und muss Daten liefern, die seine Behauptung stützen. Selbst die besten Wissenschaftler machen Fehler, und eine Studie (oder auch eine Handvoll Studien) beweist gar nichts. Die Kontaminationsvermutung ist nicht Gegenstand der Diskussion und muss nicht bewiesen werden. Sie ist einfach die beste Erklärung für die Gesamtheit der bisher gewonnenen Daten.

    Ich sehe hier keine Leugnung, keine Verweigerung und kein Mauern, sondern nur Forscher, die ihren Job machen.

  13. #13 Barbara
    3. Juni 2011

    @Wookie Monster
    Retroviren verändern sich ständig und auch XMRV zeigt eine große Sequenzvariation, man findet bei verschiedenen Menschen u.U. unterschiedliche Sequenzvariationen.
    Harvey Alter konnte zusammen mit Shyh-Ching Lo in der Lo/Alter Studie von 2010 die Ergebnisse der XMRV-Science Studie von 2009 bestätigen. Man fand hier das PMRV – eine Variation. Eine Stellungnahme Harvey Alters zum Thema XRMV:
    https://www.cfs-aktuell.de/januar11_1.htm#Stellungnahme_von_Harvey_Alter,_Mitentdecker_des_Hepatitis-C-Virus__

    Ja, “In der PCR wird standardmäßig eine Probe der gesuchten DNA-Sequenz als Positivkontrolle verwendet, um nachzuweisen, dass die Testmethode funktioniert”. Das reicht aber in diesem Fall nicht aus. In allen Negativstudien wurde nur die analytische Sensitivität und Spezifität der Assays gezeigt ohne deren Fähigkeit zu beweisen, das Virus in klinischen Proben von Menschen zu entdecken. Zum Teil (Knox et al. und Shin et al.) wurde eindeutig die Unzulänglichkeit íhrer Assays gegenüber klinisch positiven Proben demonstriert. Das ist entgegen der CLIA-Vorschriften, welche verlangen, solche Assays zunächst klinisch zu validieren. Es ist also nicht hinreichend nachgewiesen worden, dass (Zitat) “das verwendete Assay virale Nukleinsäure-Sequenzen in ihrer natürlichen Matrix und den natürlich vorkommenden Strukturen (zirkuläre DNA, Prä-Integrationskomplexe) entdecken kann, die sich chemisch und physikalisch von mit Wasser versetztem Plasmid, plazentarer DNA oder sogar Blut unterscheiden”.

    Abgesehen davon ist die PCR längst nicht mehr die einzige Methode, um XMRV nachzuweisen. Auch dies nehmen alle Gegenstudien nicht zur Kenntnis. Von daher ist Ihre Aussage “Sofern es da ist, sollte es mit verschiedenen Mitteln aufzufinden sein, auch wenn die erste Studie nicht 1:1 kopiert wird.” ja auch nur sehr bedingt richtig, da der Nachweis von XMRV eben extrem schwierig ist und einige Besonderheiten erfordert (anders als bei anderen Retroviren z.B. wochenlange Kultivierung der Proben, Suche nach Variationen etc). Wenn man bereits heraus gefundene Erfordernisse nicht beachtet, muss man sich schon den Vorwurf der Willkür gefallen lassen, finde ich.

    Informationen zu den von mir erwähnten Studien sind bei vorhandenem Interesse sicherlich leicht im Internet zu entdecken. Hier bitte ich Sie, sich einfach selbst schlau zu machen.
    Zur norwegischen Studie z.B. hier
    https://www.hetalternatief.org/XMRV%202010%20762.htm
    zur Studie von Nicole Fischer z.B. hier
    https://www.g-f-v.org/docs/1286790170.pdf
    Selbst das RKI scheint die Existenz von XMRV inzwischen ernst zu nehmen
    https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1399-3089.2010.00607_14.x/pdf
    und wie erwähnt arbeitet Dr. Bieger, Laborarzt aus München zur Zeit an einer Studie mit deutschen CFS-Patienten, deren Ergebnis er allerdings noch nicht publiziert hat. Auf der bereits erwähnten vor kurzem stattgefundenen Konferenz “Invest in ME” konnte er laut mündlichen Zeugen (eine Abschrift gibt es (derzeit?) noch nicht) einen Zusammenhang bestätigen. In der neu aufgelegten Ärztemappe des Bündnis ME/CFS ist bereits von einem Positivwert von ca 70% die Rede

