Ich heiße Jürgen. Steht ja auch so in meinem Autorenprofil. Wer sich nun fragt, warum ich mit so einem banalen Satz beginne, dem verrate ich gerne, dass ich meinen Namen nie besonders gemocht habe – ob es nun die phonetische Ähnlichkeit zu “würgen” war, oder die Tatsache, dass dieser Name nur schwer über mainfränkische Zungen rollen will (wobei immer nur etwas gequetscht klingendes “Jüichn” herauskommt), kann ich selbst gar nicht mehr sagen. Aber so ganz unbegreiflich ist mir der Wunsch, einen neuen oder veränderten Namen anzunehmen – den viele meiner Freunde und Bekannten übrigens in die Wirklichkeit umgesetzt haben – daher nicht.
Wer sich jetzt fragt, worauf das hier raus führen soll: bitte habt noch einen Augenblick Geduld, oder auch zwei.
Doch ich weiß auch, dass es gar nicht so einfach ist, diese Feunde (generisches Maskulinum hier!) mit dem neuen Namen anzureden. Der manchmal gar nicht wirklich “neu” ist, sondern nur mit einer alten Gewohnheit bricht – wie bei einem Schulfreund, der nach einem längeren Auslandaufenthalt mit dem Beschluss zurückkehrte, dass er fürderhin nicht mehr bei dem aus einem Diminutivum seines Nachnamens gebildeten “Spitznamen” gerufen werden wollte, wie wir es seit Beginn unserer Schulzeit gewohnt waren, sondern bei seinem tatsächlichen Vornamen. Einem hartnäckigen Verweigerer, der auf seinem alten “Gewohnheitsrecht” beharren wollte, kündigte er ganz konsequent die Freundschaft auf.
Und warum erzähle ich das hier? In den Kommentaren zu Florian Freistetters Beitrag über die sprachlichen Änderungen bei der Neuauflage des Kinderbuches Die kleine Hexe – unter anderem soll das Wort “Neger” vermieden werden – tauchte sehr schnell und sehr ausdauernd das “Argument” der über diese Änderungen Empörten auf, dass dieser nun inkriminierte Begriff doch damals (also im Jahr 1957, als Otfried Preusslers Buch erstmals erschien) gar nicht rassistisch belegt gewesen sei und all dies nur mal wieder die Machenschaften einer übereifrig und politisch korrekten Sprachpolizei seien. Und das heißt ja, im Umkehrschluss, dass man das Wort “Neger” beruhigt verwenden dürfe, so lange man es nicht rassistisch meine. Entscheidend sei demnach also nur die Intention des Sprechenden, aber nicht, wie die derart angesprochenen den Begriff empfinden.
Dieses “Argument” taucht auch in der Kolumne meines Ex-Korrespondentenkollegen Jan Fleischhauer (wir waren zeitgleich, wenn auch für sehr verschiedene Publikationen, in New York tätig) bei Spiegel ONLINE auf. Er beruft sich dabei auf seinen Journalismus-Ausbilder Wolf Schneider,
der für politische Vorgaben wenig Interesse hatte und Burkina Faso unverdrossen weiter Obervolta nannte, weil er nicht bei jedem drittklassigen Militärputsch die nächste Staatsumbenennung mitmachen wollte (…)
Und als “Kronzeugen” für die Absurdität einer derart politisch korrekten Nomenklatur benennt er die Inuit, die man nun nicht mehr Eskimo nennen dürfe, obwohl es doch inzwischen bekannt sei, dass dieser Sammelname nicht, wie irrtümlich (und irritierend) angenommen, von “Rohfleischesser” abgeleitet ist und daher auch keine abwertende Absicht und/oder Konnotation haben könne. Mal abgesehen davon, dass “Eskimo” durchaus noch gebräuchlich ist (aber nicht in Kanada und Grönland, wo dieser Sammelbegriff – der mehrere Völker umfasst – nicht nötig ist, da die dort lebenden Ureinwohner alle zu den Inuit gehören, während in Alaska und Sibirien auch noch die Yupik leben) – ist es wirklich in Ordnung, andere Gruppen zu nennen, wie es uns passt, aber nicht ihnen?
An dieser Stelle – und weil ich sowieso erst mal auf die USA umschwenken werde, wo die Begriffslage komplexer ist – drängt sich geradezu diese Episode auf, an die sich der Harvard-Professor Henry Louis Gates Jr. aus seiner Kindheit in West Viginia erinnert:
I couldn’t have been much older than five or six as I sat with my father at the Cut-Rate one afternoon, enjoying two scoops of caramel ice cream. Mr. Wilson, a stony-faced, brooding Irishman, walked by. “Hello, Mr. Wilson,” my father said.
“Hello, George.”
