Man könnte auch sagen: das Fass ohne Boden. Vielleicht, weil dem Fass, ähh … Themenkomplex “Journalismus und Sexismus” schon lange der Boden ausgeschlagen wurde? Wenn ich den Beitrag Dann mach doch die Bluse zu! von Birgit Kelle in TheEuropean lese, sehe ich einen bodenlosen Abgrund, in dem die alten Rollenbilder im Journalismus noch jene altväterlichen “fröhlichen Urständ” feiern, die eigentlich mit dem Ende des 20. Jahrhunderts (spätestens!) in der Abfalltonne hätten verrotten sollen. Vielleicht sollte ich mit einer alten Anekdote (und ja, die haben einen realen, aktuellen Umlaufwert, selbst wenn sie nicht mehr ganz frisch sind, wie beispielsweise die Brüderle-Anekdote) beginnen – bewerten mag sie jede(r) für sich selbst:
Ende der 90-er Jahre, als ich noch für einen großen deutschen Verlag (nicht Burda/Focus) als Korrespondent tätig war, wurde ich als Gastreferent für einen Vortrag an einer der großen deutschen Journalistenschulen – die hier nicht namentlich genannt werden soll – nach Deutschland eingeladen (ich will’s wirklich so anonym wie möglich machen). Als ich nach dem Ende der Klasse von meinem Gastgeber gefragt wurde, ob ich noch Lust hätte, auf einen Drink mit auszugehen, lehnte ich dankend mit dem Hinweis ab, dass ich schon mit meiner Frau verabredet sei – was mit der (ehrlich oder gut gespielt, ich weiß es leider nicht, da ich den Gastgeber nicht wirklich kannte und dies meine erste Begegnung mit ihm war; seinen Namen habe ich übrigens mit großem Erfolg aus meinem Gedächtnis getilgt) erstaunten Nachfrage quittiert wurde: “Was wollen Sie denn mit Ihrer Frau, wenn wir doch so viele attraktive Volontärinnen haben?”
Nun kommt das obligatorische Geständnis: Natürlich hätte ich eine solche – vor Zeugen gemachte! – sexistische Bemerkung den zuständigen Stellen im Haus melden sollen; immerhin hatte der Mann ja eine nicht unerhebliche Macht über Volontäre jeglichen Geschlechts, und wenn seine innere Einstellung eine gewisse “Selbstbedienungshaltung” in dieser Position ausdrückt, dann ist definitiv eine Grenze überschritten. Doch damals wusste ich, dass ein solches Vorgehen sinnlos gewesen wäre, denn erstens war dies alles eh’ ein offenes Geheimnis (wie ich auf kurze Nachfrage erfuhr, was auch die Unbekümmertheit in Gegenwart von Zeugen erklärte), zweitens war dieser – und nun muss ich mich korrigieren: ist dieser offene Sexismus in Journalistenkreisen völlig normal.
Das ist letztlich auch der Tenor – oder zumindest eines von mehreren zentralen Argumenten – im European-Kommentar von Frau Kelle. Wenn abends an der Bar mit Politikern und Vorständen beim Bier (oder anderen stimulierenden Getränken) geplaudert wird, dann muss man auch mal einen sexistischen Kommentar abkönnen. Als Dienst am Journalismus insgesamt, denn wo kämen wir hin, wenn Politiker/Bosse sich nicht mehr trauen dürften, ihre wahre Natur zu zeigen? Sieht man davon ab, dass ich a) diese “Hintergrundgespräche” an der Bar selbst immer als eine merkwürdige Form der Kumpanei empfunden habe (und ja, ich habe mit dem einen oder anderen Politiker/Vorstandschef schon entsprechende Getränke an Theken und Tischen eingenommen, weiß also aus eigener Erfahrung, wie das funktioniert) und b) welche Logik verbietet uns dann, diese “wahre Natur” dann auch in unseren Berichten zu schildern? Wenn ich nicht drüber schreiben darf und auch ansonsten zur schweigenden Komplizenschaft vergattert werde, dann bin ich als Journalist in dieser Runde überflüssig und könnte meine Zeit besser mit meiner Familie verbringen.
