Wer hier eine Analyse oder sonstige Bewertung des Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (landläufig als “Leistungsschutzrecht” bekannt) erwartet hat, über das der Deutsche Bundestag heute abstimmen soll, wird vermutlich schwer enttäuscht werden: Es hat mich schon ein bisschen Übung und mehrere Tippfehlerkorrekturen gekostet, das sperrige Wort “Leistungsschutzrecht” hier fehlerfrei hinzuschreiben; mein Interesse an diesem Regelwerk war spätestens dann erlahmt, als ich gemerkt habe, dass die Interessen jener, die – meiner Ansicht nach – die Leistung erbringen, darin sowieso nicht geschützt, aber mit dem Verhindern des Gesetzes auch nicht verteidigt werden: Weder die Interessen der Verlage, noch die Interessen von Google decken sich auch nur annähernd mit den Interessen jener, die sich – wie ich, beispielsweise – als Journalisten identifizieren.*

Leistungsschutz ist an sich keine schlechte gute Idee (wenn auch ein bisschen mittelalterlich – die Zünfte hatten sich dies beispielsweise zu ihrer primären Aufgabe gemacht). Und als jemand, der mehr als ein halbes Berufsleben lang vom Erzeugen journalistischer Leistungen gelebt hat, würde ich mir in der Tat einen Leistungsschutz wünschen – ob als Gesetz oder als Verhaltenscodex ist dabei sekundär. Und das würde in diesem Leistungsschutz-Kodex meiner Wunschwelt enthalten sein:

1. Journalistische Arbeit wird als eine geldwerte Leistung anerkannt. Lange Zeit hätte ich nicht geglaubt, dass man so etwas postulieren muss, aber diese ganze Diskussion hier hat mich da schwer ernüchtert. Dass ich bei dem von mir stets hoch geschätzten Anatol Stefanowitsch eine rhetorische Definition von Schreiben als Nicht-Arbeit lesen musste**, und diese Dichotomie auch in diversen Kommentaren zu meinen Beiträgen deutlich erhalten blieb, zeigt deutlich genug, dass Journalismus in der Tat schwer um seine Anerkennung als Leistung kämpfen muss.

2. Aber daraus folgt auch, dass Verleger akzeptieren müssen, dass Journalisten eine geldwerte Leistung erbringen. Die Idee, dass man Journalismus auch ohne Journalisten machen könne, ist längst nicht so grotesk, dass sie nicht mannigfach in der deutschen Medienlandschaft schon in die Tat umgesetzt wurde.

3. Im Gegenzug verpflichten sich Journalisten auf journalistische Qualität. Das sollte zwar selbstverständlich sein, aber ich war lange genug in diesem Business um zu wissen, wie oft Abkürzungen genommen werden – das Umschreiben oder gleich komplette Übernehmen von Pressemitteilungen, beispielsweise, oder der Ersatz von unabhängiger Recherche und kritischer Distanz durch das Nachbeten von Sprachregelungen und organisiertem Spin-Doctoring.

4. Aus 1 bis 3 folgt: Recherche wird als grundlegender Teil der journalistischen Tätigkeit/Leistung etabliert. Ich kann mich (leider) noch sehr gut an einen früheren Chefredakteur erinnern, der seinen New Yorker Korrespondenten die Direktive gegeben hatte, keine Zeit mit dem (Nach)Recherchieren zu verschwenden: “Wenn es schon in der New York Times stand, dann müssen Sie das nicht überprüfen und damit Zeit verschwenden.” Und das heißt auch, dass Journalisten sowohl materiell als auch zeitlich mit den dafür notwendigen Mitteln ausgestattet werden. Zeit ist dabei vielleicht sogar die wichtigste Komponente. Schnelligkeit darf nicht alles sein; ich wünsche mir mal, den Werbeslogan zu lesen: “Bei uns lesen Sie es nicht zuerst – aber bei uns lesen Sie dafür zum ersten Mal, was wirklich passiert ist.”

5. Mit der journalistischen Leistung wird auch geistige Urheberschaft geschützt: Wenn Geschichten von anderen Medien “abgekupfert” werden, muss immer ein Nachweis auf die Quelle und/oder den Autorennamen gegeben werden. Dies ist unabhängig von Nachdruckrechten und Tantiemen, sondern eine rein ideelle Gegenleistung für geistiges Eigentum – vergleichbar dem Zitieren von Quellen in akademischen Schriften. Und das ist leider – auch dies eine Erfahrung aus der Praxis – eher die seltene Ausnahme als die Regel, die es sein sollte.

6. Honorare für freie Journalisten müssen der journalistischen Qualität und dem dafür erforderlichen Arbeitsaufwand angemessen sein. Die bisherige Praxis, allein nach Abdruckzeilen oder – schlimmer noch – mit minimalen Pauschalen (100 Euro für drei Tage Rechercheaufwand!) zu vergüten, ist als Regelfall nicht mehr zulässig.

