Muss ich den Begriff Dilemma erklären (hier hilft Wikipedia)? Das Dilemma, um das es hier geht, ist ein ziemlich unerquickliches, aber nicht minder grundsätzliches: Sollen/dürfen Ärzte bei Hinrichtungen assistieren? Beide Antworten – ja sowohl als auch nein – haben gute Gründe, die für sie sprechen, und große Probleme, die sie nach sich ziehen. Sind also ein klassisches Dilemma.
Erst mal die “Vorbemerkung in eigener Sache”: Ich bin kategorisch und uneingeschränkt gegen die Todesstrafe. Dass manche diese Meinung nicht teilen, ist mir klar. Aber dass ich wiederum deren Meinung nicht teilen muss, ist ebenso klar. Dieser Beitrag soll keine Grundsatzdiskussion zum Thema Todesstrafe nach sich ziehen – ich werde mir hier vorbehalten, gegebenenfalls moderierend Kommentare auszublenden, die nur dazu dienen; Gegner und Befürworter der Todesstrafe pauschal als Idioten hinzustellen. Denn für die folgenden Betrachtungen ist es essentiell, die Todesstrafe als Faktum zu akzeptieren – ob sie uns passt oder nicht, sie ist in den USA (und anderen Ländern, aber ich begrenze mich hier auf die US-Praxis) geltendes Recht.
So, nun also zum Dilemma, auf das ich durch diesen Bericht des Hastings Center aufmerksam wurde: In 33 von 34 US-Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe vollzogen wird, ist eine Partizipation von Ärzten bei der Vorbereitung und/oder Durchführung der Exekution ausdrücklich vorgeschrieben. Doch dies kollidiert mit den Statuten einiger medizinischen Standesorganisationen: Die American Medical Association, beispielsweise, erklärt in ihrem Ehrencodex:
A physician, as a member of a profession dedicated to preserving life when there is hope of doing so, should not be a participant in a legally authorized execution.
Ein Arzt, als Mitglied eines Berufsstandes, der sich dem Erhalten von Leben, so es Hoffnung gibt, dies zu erreichen, verschrieben hat, sollte kein Teilnehmer an einer gesetzlich authorisierten Hinrichtung sein.
Dies ist zwar nur eine Empfehlung, und in der Praxis folgen so gut wie nie irgend welche Sanktionen, doch zumindest ein Fall ist aktenkundig, in dem einem Arzt die Mitgliedschaft in seiner Ärztekammer aufgekündigt wurde. Doch im Februar 2010 hat die US-Kammer der Narkoseärzte (American Board of Anesthesiology) beschlossen, jedem Anästhesiologen, der sich an Exekutionen beteiligt, die Zertifizierung zu verweigern/entziehen:
anesthesiologists may not participate in capital punishment if they wish to be certified by the ABA.
. Und das ist schon drastischer: Ohne den Nachweis seiner Fachqualifikation (board certification, was etwa der Facharztprüfung entspricht) wird kein Narkosearzt eine Anstellung in einem Krankenhaus finden können.
Hier also ist das Dilemma: Wenn Ärzte sich an Todesstrafen beteiligen, dann helfen sie, einem Idividuum schweren Schaden zuzufügen – das widerspricht der Standesehre (“Hippokratischer Eid“). Doch wenn sie ihre Dienste nicht zur Verfügung stellen, dann besteht das sehr konkrete Risiko, dass dem Hinzurichtenden unmenschliche und vermeidbare Qualen zugemutet werden – auch das widerspricht aber dem ärztlichen Ethos. Eine Verweigerung wäre sicher vertretbar, wenn damit ein längerfristiges Ziel – zum Beispiel die Abschaffung der Todesstrafe, da sie nicht mehr praktiziert werden kann – erreicht werden könnte. Doch dafür gibt es nicht nur keine Anzeichen – das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten hatte in seiner Entscheidung Baze vs. Rees keinen Grund gefunden, die Teilnahme eines Arztes zur Voraussetzung einer Hinrichtung zu machen. Und hingerichtet wird in den USA auch weiterhin – im vergangenen Jahr wurden immerhin noch 40 Todesurteile vollstreckt. Zwar ist die Tendenz rückläufig (primär aber aus wrtschaftlichen, nicht aus juristischen Gründen, siehe Downsizing in der Henkerstube), aber von einer Abschaffung sind die USA immer noch weit entfernt.
Wenn aber nun hingerichtet wird, egal ob mit oder ohne ärztlichen Beistand – wie ethisch ist es dann, dem “Patienten” (und – mit ein bisschen Abstraktion – kann man auch den Todeskandidaten als solchen sehen) unnötig leiden zu lassen? Wenn man so streng argumentiert, dann muss man auch die Palliativmedizin verbieten, da auch diese nicht mehr das Leben des Patienten retten kann. Andernfalls ist die Logik nicht nachvollziehbar, warum einem Sterbenden (dem Todeskandidaten) diese Hilfe verweigert wird, die einem anderen (dem unheilbaren Krebspatienten) selbstverständlich zugestanden wird.
Andererseits: Wenn es dem Gesetzgeber nicht gelingt, seine eigenen Ansprüche – in den USA die Vorschrift, dass Hinrichtungen nicht “grausam oder unüblich” sein dürfen – zu erfüllen, ohne Dritte zum Verstoß gegen ihre ethischen Grundsätze zu zwingen, dann muss er vielleicht wirklich über diese Ansprüche nachdenken. Denn dazu, dem Gesetzgeber zu helfen, verpflichtet der – symbolisch gemeinte – hippokratische Eid garantiert nicht.
Ich persönlich neige dazu, den Ärzten zwar eine starke Lobbyarbeit gegen die Todesstrafe zu empfehlen, aber im Einzelfall nicht zu verbieten, das dann sowieso unvermeidliche Leid zu lindern. Man muss ja nicht gleich bei der ersten Anfrage freidig “hier” rufen …
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