Irene zieht gerade durch meine Nachbarschaft in Cambridge (Massachusetts), allerdings nicht mehr als Hurrikan, sondern “nur” noch als ein Tropensturm. Stark genug war sie aber noch, um gleich bei mir um die Ecke diesen “Eindruck” zu hinterlassen:
(Und nein, gefährlich war sie ansonsten nicht mehr, selbst der Regen erinnerte mich bei meinem Sturmspaziergang eher an einen sommerlichen Schauer).
Solche Bilder sind ja ganz typisch nach schweren Stürmen; sie sollen die zerstörerische Kraft der Naturgewalt illustrieren. Aber wer genauer hinschaut, der wird erkennen, dass der Ahornbaum in seinem Inneren schon ziemlich morsch war. Kann man also Irene die Schuld daran geben, dass der Volvo nun Schrott ist, oder war es der Baum? Denn vermutlich wäre der eher früher als später auch ganz ohne stürmische Nachhilfe umgekippt. Ist der Hurrikan auch daran Schuld, dass ein 66-jähriger New Yorker nun im Krankenhaus liegt, weil er am Samstagmorgen, beim Verbrettern seiner Fenster, von der Leiter gefallen war?
Kann man dem Sturm die Schuld an den 15 Todesopfern geben, die ihm (ihr? Ist ja schließlich ein weiblicher Name …) zugeschrieben werden, obwohl diese Art von Unfällen auch zu anderen Zeiten geschehen? Surfunglücke (sowieso irre, bei einem nahenden Hurrikan aufs Surfbrett zu klettern); Autounfälle wegen unangepasster Geschwindigkeit bei Regen; umgestürzte Bäume; und vor allem Unfälle durch herabgestürzten Stromleitungen (wenn man genau hinschaut, kann man auf obigem Bild ein dünnes Kabel sehen, das von der “Oberleitung” herab hängt – da war, wie ich gewarnt wurde, noch Strom drauf). Was ja nicht wirklich verwundert, wenn man sich anschaut, wie in den USA Stromkabel “verlegt” werden (Abb.)
Über Kausalitäten kann man immer streiten (viele Anwälte und Richter wären ja andernfalls arbeitslos). Und gestritten, oder zumindest diskutiert, wird natürlich auch darüber, ob der globale Klimawandel nun seinerseits Schuld am Hurrikan Irene ist – so wie hier zum Beispiel, in einem Artikel der New York Times, in dem die konkurrierenden Sichtweisen der Klimaforscher Kerry Emanuel vom Massachusetts Institute of Technology einerseits und Thomas R. Knutson vom staatlichen Geophysical Fluids Dynamic Laboratory zu Wort kommen. Emanuel warnt bereits seit Jahren davor, dass es als Folge der wärmeren Ozeane zu verstärkter Hurrikanaktivität kommen könnte; die Position der NOAA hingegen ist, dass der beobachtbare Trend nur eine Folge normaler, periodischer Schwankungen ist und nicht auf menschengemachten Einflüssen beruht – oder dass sich dieser Zusammenhang bis jetzt zumindest nicht belegen lässt. (Ein Interview, das dazu ich vor fünf Jahren mal mit Emanuel geführt hatte, das jedoch nie erschienen ist, hänge ich hinterher noch im Wortlaut mit an.)
Aber so konvenierlich es auch wäre, Irene nun als Kronzeugin für den Klimawandel zu bemühen: Die globale Erwärmung ist nicht Schuld an diesem Sturm (dem werden die Wissenschaftler gewiss beipflichten, obwohl ich sie jetzt nicht konkret dazu befragt habe). Denn Stürme sind ein Wetterphänomen, also kurzlebige Erscheinungen. Und Stürme wie Irene gab es schon früher, viele davon sogar schwerer und tödlicher. Der Klimawandel ist nicht die Ursache für Stürme, und er ist auch nicht verantwortlich dafür, ob sich ein Sturm zu einem Monster wie Katrina auswächst. Aber er wird über die Jahre hinweg dazu beitragen, dass es mehr schwere Stürme geben kann. Für die Sturmschäden sind hingegen immer wir Menschen verantwortlich – sei es indirekt durch den Klimawandel, oder (viel wahrscheinlicher), dadurch, dass wir unsere Häuser, unsere Städte auch weiterhin besonders gerne dort bauen, wo die Stürme den größten Schaden anrichten können. Das muss auch mal gesagt werden.
Und hier nun das fünf Jahre alte Emanuel-Interview:
Professor Emanuel, war das vergangene Jahr eine Ausnahme, oder werden wir in Zukunft immer häufiger gefährliche Wirbelstürme erleben?
Es werden mehr sein. Die Zahl der Hurrikane hängt sehr klar mit der Temperatur der tropischen Ozeane zusammen. Und aus der Prognose dieser Temperatur leitet sich ab, dass sich der Trend fortsetzt.