  14. #14 Nanu
    3. Juni 2011

    Gute Diskussion hier. Ich habe im Moment wenig Zeit, eins möchte ich kurz einwerfen: Der zitierte Retrovirologe “ERV” ist eine “sie”, und zwar eine Studentin, die sich wohl eher auf persönliche Attacken auf unterstem Niveau als auf wissenschaftliche Analysen spezialisiert. Ihre Argumente sind eher löchrig. So bringt sie z. B. immer wieder das Argument von falsch-positiven AK-Tests auf HIV in Gesunden an. Die Häufigkeit dieser Ergebnisse ist vernachlässigbar gering, keinesfalls werden diese im zweistelligen Prozentbereich gefunden.

    Ich denke es ist nicht übertrieben zu fordern, dass die Forschung zu XMRV zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beendet werden sollte. Was “Science” zu diesem Vorstoß bewogen hat, ist unklar. Klar ist hingegen, dass es hier nicht rein um wissenschaftliche Erkenntnisse geht, sondern weitere Interessen eine Rolle zu spielen scheinen. Wo läge ansonsten das Problem, auf die bereits in der Planung befindliche Multicenter Studie zu warten? Es wäre doch zumindest interessant, ob das WPI in einem Blindversuch weiterhin Patienten von Kontrollen unterscheiden kann.

    Erinnert mich irgendwie an die Kontaminationsvorwürfe zu Zeiten der HIV Entdeckung (“and the band played on…”).

    Ich werde die Entwicklungen weiter mit Interesse verfolgen.

  15. #15 Nanu
    3. Juni 2011

    PS: Noch ein wichtiger Fakt:

    Die gefundenen PMRV sind keine “völlig verschiedenen” Viren. Sie sind näher mit XMRV verwandt als verschiedene Stränge, die alle “HIV-1” genannt werden.

    Diese Studie bestätigte auch laut Autoren die Ergebnisse der Lombardi et al Studie.

    Ganz so einfach ist alles leider doch nicht, dass man es einfach so ad acta legen könnte…

  16. #16 Wolfgang
    6. Juni 2011

    Nanu schreibt

    So bringt sie z. B. immer wieder das Argument von falsch-positiven AK-Tests auf HIV in Gesunden an. Die Häufigkeit dieser Ergebnisse ist vernachlässigbar gering, keinesfalls werden diese im zweistelligen Prozentbereich gefunden.

    Der HIV Test misst HIV Antikörper und ist ein Screening Test. Diese Teste minimieren die Zahl der falsch negativen HIV-Test Ergebnisse. Das wäre ja auch ein Problem beispielsweise im Blutspendebereich, wenn hier immer wieder wahr positive als falsch negative vorkommen würden. Dafür darf ein Screening Test aber einige falsch positive Test Ergebnisse produzieren.
    So in etwa sind bei uns von 10 positiven Resultaten des Screening Tests neun falsch positiv. Deswegen gibt es die Bestätigungsteste (Western Blot, Antigen-teste, PCR) diese fischen aus den Screening Test positiv Getesteten die echt Infizierten heraus.

    Um übrigen ist es ein medizinischer Kunstfehler einem Patienten ein positives Screening Ergebnis mitzuteilen. Zuerst muss ein Bestätigungstest durchgeführt werden, ist dieser positiv wird eine zweite Blutabnahme durchgeführt- nochmals Screening Test und Bestätigungstest- nur wer eindeutig zwei mal positiv getestet wird, bekommt das Ergebnis mitgeteilt.

  17. #17 Toni
    5. September 2019

    Heute wird Myalgische Enzephalomyelitis (ME) verschwiegen.
    Zitat einer HIV und ME/CFS Forscherin:
    „Ich habe meine Klinikzeit auf zwei Krankheiten aufgeteilt und ich kann Ihnen sagen, wenn ich eine wählen müsste, hätte ich lieber HIV als CFS.“
    Dr. Nancy Klimas, AIDS und CFS Forscherin and Spezialistin, University of Miami
    Mehr Infos gibts hier https://www.me-information.de/

    ME Patienten sind deutlich schlimmer (teilweise hunderte Symptome!) krank als HIV-Patienten, die ja inzwischen eine Therapie erhalten und kein Arzt würde sagen, sie sollen doch mal einen Psychologen aufsuchen. HIV Patienten sterben ohne Therapie, ME Patienten siechen dahin. Das Problem ist, ME Patienten sterben nicht so schnell.