Hier muss ich aber sagen, dass solche Erlebnisse keineswegs der Normalfall sind: Die meisten WissenschaftlerInnen sind so erfüllt von dem, was sie tun, dass sie dies gerne mit anderen teilen wollen. Aber das ist halt wie mit dem Lesen oder Schreiben: Es genügt nicht, dass die Meisten es beherrschen, sondern jeder sollte dazu in der Lage sein.
Worauf ich hinaus will: Es ist nicht notwendig, den Wissenschaftlern eine Bringschuld an Öffentlichkeitsarbeit aufzubürden, aber sie sollten in der Lage sein, eine Holschuld zu bedienen. Sie sollten also die Fähigkeit haben, über ihre Arbeit nicht nur in Formeln und Fachjargon zu reden, sondern sich auf Wunsch auch einem interessierten Laien- (oder zumindest Amateur-)Publikum verständlich zu machen. Dies ist eine der Eigenschaften, die beispielsweise durch die CI-Klassen (communication-intensive) vermitteln werden sollen, die meine KollegInnen und ich hier am MIT unterrichten. Dies sind, wie gesagt, keine Publizistik-Klassen oder Seminare für angehende (oder Möchtegern-)Wissenschaftsjournalisten – die gibt es auch, aber das ist ein Studiengang für sich. Uns geht es im Idealfalll darum, den Studeninnen und Studenten Grundkenntnisse darin zu vermitteln, ihre Arbeiten in einer Form zu präsentieren, dass auch Nicht-Spezialisten sie zumindest in ihren Grundzügen verstehen können. Anders beispielsweise als bei einem Labortagebuch oder persönlichen Aufzeichnungen, bei denen es nur darauf ankommt, dass sie selbst begreifen, worum es geht.
Ich weiß nicht, ob es ähnliche Angebote auch an deutschen Hochschulen gibt; aber ich erinnere mich noch, dass zumindest in meiner Studienzeit der “korrekte” (lies: intensive) Gebrauch des Fachjargons – selbst wenn es mindestens ebenso verständliche normalsprachliche Alternativen (“Flucht und Vertreibung” statt “erzwungene Migration” wäre so ein Beispiel) gegeben hätte – als essentiell für das Abfassen einer Pro- oder Seminararbeit galt. Dass ich mich nicht damit abfinden wollte, Wissenschaft eher durch ihre Form als durch ihre Inhalte zu prägen, war einer der Gründe, warum ich nie wirklich an einer akademischen Karriere interessiert war.
Wobei dies mich gleich zur nächsten Frage bringt: Was ist eigentlich eine akademische Karriere? Wenn ich mich recht entsinne, dann gehören dazu schon mal Forschung und Lehre – und zur Lehre zähle ich, im weiteren Sinn, auch die Information einer breiteren Öffentlichkeit (aber das ist, selbstredend, nur meine Privatmeinung und keine irgendwie verbindliche Definition der akademischen Tätigkeit).
Und wie kann es dann sein, dass genau diese Fähigkeit, die Arbeit der Wissenschaft auch für Nicht-Wissenschaftler interessant zu machen, einer akademischen Karriere schaden kann? Im weiter oben schon einmal verlinkten Beitrag des Wissenschaftsfeuilletons ging es vor allem darum, dass solche Medientätigkeiten als störende – weil von der eigentlichen Forschungsarbeit ablenkende und abgehende – Nebentätigkeiten gesehen würden. Da mag vielleicht ein bisschen was dran sein. Aber andererseits: Die halbe Stunde pro Monat für ein Interview wäre selbst beim beschäftigsten Forscher drin. Und schnell ein paar Zeilen über den Forschungsalltag in einem Blog abzusetzen würde auch keine allzu kostbare Zeit verschwenden – es wäre eine Zweitverwertung der Notizen, die sich Forscher sowieso machen.
Wenn ich einen Grund nennen sollte, warum es unter deutschen Wissenschaftlern als anrüchig gilt (wenn es denn als anrüchig gilt – diese Annahme habe ich jetzt mal ungeprüft übernommen), sein Wissen mit einem breiten Publikum zu teilen, dann käme mir am ehesten die Parallele zum Auftauchen der ersten grafischen Benutzeroberflächen für Personal Computer (= WIMP) in den Sinn. Das muss ich wohl etwas ausführlicher erklären: In den späten 70-er und frühen 80-er Jahren, also in meiner Studienzeit, waren Computer noch ziemlich unhandliche Dinger. Kenntnisse in Programmiersprachen wie Basic waren unabdingbar, und selbst nach der Einführung von MS-Dos Anfang der 80-er mussten PC-Benutzer noch eine ganze Menge Code beherrschen. Wer sich die Kenntnisse zum Computern erworben hatte, gehörte zu einer kleinen, seelenverwandten Gruppe von Insidern. Tja, und dann kamen Windows beziehungsweise Apple, mit ihren Icons, Fenstern und dem Mausklick, und plötzlich konnten selbst bisher Ahnungslose schon nach kurzer Einweisung Briefe formatieren und ausdrucken, Tabellen erstellen etc. Ich erinnere mich sehr gut an die Empörung unter Hardcore-PC-Fans: All das Wissen, das sie sich in langer, oft frustrierender und manchmal demütigender Arbeit angeeignet hatten, drohte obsolet zu werden; jeder Depp mit Windows und einer Maus konnte ohne profunde Kenntnisse das Gleiche erledigen.
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