Und wie viel mehr Stürme wird es geben?Wenn man die Tendenz der vergangenen 20 Jahre fortsetzt, dann muss man von einem Anstieg von zwei bis drei Hurrikanen pro Jahr ausgehen.
Sie sprechen von Hurrikanen, die vor allem die subtropische Karibik und die USA treffen. Werden wir vergleichbare Auswirkungen auch in Mittel- und Nordeuropa spüren?Das lässt sich mangels empirischer Daten noch nicht sagen. Aber aus dem, was wir aus der Physik und aus Beobachtungen schließen können, ist zu folgern, dass mit steigender Erwärmung des Planeten die Niederschläge sich zunehmend auf ziemlich heftige Erscheinungen konzentrieren werden, was einer wachsenden Sturmneigung gleich kommt.
Heißt das, dass wir auch im Norden “tropische” Wirbelstürme erleben werden?
Nein, denn Tropenstürme und Stürme in oberen Breiten folgen ganz unterschiedlichen Entstehungsmechanismen. Aber es kann schon mal vorkommen, dass ein Hurrikan sich in ein außertropisches Tiefdrucksystem und dann in einen Herbststurm umwandelt.
Mehr schwere Wirbelstürme in den USA bedeuten also nicht automatisch auch ein höheres Sturmrisiko für Deutschland?
Nein. Nur in seltenen Fällen kann mal ein verheerendes Sturmsystem in mittleren Breiten – wie etwa das Sturmtief “Lothar” im Dezember 1999 – über eine lange, komplizierte Kette von Abläufen durch einen Wirbelsturm ausgelöst werden, der sich eine Woche oder zehn Tage vorher irgendwo sonst auf der Welt ereignet hat.
Und wenn sich der Nordatlantik vergleichbar den Tropen aufheizt?Die Wassertemperaturen im nördlichen Atlantik, zwischen dem 50. und dem 70. Breitengrad, sind in den vergangenen hundert Jahren nicht systematisch angestiegen.
Also ist die globale Erwärmung gar kein wirklich globales Phänomen?
Für den Atlantik ist nachweisbar, dass sich der Wärmeaustausch durch die thermohaline Zirkulation (ein “globales Förderband” von Meeresströmungen, zu dem beispielsweise auch der warme Golfstrom gehört, d. Red.) verlangsamt hat, und das hebt die Wirkung der Erwärmung durch Treibhausgase wieder auf. Und in manchen Teilen der Welt, zum Beispiel dem tropischen Westpazifik, werden die Temperaturen sogar fallen, was auf einen anderen, von Menschen verursachten Effekt zurück zu führen ist: Die Emission von Sulfaten als Folge der Verbrennung von Kohle. China verheizt große Mengen von Kohle, und das könnte teilweise oder völlig die Folgen des Treibhauseffekts im westlichen Pazifik aufheben. Wir könnten hier sogar eine Verringerung der Wirbelstürme erleben.
Aber zumindest für die USA ist mit einem Anstieg der Sturmgefahr zu rechnen. Ist dies nach “Katrina” auch in die Köpfe der Politiker eingedrungen?
Noch nicht, wie es scheint. Die maßgebliche US-Behörde, die sich mit Wetterangelegenheiten befasst, die NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration), hat ganz kategorisch erklärt, es gebe keinen Zusammenhang zwischen globaler Erwärmung und Hurrikanen.
Aber nicht nur die gegenwärtige US-Regierung tut sich schwer damit, den Klimawandel als Tatsache zu akzeptieren. Immerhin waren Sie selbst bis vor zwei Jahren noch ein Skeptiker dieser Theorie. Wie kam es zu diesem Meinungswandel?Manche Hurrikanexperten glauben bis heute nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen steigender Meerestemperatur und Sturmintensität gibt. Um ehrlich zu sein, hatten wir auch gar nicht nach einem erkennbaren Signal für diese globale Erwärmung in unseren Date gesucht, weil wir auf der Basis unsere Theorien und Modelle keine erkennbare Auswirkung erwartet hätten. Doch als wir die Daten genauer anschauten, sprang dies geradezu hervor.
Werden wir schon bald wieder mit einer Sturmkatastrophe wie “Katrina” rechnen müssen?
Emanuel: Ich glaube nicht, dass wir das noch einmal erleben.
Wieso?
Die meisten Menschen verkennen, wie selten ein wirklich schwerer Hurrikan ist. Wenn man all die Sturmschäden aufrechnet, die seit etwa 1830 in den USA verursacht wurden, dann sind etwa die Hälfte dieser Schäden von gerade mal fünf Stürmen verursacht worden. Kolossale Ereignisse wie “Andrew” oder “Katrina” sind so rar, dass es geradezu bedeutungslos ist, wenn sich ihre Wahrscheinlichkeit verdoppelt – sie bleiben immer noch extrem rar.
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