Ich verfolge mit großen Interesse (und dem Gefühl der sicheren Distanz) die Diskussion bei ErklärFix um die Pferdelasagne. Einen der Gründe – warum ich als Journalist an der Geschichte solchen Anteil nehme – habe ich hier ja schon erklärt: Nur weil es ein breites Interesse in den Medien findet, sollte man die Sache nicht als “Hype” abtun. Aber ich stelle beim Lesen der Kommentare fest, dass sich die folgenden zwei Argumente häufen:
1. Pferdefleisch ist qualitativ nicht schlechter als Rindfleisch – die Leute sollen sich nicht so anstellen. Eine Unter-Variante davon ist, dass die nun nachgewiesenen Medikamentenrückstände (die ja eindeutig eine Qualitätsminderung im Sinn des vorangegangenen Stazes darstellen würden) nicht schlimmer sind als andere, akzeptable Schadstoffe auch.
2. Wer glaubt, dass er für den Preis, zu dem die Waren verkauft werden, dann auch die versprochene Qualität erwarten könne, ist selbst schuld.
Was sowohl bei 1. als auch bei 2. ignoriert wird, ist die Tatsache, dass es hier im Kern um einen Vertrag geht. Ein simpler Vertrag: Ware gegen Geld. Genauer gesagt: die angebotene Ware (dieser Aspekt wird in Punkt 1. angesprochen) gegen den festgelegten Preis (um den geht es in Punkt 2). Für die Zahlung des Preises ist der Kunde verantwortlich, als Gegenleistung erhält er dafür die versprochene Ware. Ganz simpel, wie gesagt. Und wenn die versprochene Ware eine Lasagne mit Rindfleisch war, aber statt dessen eine Lasagne mit Pferdefleisch geliefert wird, dann ist diese 1. Seite des Vertrages nicht eingehalten worden. Die wäre selbst dann schon nicht eingehalten, wenn statt der versprochenenen Lasagne eine Portion Cannelloni in der Packung wäre – obwohl die Zutaten in beiden Fällen nahezu identisch sein dürften. Sie wird auch nicht eingehalten, wenn mir jemand spanische Oliven verspricht und italienische Oliven liefert, oder “Gemüse aus heimischer Erzeugung” durch Importe aus Südafrika oder Australien ersetzt. Qualitativ mag das alles vergleichbar sein – aber Essbarkeit und Geschmack sind nicht die einzigen vertraglichen Zusicherungen, die dabei zu berücksichtigen sind.
Es gibt beispielsweise einige unausgesprochenen Verpflichtungen: Waren, die zum Verzehr angeboten werden, müssen auch für den Verzehr geeignet sein = gesundheitlich unbedenklich, und in genießbaren Zustand (nicht versalzen, nicht verkohlt, nicht sandig etc.) Neuwagen müssen in fahrbereitem Zustand sein, also beispielsweise einen funktionierenden Motor und funktionierende Bremsen haben. Und zumindest bei Geschäften mit kommerziellen Anbietern, also beispielsweise Lebensmittelgeschäften oder Autohäusern, muss der Verkäufer legal über die Ware verfügen können (will heißen: keine Hehlerware anbieten).
All diese eben genannten Bedingungen könnte auch eine Pferdefleisch-Lasagne erfüllen – was ist also das Problem? Hier bietet sich ein einfacher Test an: Hätte sich die angebotene Ware genauso verkaufen lassen, wenn ihr wahrer Inhalt angegeben würde? Und da wird die Antwort schon komplizierter. In Frankreich, und wie ich höre, auch in der Schweiz, wird Pferdefleisch ausdrücklich nachgefragt und kann sogar bessere Preise erzielen als Rindfleisch. Aber das heißt nicht, dass es damit egal ist, ob Pferd oder Rind verwurschtelt wurde. Selbst in Frankreich und in der Schweiz nicht. Und schon gar nicht in Deutschland, wo die Nachfrage nach Pferdefleisch sehr gering ist. Also nochmal: Selbst bei qualitativer Vergleichbarkeit hängt es immer noch von den Präferenzen des Verbrauchers ab. Und ja, die dürfen sich sogar kurzfristig ändern – nur weil mir morgen eine Schweinsbratwurst schmecken würde, muss ich mir heute keinen dünnen Schweinemuskellappen als Kalbsschnitzel andrehen lassen. Und wenn ich bewusst lokale Erzeugnisse kaufen will, um die örtliche Landwirtschaft zu unterstützen (und sei es nur symbolisch) oder eine bessere CO2-Bilanz erzielen will, dann bin ich ebenso bewusst betrogen worden, wenn sich die heimische Tomate dann als holländisches Gewächshausprodukt entpuppt. Aus biologisch-chemischer Sicht mag der Unterschied minimal oder nicht vorhanden sein – aber das ändert nichts daran, dass Champagner nur aus der Champagne kommen darf und dass ein Schweizer Emmentaler anders geschätzt wird als sein norwegischer Artgenosse.
