Aus der Sicht der Organisatoren der Aktion Occupy Wall Street wäre das Fragezeichen gewiss unberechtigt: Inspiriert von den Geschehnissen auf dem Kairoer Tahrir-Platz, hatten sie zu ähnlichen Massendemonstrationen – anfangs nur in New York, aber auch in Boston, Los Angeles und anderen US-Großstädten wurde die Idee aufgegriffen – aufgerufen, um gegen sozialen Ungerechtigkeiten und die Gier der Finanzwirtschaft zu demonstrieren. Da eine Besetzung der Wall Street (Start: 17. September) mit Zeltlagern durch die Polizei verhindert wurde, verlagerte sich das Geschehen auf den benachbarten Zucotti Park. Und ein paar Tausend Demonstranten tauchten tatsächlich auf.
So weit, so gewöhnlich. Eine Demo mit ein paar tausend Teilnehmern in einer Stadt mit acht Millionen Einwohnern – nichts besonderes. Für die Medien vielleicht ein paar Zeilen wert, wenn überhaupt. Eine Woche lang wurde, von der breiten Öffentlichkeit (zu der ich mich hier zählen muss) weitgehend unbemerkt, demonstriert. Doch am 24. September eskalierte die Angelegenheit in einer Weise, der die – weiterhin dürftige und unterkühlte – Medien-Berichterstattung,in den USA ebenso wie (so weit ich das aus der Distanz beurteilen kann) in Deutschland, kaum noch angemessen schien. Selbst der Spiegel, der ja generell für solche Themen empfänglich ist, berichtete eher unterkühlt.
Zum Vergleich ein paar Videoclips dessen, was tatsächlich geschah:
Doch das drastischste Ereignis dürfte diese Pfefferspray-Attacke des hochrangigen Polizeiinspektors Anthony Bologna gegen eine Gruppe bereits “eingezäunter” Demonstrantinnen gewesen sein (hier ein Clip mit erläuternden Anmerkungen):
Hier noch einmal die gleiche Szene, aus zwei Blickwinkeln:
Und dass dies kein “Versehen” oder “Missverständnis” seitens des Polizisten war, zeigt dieser Clip, der wenig später aufgenommen wurde und in dem er die Kameraperson mit diesem (per Gesetz in New York ausdrücklich auf den Zweck der Selbstverteidigung beschränkten) Spray bedroht:
Okay, das war jetzt eine Menge Video. Hat dieser Beitrag noch einen anderen Zweck, außer dem Videomaterial noch mal eine Plattform zu geben?
Ja. Denn ein paar Fragen drängen sich da einfach auf. Zum Beispiel über unsere Doppelstandards hinsichtlich des Einsatzes staatlicher Gewalt: Wenn in Ägypten oder Tunesien Demonstranten von der Polizei niedergeknüppelt werden, dann empören wir uns auf breiter politischer Ebene und fordern mehr transparenz. Wenn vergleichbar gewaltlose Demonstranten in einer vermeintlich satten westlichen Gesellschaft von ihrem bestehenden Grundrecht Gebrauch machen und dafür geknüppelt werden, dann ist das …ok? Oder über das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das auch – und gerade – für staatliche Einsatzkräfte gelten müsste: Wenn ein hochrangiger Polizeioffizier eine ihm lediglich zum Selbstschutz ausgehändigte Waffe (und ja, Pfefferspray ist eine Waffe, siehe obigen Link zum einschlägigen Gesetz) missbraucht, dabei gefilmt wird – und dann immer noch seinen Dienst weiter ausüben darf, dann stimmt etwas mit der Rechtsaufsicht nicht. Und ganz nebenbei frage ich mich, wie wohl die Berichterstattung gelaufen wäre, wenn Polizisten in gleicher Weise gegen eine Tea-Party-Demo vorgegangen wären (ach nee, lieber nicht – die sind nämlich bewaffnet) …
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