Was mich heute beschäftigt: dass ich an diesem 11. September definitiv zu viele Terminkonflikte in meinem Kalender habe – drei verschiedene Klassen, die alle um die gleiche Stundeneineit heute Mittag balgen. Dass ich hoffe, dass der Schulbusfahrer, der gestern meinen Sohn mit dem (falschen) Hinweis “steht nicht auf meiner Liste” vor der Schule stehen ließ, eine auf den Deckel bekommt und heute jemand anderer die Tour übernimmt (die Schulbus-Firma hat mir zumindest das Zweitere zugesichert). Dass ich meine Steuererklärung immer noch nicht gemacht habe. Und ja, dass heute vor elf Jahren eine Serie von Anschlägen mein Leben und die Welt (was nicht nur geopolitisch oder -logisch gemeint ist) nachhaltig verändert hat.

Falls jemand nun denkt, ich hätte damit eines der dramatischsten Ereignisse des noch jungen 21. Jahrhunderts zum trivialen Randaspekt reduziert, sei er/sie beruhigt: Als Wahlnewyorker und Zeitzeuge werde ich nie vergessen, was damals passiert ist. Aber ich bin froh, dass diese Ereignisse nicht mehr als jene politische Keule verwendet werden, mit der sich beispielsweise selbst so eingefleischte Demokraten wie der ehemalige New Yorker Bürgermeister Ed Koch breitschlagen ließen, bei den Wahlen 2004 gegen ihre Überzeugung zu stimmen und mit großer Bereitschaft Grundrechte abzutreten (ich hatte ihn, damals noch für FOCUS, zum gleichen Thema befragt). Mit der zwei Kriege begründet wurden, deren Folgen und Kosten die USA und die Weltwirtschaft beinahe ruiniert hätten. Zum ersten Mal seit 2001 ist die Angst vor Terroristen nicht mehr das, was Wähler am meisten umtreibt: Hatten vor den US-Präsidentschaftswahlen 2008 noch etwa zwei Drittel der (befragten) AmerikanerInnen den Terrorismus als größte Sorge genannt, sind es im aktuellen Wahlkampf nur noch 37 Prozent. Die größere Gefahr für den westlichen Lebensstil geht, wie sie inzwischen lernen mussten, von den finanziellen Massenvernichtungswaffen (Zitat: Warren Buffett) aus. Ob sie, wie bei den Wahlen 2004, verkennen werden, wer hier den Finger am Drücker hat, bleibt abzuwarten…

11 Jahre danach scheint sich die Lücke in Manhattan immer noch nur langsam zu schließen: Der neue Turm, der das alte World Trade Center ablösen wird (Abb., Foto: Succu via Wikimedia Commons), ist zwar schon wieder das höchste Gebäude der Stadt, aber immer noch eine gigantische, himmelhohe Baustelle. (Und stört, wie einst die Zwillingstürme, das ästhetische Empfinden vieler New Yorker.) Aber inzwischen wächst eine Generation nach, die mit dem 11. September auch wieder ganz “normale” Erinnerungen verbinden wird. Denn letztlich ist es doch nur ein Datum – eine Ziffer auf einem Kalenderblatt.

Und zum Anschluss noch eine Anekdote, die sich nur marginal – kalenderbedingt – mit dem 11. September verknüpft; passiert ist sie wohl schon viel früher, kam mir aber ganz zufällig am Vorabend des 11. September zu Ohren. Und ob jemand da eine Moral drin entdecken will, sei ihr oder ihm ganz alleine überlassen:

Ein junger MIT-Student sollte den glücklichsten Tag seines Lebens schildern. Er erzählte von seiner Kindheit im Nahen Osten, und von einer Dorfschule, die er gehasst hat, weil er dort nichts lernen konnte. Eines Tages wurde die Schule bei einem Bombenanschlag zerstört; andere mögen darüber verstört gewesen sein, aber dieser junge Student sah das Positive: Nun musste (durfte) er in die viel bessere Schule der nächsten großen Stadt gehen. Ohne den Bombenanschlag, so seine Überzeugung, hätte er es nie geschafft, so viel zu lernen, dass er am Massachusetts Institute of Technology aufgenommen wurde…

Foto:  Succu (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

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Kommentare (21)

  1. #1 noch'n Flo
    Schoggiland
    11. September 2012

    Was ich mich ja bis heute frage: war der 11.9. bewusst gewählt, damit sich das Datum – amerikanisch ausgesprochen gleichlautend wie die amerikanische Notrufnummer – umso tiefer in das kollektive Bewusstsein der Amerikaner eingraben möge? Psychologisch gesehen wäre dies eine geradezu geniale Leistung…

  2. #2 Alderamin
    11. September 2012

    Ich war 1998 in New York und natürlich auch im WTC auf der Aussichtsplattform und auf dem Dach. Ich hab’ zig Dias von allen Seiten, z.B. von der Brooklyn Bridge im Dunkeln, von der Staten Island Fähre und vom Empire State Building gemacht. Die Türme wirkten ein wenig “out of place”, weil sie alles überragten, aber das machte sie auch zum visuellen Höhepunkt des Finanzviertels.

