Es wäre nun nützlich, wenn es mehr solcher Studien gäbe, die eine breitere Datenbasis nutzen könnten und dann auch klarere Aussagen liefern würden. Der Haken ist nur, dass es solche Studien nicht geben wird, wie der selbe Arthur Kellerman erst vor wenigen Tagen in einem Aufsatz für das Journal of the American Medical Asssociation darlegte: Die Centers for Disease Control and Prevention wurden per Kongressbeschluss 1996 daran gehindert, Geld für irgend etwas auszugeben, das letztlich als Material zur Unterstützung von Waffenregulierungen verwendet werden könnte. Unfallaufklärung und Vorbeugung, gerne, aber nicht, wenn dabei Schusswaffen eine Rolle spielen. Vermutlich lässt sich das auch mit etwas Begabung aus der Bill of Rights heraus lesen …
Aber die Idee der Selbstverteidigung an sich klingt doch plausibel. Nach jeder Schießerei, ob in einem Kino in Colorado oder in einer Grundschule in Connecticut kommt, wie ein Mantra, die Erklärung der NRA, dass nicht weniger, sondern mehr Waffen – im Fall des Schul-Amoklaufs also beispielsweise bewaffnete Schulpolizisten – die Bluttat verhindert hätten.
Schießen ist leichter als treffen
Wer seine Informationen aus Kriminalfilmen und Western bezieht, wird das sicher gerne glauben. Doch die Treffsicherheit selbst gut ausgebildeter Sicherheitskräfte ist, wie die Realität zeigt, sehr bescheiden. Die New Yorker Polizei zählt sicher zu den professionellsten im Land, wenn nicht der Welt. Doch von den 41 Schüssen, die vier Polizisten am 4. Februar 1999 auf den unbewaffneten Passanten Amadou Diallo abfeuerten, gingen 22 daneben. Am 25. November starb der – ebenfalls unbewaffnete – Sean Bell in einem Hagel von 50 Polizeikugeln, die auf ihn und zwei seiner Freunde vor den Nachtklub “Kalua” im New Yorker Stadtteil Quenns abgefeuert wurden. Etwa die Hälfte dieser Kugeln ging daneben; eine durchschlug die Scheibe des benachbarten Bahnhofs, wo ein Passagier, der auf den Airtrain zum John-F.-Kennedy-Flughafen wartete, nur um die sprichwörtliche Haaresbreite unverletzt davon kam:
(Quelle: Democracy Now).
Und das waren bestens ausgebildete und spezialisierte Polizisten – welche Trefferquote würde wohl jemand haben, der mal gelegentlich am Schießstand ballert, aber nie erfahren musste, wie es ist, wenn jemand auf ihn/sie schießt? Das Problem bei der Selbstverteidigung ist halt, dass man nicht, wie der Mordschütze, einfach wild darauf losballern kann, wenn man nicht riskieren will, mehr unschuldige Opfer als Täter dabei zu erschießen. Und wer großmäulig verkündet, er/sie hätte dank seiner/ihrer Schießkünste mit Amokläufern in Kinos oder Schulen einfach kurzen Prozess gemacht, hat sich wohl nie Gedanken darüber gemacht, wie die Polizei – die ja in solchen Situationen auch erst mal keinen Überblick hat – in diesem Fall auf einen um sich schießenden Zivilisten reagieren würde, wenn sie schon unbewaffnete Personen wie Diallo und Bell für eine tödliche Gefahr hält …
Ein Grundrecht auf Terrorismus?
Aber auch das Recht auf Selbstverteidigung vor Verbrechern ist nur ein vorgeschobenes. Wer den Anhängern einer unbegrenzten Waffenfreiheit eine Zeitlang zuhört, muss lernen, dass sie sich vor allem vor einem ganz anderen Feind schützen wollen: Ihrer Regierung. Wirklich? Wirklich:
Diese Leute begreifen den zweiten Zusatzartikel zur US-Verfassung tatsächlich als das Recht – nein, die Verpflichtung! – den demokratischen Willen einer Mehrheit (durch den wird ja die Regierung gebildet) mit Waffengewalt außer Kraft zu setzen. Mit dem gleichen “Argument” hatte übrigens Timothy McVeigh sein Bombenattentat auf das Bundesverwaltungsgebäude in Oklahoma City begründet, bei dem am 19. April 1995 168 Menschen starben und mehr als 800 verletzt wurden. Wenn das die Vorstellung von Freiheit sein soll, wie würde da wohl Tyrannei aussehen?
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