Kurz: Wenn mir A versprochen, aber B geliefert wird, dann stimmt erst mal was nicht. Und wenn der Anbieter weiß, dass ich B nicht kaufen würde, und er es mir daher als A unterjubeln will, dann ist das Betrug. Und das ist unabhängig davon, wie ich A und B definiere. Und dabei ist es egal, ob nun A oder B in bestimmten Eigenschaften gleich sind – so lange ich als Käufer über den Tausch nicht informiert werde, werde ich beim Vertragsabschluss (= Kauf) getäuscht. Umso mehr, als es dem Käufer ja gar nicht möglich ist, die Ware vor dem Kauf auf ihre Qualität und Authentizität zu prüfen. Er wird gezwungen, dem Anbieter zu vertrauen.
Aber das ist ja nur die eine Seite des Vertrages. Die andere Seite ist der Preis. Und der wird typischer Weise eben nicht mehr durch Verhandlung zwischen Anbieter und Nachfrage ermittelt (auf dem Wochenmarkt geht das vielleicht noch, oder bei privaten Verkäufen): Waren werden mit Preivorgaben angeboten – der Käufer kann im allgemeinen nur entscheiden, ob er die Ware zum geforderten Preis haben will oder nicht. Der Preis hat nämlich auch eine Informationsfunktion: Er sagt dem Käufer, was er sich leisten kann, und was nicht. Zu diesem Preis, signalisieren Hersteller/Anbieter, kannst Du erwerben, was wir Dir anbieten.
Und das ist nicht so trivial, wie es scheinbar klingt: Anbieter/Hersteller versprechen den Käufern durch das Preisschild, dass die versprochene Ware/Leistung zum versprochenen Preis verfügbar ist. Wenn dies nicht (mehr) der Fall ist, wird der Preis angehoben – egal, ob das dem Kunden passt oder nicht. Wer’s nicht glaubt, kann ja mal zur nächsten Tankstelle gehen …
Mit anderen Worten: Nicht der Kunde, sondern die Anbieter hatten beschlossen, dass 1,60 Euro ausreichend seien, um die Kosten zu decken und Gewinn zu machen. Muss der Kunde das nachrechnen, auf Plausibilität prüfen? Klar, wenn man ihm einen fünfkarätigen echten Diamanten für 19,95 anbietet, dann wird er schon ahnen können, dass dies nicht möglich ist – aber macht das den Anbieter weniger zum Betrüger? Wenn ein Reiseveranstalter eine Woche Karibik inklusive Flug und Vollpension im Fünf-Sterne-Hotel am Strand für 500 Euro anböte, ist Misstrauen angebracht – aber wenn er seine Kunden dann ohne Verpflegung in einem sternlosen Minimal-Qartier in den Slums von Kingston unterbrächte, wäre es dennoch strafbarer Betrug. Aber welcher Verbraucher weiß schon, was so eine Tiefkühl-Mahlzeit in der Herstellung kostet? Da sind vermutlich zwischen 40 und 60 Gramm Fleisch drin – das würde, wenn ich mich recht entsinne, selbst beim Schlachter (also nicht in den hier benötigten industriellen Mengen) höchstens 50 oder 60 Cents kosten. Was kosten die paar Teigplatten, die Tomatensoße, die Bechamelsoße? Aber wie schon gesagt: Das ist die Rechnung, die Hersteller und Händler machen müssen – und wenn die nicht aufgeht, dann können sie dafür nicht dem Verbraucher die Schuld geben.
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