    Wir haben auch oben im Restaurant zu Mittag gegessen. Es hat mich besonders berührt, als die Gebäude zerstört wurden, vielleicht sind einige der Leute, die dort oben das Essen verkauft haben, bei dem Unglück ums Leben gekommen.

    Das ganze hatte im Fersnehen so etwas spielfilmhaftes, so richtig kapiert hab’ ich’s erst, als ich vor ein paar Jahren über Newark eingereist bin und die markante Silhouette im Süden Manhattans nicht mehr da war. Es bleibt Wut und Fassungslosigkeit darüber, wozu Menschen – in wessen Namen auch immer – in der Lage sind.

  3. #3 Jürgen Schönstein
    11. September 2012

    @noch’n Flo
    Diese Datumswahl ist immer noch unklar – die Notrufnummer-These habe ich schon damals gehört, halte sie aber für unplausibel. Sooo häufig wird die von den Leuten hier ja nicht benutzt; außerdem spricht man sie “Nine-One-One” aus, im Gegensatz zum Datum “Nine-Eleven”. Drittens wäre es, wenn man schon einen nachhaltig negativen Effekt auf die amerikanische Befindlichkeit erreichen will, doch sinnvoller, ein positiv besetztes Datum dafür umzuprägen (und dazu zählen Notrufnummern nun wirklich nicht) – den Valentinstag, den amerikanischen Unabhängigkeitstag, Thanksgiving, die Superbowl… Ich hatte hier mal eine (nicht wirklich grundernst gemeinte) Alternative zu dieser Theorie präsentiert. Wir wissen einfach nicht, warum esgerade dieser Tag sein musste…

  4. #4 noch'n Flo
    Schoggiland
    11. September 2012

    Nebenbei fällt mir zu 9/11 auch noch diese Anekdote ein: die ehemals beste Schulfreundin meiner Frau weilte am 11.9.2001 mit ihrer Mutter in New York (sie waren gerade am Vorabend aus Chicago gekommen, wo besagte Freundin ihre ehemalige Gastfamilie, bei der sie Jahre zuvor als au-pair gearbeitet hatte, besucht hatte).

    Nach dem Frühstück wollten sie sich auf den Weg nach Manhattan machen und auf das WTC fahren. Doch es kam anders, denn beim Frühstück im Hotel passierte der Bedienung ein Malheur mit einer Kanne Milch, die die Mutter der besagten Freundin meiner Frau zu einer unfreiwilligen Umkleideaktion zwang. Dadurch kamen die beiden letztlich erst mit mehr als 30minütiger Verspätung los.

    Diese 30 Minuten haben den beiden das Leben gerettet, denn kurz bevor sie mit der U-Bahn im Süden Manhattans ankamen, stürzte der erste Turm ein. Wären sie nach ihrem ursprünglichen Plan angekommen, wären sie recht wahrscheinlich oben auf einem der Türme gewesen, als die Flugzeuge einschlugen.

    In solchen Situationen ist man dann doch geneigt, an Schutzengel zu glauben…

  5. #5 Jürgen Schönstein
    11. September 2012

    @noch’n Flo
    Bitte nimm’ es mir nicht uebel, aber ich muss Deine Geschichte um ein nicht unwesentliches Detail ergaenzen: Die Aussichtsplattform des World Trade Center war in jenen Tagen erst ab 9:30 Uhr frueh geoeffnet – die Anschlaege begannen jedoch um etwa 8:45.

  6. #6 noch'n Flo
    Schoggiland
    11. September 2012

    @ Jürgen:

    Hmmm, danke für diese Ergänzung. Mir jedenfalls ist die Geschichte vor 10 Jahren so wie oben geschrieben geschildert worden. Aber vielleicht wussten die beiden Damen das mit den Öffnungszeiten ja auch nicht.

  7. #7 Anhaltiner
    11. September 2012

    Im Artikel zum Datum ist zu lesen: “Im koptischen ebenso wie im äthiopischen Kalender ist es der erste Tag des Jahres” – Die Frage ist ob die Planer das wussten oder wissen konnten.

  8. #8 doublemoth
    11. September 2012

    Ich habe mal gehört, dass dieses Datum gewählt worden ist, weil an diesem Tag die Türken vor Wien geschlagen und somit die Verbreitung des Islams gestoppt wurde. In wie weit das stimmt, kann ich nicht sagen.

  9. #9 rolak
    11. September 2012

    Das wäre dann aber ein echt mäßiges Timing gewesen, doublemoth 7:48.

  10. #10 Anhaltiner
    11. September 2012

    https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_am_Kahlenberg war einen Tag später. Gemeint war wohl die https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_Zenta 1697 – letzte große Schlacht im Großen Türkenkrieg

  11. #11 rolak
    11. September 2012

    Eindeutig besser recherchiert, Anhaltiner 8:09, doch ist imho mit jener Schlacht nicht eine vergleichbar große Symbolik verbunden. Aus einer sicher scheinenden Niederlage heraus doch noch zu obsiegen, das hat schon was…

  12. #12 Anhaltiner
    11. September 2012

    Wenn wir schon dabei sind: 1948 starb Muhammad Ali Jinnah, pakistanischer Staatspräsident und -gründer. Ist wohl für jeden was dabei.

