Man sieht also, dass es letztlich doch oft nur subjektive – und sehr heutige – Interpretationen solcher Gesetzestexte geben kann, da zumeist weder Meinung noch Intention des Gesetzgebers bekannt sind und wir heute bestenfalls darüber spekulieren können. Doch der 2. Verfassungszusatz ist da eigentlich eine Ausnahme: Er benennt die Intention, und er benutzt nur Worte, deren Bedeutung sich bis heute nicht verändert hat. Eine Miliz ist, damals wie heute, eine Bürgerwehr, also eine Gruppe von Personen, die sowohl die Aufgaben der Polizei als auch der Armee (mit) übernimmt. Begreiflich, da es damals keine Polizei im heutigen Sinn gab, und das Militär erstens noch neu und zweitens allein der Bundesregierung unterstellt war – die Zusatzartikel hingegen sollten vor allem die Rechte der einzelnen Bundesstaaten manifestieren. Diese Idee eines Sicherheitsapparates kommt auch in der Formulierung “necessary for the security of a free State” zum Ausdruck, und sie belegt, dass es hier um die Rechte der Staaten geht (“state” meint, wie schon der offizielle Name des Landes verrät, immer nur das Teilelelement, nie den Staatenbund an sich). Dann geht es um das Recht des Volkes (“the people”), Waffen bereitzustellen (“keep”) und sich damit zu bewaffnen (“bear arms”). Und dieses Recht darf nicht durch ein Gesetz beschnitten werden. Diese Maßgabe deckt sich auch sprachlich in großen Teilen mit dem 6. Konföderationsartikel (diese Articles of Confederation waren eine vorläufige Verfassung), in dem es heißt:
… every state shall always keep up a well regulated and disciplined militia, sufficiently armed and accoutered, and shall provide and constantly have ready for use, in public stores, a due number of field pieces and tents, and a proper quantity of arms, ammunition and camp equipage.
Jeder Staat soll eine ständige, wohl geordnete und disziplinierte Miliz unterhalten, die hinreichend bewaffnet und ausgerüstet ist, und soll jederzeit gebrauchsfertig in öffentlichen Lagern eine angemessene Zahl von Feldstücken (= Kanonen) und Zelten bereitstellen, und eine geeignete Menge von Waffen, Munition und Lagerausstattung.”
Im Klartext: Dieser Artikel gibt in seinem Wortlaut den Bürgern der einzelnen Bundesstaaten das Recht, sich in Bürgerwehren zu organisieren und zu diesem Zweck Waffen bereitzuhalten, mit denen diese Bürgerwehren ausgerüstet werden. So, wie es heute die Nationalgarde (die ist eine Miliz) und die von einzelnen Bundesstaaten aufgestellten Staatsgarden tun. Von Privatbesitz, und schon gar nicht vom uneingeschränkten Privatbesitz an Waffen ist hier also nirgendwo die Rede. Sowohl unter Originalisten als auch Konstruktivisten sollten man sich darin einig sein, dass der Verfasser der Bill of Rights (es war der spätere US-Präsident James Madison) die Selbstverteidigung, das Jadgrecht und all die anderen Gründe, eine Waffe zu benuzten, sehr wohl gekannt haben muss und daher, wenn er gewollt hätte, sie in diesem Amendment auch hätte benennen können. Da er das nicht tat – und der Kongress keine entsprechende Nachbesserung gefordert hat – muss es Absicht gewesen sein, dass die Bildung einer geordneten Miliz als alleiniger Grund für das Recht auf Bewaffnung genannt wird. Auch ist nirgendwo die Rede, dass Bürger ein Recht auf Eigentum an Waffen haben müssen, sondern lediglich, dass sie sich bewaffnen können (das Recht “to keep and bear arms” ließe sich auch mit einem Zeughaus, in dem für jeden Bürger Waffen bereit gestellt werden, vollinhaltlich erfüllen).
Regulierung mit Western-Tradition
Traditionell wurde dieses Recht aber immer schon großzügiger ausgelegt. Kein Wunder: Die Siedlungspolitik und -Praxis, mit der die Amerikaner ihren Kontinent “eroberten”, ließ Selbst- und Kollektivverteidigung untrennbar erscheinen. Die Pionierfamilien hätten keine Polizei und kein Militär zu Hilfe rufen können; ohne bewaffnete Bürger hätte der Westen nie oder zumindest nie so schnell besiedelt werden können. Doch dies war eher eine Frage des “common sense” und des Gewohnheitsrechts – die Verfassung, und vor allem ihr zweiter Zusatzartikel, wurden dabei eigentlich nie wirklich bemüht. Und Waffenbeschränkungen gab es auch im angeblich “Wilden Westen”: Die Stadt Tombstone in Arizona, beispielsweise, hatte per Verordnung vom 18. April 1881 das Tragen tödlicher Waffen innerhalb des Stadtgebietes untersagt. Die Durchsetzung dieser Verordnung spielte bei jener als “Gunfight at the O.K. Corral” berühmt-berüchtigt gewordenen Schießerei zwischen den Brüdern Earp und ihrem Freund Doc Holiday einerseits, und der Clanton-McLaury-Bande andererseits eine wesentliche Rolle. Gesetzliche Regelungen des Waffenbesitzes waren eher die Regel als die Ausnahme: Bereits im Jahr 1813 verboten die Staaten Kentucky und Louisiana das Tragen verdeckter Waffen, Western-Städte wie Wichita, Dodge City und das bereits erwähnte Tombstone verboten gänzlich das Tragen von Waffen. Das Magazin New Yorker zitierte in einem Artikel über die amerikanische Waffenkultur den texanischen Gouverneur des Jahres 1893, James Hogg, mit den Worten: “Der Sinn einer verdeckt getragenen tödlichen Waffe ist Mord. Sie abzugeben ist die Pflicht eines jeden selbstbewussten, gesetzestreuen Mannes.”
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