Aber zurück zur Frage: Warum habe ich damals geschwiegen? Warum krame ich diese Episode erst jetzt wieder hervor, wo sie grade in meine Geschichte passt? Aus genau den gleichen Gründen, aus denen die Stern-Journalistin damals geschwiegen hat und die Anekdote dann später wieder ausgrub. Was eine Beschwerde gebracht hätte, zeigt ja die aktuelle Diskussion – allen voran die Haltung von Politikern und Journalisten-KollegInnen: Nichts. Hätte Brüderle sich damals entschuldigt? Nein. Hätten andere JournalistInnen mehr Verständnis gezeigt als heute? Auch kaum anzunehmen. Aber warum wurde die Sache dann jetzt akut? Ganz einfach, weil sie jetzt Teil einer Geschichte war. Auch das ist Teil der journalistischen Arbeit.
Aber der rote Faden dieser ganzen Debatte, an dem sich die sprichwörtliche Maus die Zähne ausbeißt, ist doch der: Unabhägig vom Verhalten der Journalistin oder der Journalisten insgesamt – Brüderles Benehmen wird dadurch nicht besser. Wie oft habe ich im Lauf meines Berufslebens das Argument hören müssen, dass bestimmte rassistische, sexistische oder sonstig -istische Bemerkungen doch gar nicht öffentlich getätigt wurden. Als ob heimliche Sexisten, Rassisten und Sonstwas-isten irgendwie weniger ein Problem wären. Als ob nur bekennende Sexisten, Rassisten und Sonstwas-isten geoutet werden dürften. Komische Vorstellung von Journalismus, so was …
Kleiner Einschub: Dass Brüderles Verhalten falsch war, wird ja eigentlich auch dadurch bestätigt, dass die gesamte FDP-Führung dies offenbar als eine Kampagne empfindet. Denn es wird ja nur eine Kampagne, wenn sie Munition hat – und die Munition bezieht ihre Durchschlagskraft nicht, wie man uns glauben machen will, aus der persönlichen Befindlichkeit einer Stern-Journalistin, sondern daraus, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung zustimmt, dass sich Brüderle daneben benommen hatte. Nur dann hat die “Kampagne” ja überhaupt Biss. Q.e.d.
Und das Argument “andere sind doch auch nicht besser” ist übrigens auch keines: Sicher ist der Stern nicht gerade die Postille des Anti-Sexismus, und sicher passt die Story dem Blatt gut ins Konzept – doch das annuliert kein einziges der Wörter, die Brüderle gesagt hat (ich benutze hier absichtlich nicht den Konditionalis, denn offenbar wurde die faktische Richtigkeit der Darstellung dieser Begebenheit von FDP-Seiten bestätigt). Mag sein, dass der Stern sich heuchlerisch und opportunistisch verhält – aber das ändert am Sexismus des Geschehenen nicht das geringste. Es ist ein alter Trick, über den ich hier schon mal geschrieben habe: Wer sich als Opfer, von was auch immer, stilisieren kann, befreit sich damit leichter von Schuldvorwürfen. Wenn ich beim Falschparken erwischt werde, hilft es nichts zu sagen, dass andere auch falsch parken und dass der Polizist mich eh’ auf dem Kieker hatte – so lange ich im Parkverbot stand, ist der Vorwurf (und der Strafzettel) gültig. Alles andere sind Ablenkungsmanöver.
Und ein ganz perfides Ablenkungsmanöver ist übrigens schon der Einstieg in Birgit Kelles Stück: Sie geht davon aus, dass all dies nie zu einem Thema geworden wäre, wenn Brüderle ein attraktiverer Mann wäre: “Vielleicht wäre uns diese ganze Debatte erspart geblieben, wenn an diesem ominösen Abend an der Bar nicht Rainer Brüderle, sondern George Clooney gestanden hätte, um seine Tanzkarte an Frau Himmelreich weiterzureichen” schreibt sie, umd dann den Gedanken zu Ende zu spinnen: “Dann wäre es unter Umständen die Geschichte eines heißen Flirts geworden und Frau Himmelreich hätte bis an ihr Lebensende einen echten Clooney bei ihren Freundinnen zum Besten geben können.” Aha. Klar doch. Jede Frau fliegt auf Clooney. Und wenn der zudringlich würde, dann schmölze jeder Widerstand. Wirklich? Muss man das wirklich im 21. Jahrhundert noch lesen? Das war zu “Goldfinger“Zeiten” schon sexistischer Dreck, und es wird nicht dadurch besser, dass dies von einer Frau als “Argument” gebracht wird. Und ja, ich bin ein fan sowohl von “Goldfinger” als auch von George Clooney – der übrigens zum Thema Sexismus vermutlich eine deutlichere Haltung einnimmt als viele der apologetischen DiskutantInnen.
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