Vor ein paar Tagen hatte sich Florian Freistetter in seinem Blog Astrodicticum simplex Gedanken darüber gemacht, ob Wissenschaftskommunikation und Medienpräsenz einer akademischen Karriere schaden. Über diese Frage hatten wir hier ja schon einmal im Februar diskutiert, nachdem sie im Magazin Science aufgeworfen worden war; der Medienwissenschaftler Norbert Bolz war jedenfalls für deutsche Wissenschaftler zum bedauerlichen Resultat gelangt, dass Medienengagement, zum Beispiel durch Interviews in Massenmedien oder – extrapolieren wir’s mal – durchs Bloggen der Karriere junger Wissenschaftler schade. Warum das so sein könnte, darüber lasse ich mich etwas später aus. Erst mal geht es mir um eine andere Frage, die durch einen Kommentar zu Florians Beitrag aufgeworfen wurde: Darin wird so etwas wie eine regelmäßige Berichtspflicht für Wissenschaftler angeregt.
Als langjähriger Medienarbeiter, der sich gelegentlich ganz mühsam (und nicht selten erfolglos) durch Uni-Pressestellen zu Wissenschaftlern durchhangeln musste, wollte ich an dieser Stelle erst mal aufspringen und “Bravo!” rufen. Aber erstens wäre diese Spontanreaktion meiner ahnunglosen Familie sicher befremdlich vorgekommen – und zweitens hat sich sehr schnell mein innerer Skeptiker gemeldet.
An dieser Stelle sollte ich vielleicht erst mal kurz die Metapher in meiner Überschrift erläutern – und nein, damit meine ich nicht “Open Science”, sondern die Bringschuld. Dieser Begriff aus dem Rechnungswesen ist vielleicht im Zeitalter von Lastschriften, Überweisungen und PayPal so obsolet geworden, dass ihn nicht mehr jeder versteht: Bei einer Bringschuld oblag es dem Schuldner, alle Mühen (und Risiken) des Zahlungsvorgangs auf sich zu nehmen – im Gegensatz zur Holschuld, die den Gläubiger zwang, sich zum Inkasso selbst auf den Weg zu machen. Im übertragenen Sinn ist eine Bringschuld die Verpflichtung, ohne besondere zusätzliche Aufforderung eine festgelegte Leistung zu erbringen – zum Beispiel, die monatliche Miete ohne gesonderte Rechnungsstellung prompt und vollständig zu überweisen, oder die Aktionäre einer Firma regelmäßig (und auch ohne nachfragenden Anstoß) in Geschäftsberichten über die Lage des Unternehmens zu informieren.
Letzteres Beispiel ist nicht ganz zufällig gewählt: Eine periodische Rechenschaftspflicht für Wissenschaftler (zumindest jene, die im öffentlichen Dienst stehen und damit der Öffentlichkeit überhaupt rechenschaftspflichtig sein könnten) käme solchen Quartals- oder Jahresberichten sehr nahe. Aber wäre das nicht eine gute Sache? Schließlich sind die Quartals- und Jahresberichte auch nicht zum Spaß erfunden worden, und Information kann doch nie schaden …
Der Haken ist, dass viele dieser Berichte, vor allem die sehr kurz aufeinander folgenden Quartalsberichte, die in der US-Aktienwirtschafts vorgeschrieben sind, bestenfalls nichtssagend sind und im schlimmsten Fall eher hemmend. Letzteres vor allem, weil sie dazu anregen, wenn nicht sogar zwingen, sich auf das kurzfristig Machbare zu konzentrieren. Und ähnliches wäre bei wissenschaftlichen Pflichtberichten zu befürchten: Nicht nur, dass ihre Abfassung eine weitere bürokratische Aufgabe wäre, die Professorinnen und Professoren von der eigentlichen Forschungstätigkeit abhält (oder, schlimmer noch, dann den sowieso schon überlasteten Assistenten aufgebrummt wird). Das Risiko ist sehr real, dass solche Leistungsnachweise dazu führen, dass sich Forscher und Institute auf das Erreichbare und vermutlich auch auf das Verwertbare konzentrieren, weil sich das halt besser liest als ein periodisch nur sehr begrenzt aktualisierbarer Grundlagen-Forschungsbericht, der bestenfalls in ein paar Jahren ein Ergebnis erhoffen lässt – wenn überhaupt.
Publikation ist ja die Währung der Wissenschaft; Geheimhaltung läuft der akademischen Arbeitsweise eher zuwider. Insofern braucht es gar keine Berichtspflicht, denn wenn die Ergebnisse erst mal spruchreif sind, dann drängen sich die Forscher ja danach, diese zu publizieren.
Was nicht heißen soll, dass mit der öffentlichen Wissenschaftsvermittlung alles zum Besten steht. Wie ich schon oben erwähnt habe: Wissenschaftler sind bisweilen schwer zu erreichen, und noch schwerer davon zu überzeugen, mit einer/einem Journalistin/Journalisten (oder einem/einer BloggerIn) zu reden. Und wenn, dann ist’s manchmal eher mühsam: “Haben Sie denn mein Buch/meinen Aufsatz nicht gelesen?” ist eine der häufigeren Gegenfragen, die mir in Interviews gestellt wurde. Auf die Idee, dass meine Frage nicht auf Ahnungslosigkeit beruht, sondern eine zur Veröffentlichung in einem Publikumsmedium geeignete Antwort generieren sollte, schienen die Professoren beiderlei Geschlechts nicht zu kommen. Schlimmer noch, wenn’s um echte Verständnisfragen ging – die Unlust, einem derart ignoranten Gesprächspartner die Details zu erklären, die doch jeder Fachkollege auf Anhieb kapiert hatte, war manchmal spürbar.
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