I stopped licking my ice cream, genuinely puzzled. Mr. Wilson must have confused my father with somebody else, but who? There weren’t any Georges among the colored people in Piedmont. “Why don’t you tell him your name, Daddy?” I asked loudly. “Your name isn’t George.”
“He knows my name, boy,” my father said after a long pause. “He calls all colored people George.”
Diese Geschichte illustriert gleich zwei Punkte:
1. Benennen ist Ausübung – oder zumindest symbolischer Ausdruck – von Macht und nicht selten von Aneignung. Man braucht nur einen Atlas der Kolonialzeit aufzuschlagen …
2. Die Begriffe, mit denen die einstigen Sklaven und ihre Nachkommen im Laufe der Geschichte bezeichnet wurden, unterliegen einem ständigen Wandel.
Punkt Eins ist nicht ohne historische Pikanterie: Es war bereits zu Römerzeiten üblich, dass Sklaven von ihren Besitzern einen neuen Namen erhielten. Und auch die afrikanischen Sklaven, die nach Amerika verschleppt wurden, mussten damit leben, dass ihre alten Namen nicht mehr galten. Und dabei spielt es keine Rolle, wie harmlos und gewöhnlich diese neuen Namen nach unseren Maßstäben waren oder sind: Entscheidend ist nicht, welcher Name vergeben wurde, sondern das er aufgezwungen wurde. Und dass diese Umbenennung ausdrücken soll: “Ich habe Macht über Dich.”
Und das ist, letzten Endes, auch der Grund, warum sich Indianer nicht länger als Indianer bezeichnen lassen wollen. Und warum auch die Begriffe, die von den Nachfahren von Afrikanern in Amerika für sich selbst verwendet werden, in den vergangenen 100 bis 150 Jahren so oft gewandelt haben – von Colored und African zu Negro zu Black zu African-American, und vielleicht schon bald wieder einem neuen Begriff. Es sind halt nun mal die Betroffenen, die hier ein Wort mit zu reden haben, wie sie angesprochen werden wollen – ganz so wie mein eingangs erwähnter Schulfreund. Und so lange jede dieser Bezeichnungen letztlich doch nur dazu dient, Menschen auf ein sehr äußerliches Merkmal – in diesem Fall die Hautfarbe – zu reduzieren und entsprechend abzuqualifizieren (und genau das ist, leider, immer noch der amerikanische Alltag), so lange werden sich die Begriffe ändern. Auch, wenn es uns umständlich und oberflächlich erscheint. Und nein, nur weil Martin Luther King Jr., der am 15. Januar seinen 84. Geburtstag gefeiert hätte, gleich zu Beginn in seiner berühmten Rede “I have a dream…” von “Negro” spricht, oder weil die Bildungsstiftung sich aus historischen Gründen auch heute noch United Negro College Fund nennt, bedeutet das nicht automatisch, dass ich nun jeden, dessen Hautfarbe dunkler ist als meine, als solchen betiteln darf. Malcom X bevorzugte “black”, das zu Antebellumzeiten noch ein übles Schimpfwort war. Dies ist zwar auch heute noch – vor allem, weil es einen äquivalenten sprachlichen Kontrast zu “white” (weiß) bietet – sehr verbreitet, aber seit den 80-er Jahren gewinnt “African-American” (das parallel zu “Italian-American” oder “German-American” statt äußerer Merkmale eine ethnische Abstammung ausdrückt) an Popularität. Aber wer weiß – vielleicht wird auch dieser Begriff sich bald abnutzen. So lange Begriffe zur Ausgrenzung dienen, so lange werden sie früher oder später einen negativen Beiklang erhalten und daher ausgemustert werden.
Wie Worte von neutral zu negativ abgleiten können, belegt übrigens auch ganz eindrücklich der Begriff der “political correctness” selbst, der usprünglich nur das Bemühen ausdrücken sollte, auf die Sensibilitäten verschiedener Gruppen nach deren Wünschen einzugehen, und der inzwischen von den Gegnern solcher (Sprach-)Sensibilitäten als Schimpfwortkeule für einen gutmenschelnden Übereifer benutzt wird.
Nochmal: Entscheidend ist nicht der Begriff an sich (der wandelt sich gelegentlich), und eigentlich auch nicht die Intention dessen, der den Begriff benutzt. Entscheidend ist, wie der Begriff vom Angesprochenen aufgefasst wird. Und darüber kann nun mal lediglich der Angesprochene befinden. Dabei spielt es absolut keine Rolle, ob der Begriff überhaupt rassistisch gemeint ist oder nicht, oder ob er “nur” historisch inkorrekt, sozial inadäquat oder vielleicht sogar nur ästhetisch unbefriedigend ist.
Und außerdem: Mangel an Intention schützt vor Rassismus nicht, wie Gerhard Polt und Gisela Schneeberger in diesem klassischen Sketch auf geradezu schmerzhaft satirische Weise zeigen:
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