Eine weitere Implikation dieses Arguments ist die Unterstellung, dass sich aus Attraktivität ein Recht auf Anmache ableiten lässt. Das setzt rhetorisch unsere Komplizenschaft voraus: Es impliziert unsere automatische Zustimmung, dass – aufgrund der Attraktivität des Filmstars – jegliche Aufmerksamkeitsbezeugung seinerseits nur ein Kompliment für die derart Angesprochene sein kann. Das folgert aus der Position, dass es keine öffentliche Empörung gegeben hätte, wenn nicht der Politiker, sondern der attraktive Filmstar die Journalistin angemacht hätte. Nach dem Tenor: Klar, wenn so ein toller Typ was von Dir will, da kannst Du doch nicht nein sagen! Hier wird also das Konzept der Unwiderstehlichkeit ins Spiel gebracht: Bestimmte Personen sind, so die Idee, so attraktiv, dass Widerstand aus ihrer Sicht nicht zu erwarten ist. Der Fehler des Politikers war demnach nicht die Anmache an sich, sondern dass er lediglich seine eigene Unwiderstehlichkeit überschätzt hatte. Klassisch – und wie ich finde, tragisch – spiegelt sich das “Recht” des attraktiven Mannes, zu nehmen was er für das Seine hält, in dieser Goldfinger-Szene wider:
P.S.: Bin ich der einzige, der sich hier als Augenzeuge einer Vergewaltigung (im weiteren Sinn, zugegeben, aber Gewalt ist definitiv im Spiel) fühlt?
Natürlich gibt es daneben auch die Komplementärseite zum attraktivitätsbedingten Recht auf Anmache: Manche Frauen seien demnach so unwiderstehlich, dass selbst unattraktive Männer nicht anders können als auf sie fliegen. Ein Klassiker der Literaturgeschichte …
Sind meine Interpretationen absurd und übertrieben? Überspitzt vielleicht, da sie sich aus einem kurzen – vermutlich gar nicht so weit durchdachten – Wegwerfargument in einem (vermutlich auch nicht so weit durchdachten) Meinungsbeitrag stützen. Aber das erschreckende ist halt die Zustimmung, die dieses Wegwerfargument findet – und die wiederum signalisiert ein breiteres gesellschaftliches Problem. Ein Problem, das real existiert: Wie ich hier in Beauty full Science schon einmal geschrieben habe, spielt die Attraktivität von Täterinnen/Tätern und ihren Opfern bei der gerichtlichen Beurteilung von – beispielsweise – Vergewaltigungen eine große Rolle.
Ich gebe zu, dass es einiger Anstrengung bedarf, all diese Denkfehler aus diesen eher en passant fabulierten Einleitungssätzen des TheEuropean-Beitrags herauszulesen. Aber sie sind darin enthalten – und sie sind von enormer gesellschaftlicher Relevanz. Darum versuche ich es mal hier mit ein paar Prinzipien:
– Das Recht einer Person auf Selbstbestimmung ist unabhängig von ihren körperlichen Eigenschaften oder ihrer Präferenz in Kleidung und Accessoires;
– Attraktivität, wie immer sie definiert sein mag, ist keine automatische Befugnis, die Selbstbestimmungsrechte anderer Personen zu ignorieren;
– es gibt in der Partnerwahl kein “Meistbegünstigungsrecht”: Aus dem Verhalten einer Person gegenüber Anderen lassen sich keinerlei Ansprüche auf gleiches Verhalten gegenüber sich selbst ableiten;
– niemand ist unwiderstehlich.
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