Der sich mal wieder verschärfende Nahost-Konflikt beschäftigt auch die ScienceBlogger – und es ist auf geradezu ernüchternde Weise faszinierend zu sehen, wie schnell das Thema auch hier (beziehungsweise hier) die Positionen polarisiert. Wenn es schon uns Polstersessel-Analysten nicht gelingen kann, ganz unbelastet von kriegerischen Alltagserlebnissen eine für unsere beiden Diskussions-Seiten tragfähige Lösung auszudenken, dann sollte es wirklich niemanden mehr wundern, dass Friedensgespräche und -Verhandlungen immer wieder scheitern.
Ich will hier keine weitere hochpolitische oder tiefschürfende politisch-wissenschaftliche Analyse hinzu fügen – davon findet man allein auf Google Scholar schon weit mehr als 200.000, und gewiss ist nicht ein einziger Punkt, den ich hier noch beitragen könnte, dabei unerwähnt geblieben. Aber wenn man den gesunden Menschenverstand mal bemühen darf: Letzlich ist der Nahost-Konflikt eine Frage der Existenz. Besser gesagt: Der Anerkennung der Existenz. Und damit meine ich ausdrücklich nicht die Anerkennung der Existenzberechtigung eines israelischen Staates, die von mehreren islamischen Ländern (und von noch mehr islamischen Gruppierungen innerhalb dieser Länder) bestritten wird, und auch nicht die Existenzberechtigung eines Palästinenserstaates, die selbst meine eher nach links neigenden israelischen Freunde nicht ohne wenn und aber akzeptieren können. Erst mal muss es doch darum gehen, die Existenz beider Völker als Tatsache zu behandeln.
Das ist längst nicht so banal, wie es klingt. Natürlich gibt es die Oslo-Abkommen zwischen der israelischen Regierung und der PLO, die in den frühen 90-er Jahren den Palästinensern Autonomie garantierten, und natürlich gibt es allerlei internationale Körperschaften, die sich um eine Vermittlung zwischen beiden Seiten bemühen. Aber das Ur-Problem scheint mir (auch wenn’s extrem simplifizierend klingen mag), dass sich sowohl Israelis als auch Palästinenser erst mal leiber eine Welt wünschen würden, in denen die Anderen einfach nicht existieren. Und damit meine ich nicht irgendwelche geheimen Völkermordpläne, die in den Köpfen schwelen, sondern einfach nur das Wunschdenken, dass es das Problem – und das Problem sind halt “die Anderen – nicht gäbe. Was zumindest aus palästinensischer Sicht sogar nachvollziehbar ist, denn für fast zwei Jahrtausende gab es das jüdische Volk, im Sinn einer nationalen und territorialen Einheit, praktisch nicht mehr. Aber auch ein “plaästinensisches Volk” ist eigentlich ein künstliches Konstrukt: Die Philister aus biblischer Zeit, auf die der Name zurückzuführen ist, gibt es schon lange nicht mehr; und die Gleichsetzung von “Palästinenser” (womit eigentlich jede Person, die im ehemaligen britischen Protektorat Palästina lebte, gemeint war – also auch die zionistischen Siedler) mit “palästinensischer Araber” hat sich überhaupt erst in den 70-er Jahren (ich vertraue hier auf Wikipedia und auf meine Erinnerung) etabliert. So gesehen gab es bei der Gründung des Israelischen Staates im Jahr 1948 in der Tat kein palästinensisches Volk.
Doch das ist Wortklauberei. Denn natürlich gab und gibt es die Menschen – und mit welchem Etikett sie sich identifizieren, ändert an ihrer Existenz nichts. Mag sein, dass bei einigen ultraorthodoxen jüdischen Gruppen die Erinnerung an die Philister als biblischen “Erzfeind” eine verschärfende Rolle spielt (wobei sie dann auch in gleicher Erinnerung behalten sollten, dass die damalige Besatzung Israels durch ihre Nachbarn eine Strafe Gottes war: Die Israeliten taten wieder, was dem Herrn missfiel. Deshalb gab sie der Herr vierzig Jahre lang in die Gewalt der Philister.) Aber der Konflikt bliebe im wesentlichen der Gleiche, selbst wenn man statt dessen von “Westjordaniern” oder einfach nur von “Arabern” reden würde. Umgekehrt müssten die (anti-jüdischen) religiösen Obertöne vielleicht etwas leiser gespielt werden, wenn sich Israel nicht als explizit jüdischer Staat etabliert hätte – aber am territorialen Konflikt, dem Streit zweier Bevölkerungsgruppen um das gleiche Land, würde das immer noch nichts ändern. Und es spielt, ehrlich gesagt, auch längst keine Rolle mehr, wer den nun mit dem Konflikt angefangen hat oder wer für das jeweilige Aufflammen von Gewalt auf der einen oder der anderen Seite die größere Verantwortung trägt. Mit solchen “Arumenten” kann man nicht mal den Streit zwischen kleinen Kindern schlichten …
Diskussionen um die “Existenzberechtigung” eines israelischen oder eines palästinensischen Staates sind so lange nutzlos, so lange im Wort “Berechtigung” die Andeutung mitschwingt, dass man diese Berechtigung erteilen – und konseqenter Weise auch entziehen – könne. Falsch! Beide Seiten existieren, unabhängig davon, ob das jemandem passt oder nicht – und jede Debatte, die auch nur im Ansatz davon ausgeht, dass man dies irgendwie ändern könne oder solle, muss zwangsläufig scheitern. Und dies ist weder eine Kritik noch eine politische Forderung – sondern nichts weiter als eine unverrückbare Tatsache.
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