  13. #13 rolak
    11. September 2012

    Ach, an dem Datum geschah reichlich. Bei jedem dürften die Prioritäten anders gelagert sein. Ich entsinne mich noch lebhaft der dummen Gesichter, als ich auf die Frage ‘an was erinnerst Du Dich vom 11. September’ -zugegebenermaßen ohne nachzudenken- antwortete: ‘Die Bilder vom Luftangriff auf Allendes Amtssitz’. Ok, war auch mein erster bewußter Kontakt zu solchen Ausformungen der Außenpolitik… (Und es ist höchstwahrscheinlich eine falsche Erinnerung, die Bilder dürfte ich nicht am selben Tag gesehen haben…)

  14. #14 Jürgen Schönstein
    11. September 2012

    @noch’n Flo (5:34 pm)
    Ich bin mir sicher, dass Deine Freundinnen um dieses (Miss-)Geschick dankbar waren. Und sie hätten auch vor der Öffnung der Aussichtsplattform in einer Position sein können, die sie in Gefahr gebracht hätte. Ich wollte die Anekdote ja auch nicht entwerten, sondern nur ein Faktum ergänzen – dessen Relevanz im nachhinein natürlich nicht zu bewerten ist.

  15. #15 A.P.
    11. September 2012

    @noch’n Flo: Dann will ich noch mal die Anekdote in Zweifel ziehen – oder zumindest die zeitlichen Angaben:

    Wenn der erste Turm einstürzte kurz bevor die beiden Damen eintrafen, müsste das ja so gegen 10 Uhr gewesen ein. Ziehen wir davon die halbe Stunde Verspätung ab, wären sie ohne Missgeschick 9.30 Uhr vor Ort gewesen, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Flugzeugtreffer bereits eine halbe bzw. dreiviertel Stunde hergewesen wären.

    Bleibt wohl nicht viel übrig von der Anekdote… 😉

  16. #16 L.I.
    12. September 2012

    Zum Datum:

    Wenn mich jetzt nicht alles täuscht, steht in “The Black Banners” (Lesetip aus dem Nachbarblog), das der 11. September schlicht der Termin war, an dem alles passte.

    Die Attentäter waren ausgebildet (Fluguntericht bzw. Ausbildung in Trainingslagern in Afghanistan) und es gab 4 Flüge mit Flugzeuge auf denen die Piloten per Simulator geübt hatten (Boing 757/767), welche zeitlich passend in New York bzw. DC sein konnten.

    Diese Begründung erscheint mir recht nachvollziebar, allerdings habe ich gerade keine weiteren Quellen dafür.

  17. #17 sumo
    berlin
    12. September 2012

    Gedanken zum 11.09.2001—- ein Tag, an dem ich heute noch weiß, was ich getan habe. Ich kam gerade von einer Mountainbiketour und habe den Fernseher eingeschaltet, der Musik wegen. Nun, es kam keine Musik, sondern es wurde über diesen monströsen Terroranschlag berichtet. Ich war erschüttert, und das legte sich erst nach langer Zeit.
    Gestern abend habe ich auf ZDFneo einen längeren Bericht über den Terroranschlag in New York gesehen, und das besondere daran war, daß es sich um Filmmaterial aus fast ausschließlich Amateurquellen handelt, welches unkommentiert blieb. Ich fand diesen Bericht überaus beklemmend, denn da wurde keine journalistische Filterung der Bilder gezeigt, sondern man sah das blanke Entsetzen bei all den vielen Menschen in der Stadt. Man hörte die Kommentare der Videofilmer (durch Untertitel verständiger gemacht), man sah die Gesichter von entfernteren Zuschauern, diese ungefilterte Erschütterung an einem schönen Septembermorgen.
    Mich hat dieser gestrige Bericht sehr beeindruckt, und vielleicht haben auch einige der hier ab und zu aufschlagenden VTler diese Bilder gesehen, Man konnte auch auf diesen Privatbildern sehen, was da passierte, daß Flugzeuge einschlugen und dann die Türme in sich zusammenfielen. Nichts anderes ist da passiert! Keine VT!

  18. […] dieser Tag – genauer gesagt, was an diesem Tag vor zwölf Jahren geschah – leider immer noch heraus. Und das “leider” ist nur zum Teil ein Ausdruck des Bedauerns und Mit-Leids für all […]

  19. […] Anlass genommen, ein paar Gedanken zu den Anschlägen des 11.9.2001 aufzuschreiben, auch wenn sie schon länger nicht mehr so gedenkbereit klangen. Und ab diesem Jahr bin ich entschlossen, wenn schon nicht einfach zu […]

  20. […] unplausibel, und es ist es auch heute nicht. Alles schon bis zum Erbrechen durchgekaut, hier, hier, hier, hier, hier und […]

  21. […] zum 11. September (2008) Gedanken zum 11. September (2012) Gedenken-Gedanken (2013) 9/12 – ein Nach(ge)denktag (2014) 9/11-Truther: Haltet bitte […]