Sprache ist schon was Verwirrendes. Wenn ich “Hut” sage, meine ich dann “Kopfbedeckung” oder “Vorsicht”? Warum klingen “Rad” und “Rat” so ähnlich, und warum kann letzteres ein Gremium sein, ein Titel oder auch ein gut gemeinter Hinweis? Wäre es nicht viel effizienter, wenn es keine Mehrdeutigkeiten – die offenbar in allen Sprachen vorkommen können – gäbe und jeder Begriff, jedes Wort ganz eindeutig und frei von Missverständnissen einem Konzept, einer Bedeutung zugeordnet wäre? Noam Chomsky, der Vorzeigelinguist des Massachusetts Institute of Technology, folgerte aus diese Ambiguität der Sprache(n), dass sie offenbar gar nicht primär zur Kommunikation entstanden war:
The natural approach has always been: Is [language] well designed for use, understood typically as use for communication? I think that’s the wrong question. The use of language for communication might turn out to be a kind of epiphenomenon… If you want to make sure that we never misunderstand one another, for that purpose language is not well designed, because you have such properties as ambiguity. If we want to have the property that the things that we usually would like to say come out short and simple, well, it probably doesn’t have that property.
Doch genau das Gegenteil sei der Fall, behaupten – naja: belegen, nämlich in diesem Paper über The communicative function of ambiguity in language, das im Journal Cognition publiziert wurde – einige Kollegen Chomskys: Gerade diese Mehrdeutigkeit, also die Wiedervervendbarkeit der gleichen Versatzstücke, mache die Sprache erst effizient. Belegt haben sie diese These – die sich darin reflektiert, dass die einfachsten (sprich: kürzesten, am leichtesten auszusprechenden und am häufigsten verwendeten) Worte auch die mit der jeweils größten Mehrdeutigkeit sind, quasi die Schweizermesser der Sprache – durch eine quantitative Analyse von Alltagsredewendungen im Deutschen, Englischen und Niederländischen.
Mehrdeutigkeit entsteht ihrer Auffassung nach aus einem Kompromiss zwischen Einfachheit und Klarheit. Um hier mal in meinen eigenen Worten einzuspringen: Man versuche sich mal vorzustellen, um wieviel größer unser Alltagswortschatz sein müsste, wenn jeder Begriff nur in absoluter Eindeutigkeit verwendet werden könnte. Wenn wir beispielsweise für Glück als Gefühl ein ganz anderes Wort bräuchten als für Glück im Lotto. Oder wenn Kreis nur die geometrische Figur beschreiben könnte, nicht aber den Verwaltungsbezirk oder die Entourage von Freunden. Dies erinnert mich an die Akademie von Balnibarbi in Jonathan Swifts Gullivers Reisen, wo Sprachforscher daran arbeiten, jegliche Zweideutigkeit – und die Notwendigkeit von Wörtern an sich – dadurch zu verbannen, dass statt Begriffen die zu beschreibenden Objekte selbst präsentiert werden. Was dazu führt, dass diese Forscher immer einen riesigen Sack voller Gegenstände mit sich herumschleppen müssen.
Das Paper selbst basiert ja vor allem auf der Novität, quantitative Methoden zum Nachweis dieser Hypothese einzusetzen. Aber ich muss zugeben, dass ich mich überfordert fühle, die details dieser quantitativen Analysen hier in knapper Form nachzuerzählen. Sagen wir mal so viel: Die Autoren sehen ihre Annahme quantitativ bestätigt, dass kurze und häufig vorkommende Wörter auch die meisten Mehrdeutigkeiten aufweisen. Dass sie dabei vielleicht ein bisschen “hintenrum” gedacht haben, da ja die Häufigkeit ein Resultat der Mehrdeutigkeit ist (je mehr Bedeutungen ein Begriff haben kann, desto wahrscheinlicher, dass er benutzt wird), lässt sich sicher durch entsprechende Bereinigungsschritte kontrollieren. Ich beschränke mich hier mal darauf, dass ich die Erklärung an sich schon plausibel finde: Die Ambiguität der einzelnen Begriffe wird dadurch ausgeglichen, dass sie in einem zumeist eindeutigen Kontext stehen. Das kann schon ein zweites, kleines Wörtchen sein: “der Hut” und “die Hut” sind schon mal klarer zu unterscheiden. Aber halt, es heißt doch auf der Hut sein … hier trägt das “auf”, das den Genitiv Dativ nach sich zieht, zur Verringerung der Ambiguität bei. Und das ist halt das “Geheimnis” von Sprache: Sie besteht nicht einfach nur aus Wörtern, sondern aus Wörtern in einem Zusammenhang. Und dieser Zusammenhang reduziert die Informations-Entropie in Richtung auf Eindeutigkeit.
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