7. Bestellte und abgesprochene Texte sind auch bei Nicht-Veröffentlichung zu vergüten, und zwar in Form eines (reduzierten) Ausfallhonorars. Dies gilt nicht für unaufgefordert eingesandte Manuskripte.

8. Honorare für freie Journalisten müssen zeitnah nach Veröffentlichung von Artikeln ausgezahlt werden. Soweit ich es aus meiner Erfahrung beurteilen kann, sind mehrmonatige Verzögerungen der Regelfall.

9. Bei Aufträgen an freie Journalisten, die mehrtägige Recherchen und Auslagen (zum Beispiel Reisekosten) erforderlich machen, wird ein Teil des Honorars als Kostenvorschuss mit der Auftragserteilung fällig und umgehend erstattet. Aus dieses Problem kenne ich aus direkter Beobachtung (als Korrespondent hatte sich sehr häufig mit freien Mitarbeitern zu tun): Man geht mit Hunderten von Euro oder Dollar in Vorleistung und wartet dann monatelang darauf, das Geld, zusammen mit dem Honorar erstattet zu bekommen. Wie in Punkt 4. bereits erläutert, wirkt sich die Begrenzung der verfügbaren Mittel zumeist nachteilig auf die Qualität der journalistischen Leistung aus. Freie Journalisten bekommen Spesen nur in den seltensten Fällen erstattet; die Verlockung, die Story dann mit minimalem Rechercheaufwand zu produzieren, wird dadurch unangemessen gesteigert.

10. All dies bedarf keiner gesetzlichen Regelung, sondern der Einsicht, dass Journalismus mehr ist als nur die Aneinanderreihung alphanumerischer Zeichen, die dann den Platz zwischen mehr oder weniger lukrativen Anzeigen füllen sollen.

So, wie Zeitungen heute gemacht werden, sind sie eine gedruckte Form der Pferde-Lasagne, denn in beiden ist nicht mehr das drin, was auf der Verpackung versprochen wurde. Und dem Verbraucher oder Leser wird in beiden Fällen die Schuld zugeschoben, dass man ihm ungenießbare Wechselbälger unterjubeln muss; die versprochene Qualität könne man bei den gegebenen Preisen halt nicht produzieren. Davon abgesehen, dass die Leser bisher schon enorm viele Preis- und Abo-Erhöhungen hingenommen haben, ohne dass dies automatisch mit einer Qualitätssteigerung einher ging: Warum jemand denken kann, die zunehmende Ungenießbarkeit des Produkts sei ein tragbares Geschäftsmodell für die Zukunft, erschließt sich mir auch bei längerem und scharfem Nachdenken nicht. Vielleicht sollte man es doch mal wieder mit mehr Qualität versuchen – beim Journalismus und bei der Lasagne. Und wer weiß, vielleicht hat man die Konsumenten ja doch unterschätzt …

* Das heißt nicht, dass ich Verlage und/oder Verleger nicht mag. Im Gegenteil. Aber die Interessen der Verlage und die Interessen der Journalisten sind traditionell sehr oft antagonistisch; eben so wie die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in weiten Teilen antagonistisch sind, selbst wenn es ein paar wesentliche Übereinstimmungen gibt.

** Ich weiß zwar, dass dies eine interpretative Paraphrasierung ist, aber es ist mir bisher nicht gelungen, einen anders gelagerten Sinn in folgendem Zitat aus Anatols Posting zu entdecken: “Und ich muss zugeben, ich kann nachvollziehen, warum ihr das Geldverdienen reizvoll findet. Trotzdem schreibe ich meistens umsonst, einfach, weil ich schreiben will — und damit bin ich einer von Millionen, die umsonst komponieren, malen, dichten, filmen, und die ihr Geld auf ganz althergebrachte Art und Weise verdienen: Indem sie dafür arbeiten.” (Hervorhebung von mir) Diese Aussage ergibt nur unter der Prämisse “Schreiben ≠ Arbeiten” einen Sinn.

flattr this!

Kommentare (10)

  1. #1 rolak
    1. März 2013

    Die merkwürdige Ungleichung in ASs Statement erinnert mich an zwei Dinge:
    Einerseits an an die vor ~40 Jahren oft gehörte (vielleicht überhör ich so etwas mittlerweile automatisch) krude Vorstellung, daß Arbeit und Hobby zwei Paar Stiefel seien, Arbeit sein müsse, das Hobby Spaß mache und es keinesfalls Überschneidungen gebe bis geben dürfe.
    Andererseits an die lokale Szene bildender Künstler, in der evtl vorhandene Vermögen/Einkommen (~Geld/Sach-Erbe) kaschiert werden, die hehre Kunst nur als entfaltbar angesehen wird, wenn sie gemäß dem alten l’art pour l’art im kargen Kämmerlein und nur für sich geschaffen wird, bestenfalls auf hartnäckiges Nachfragen Auftragswerke herumdrucksend als solche zugegeben werden, mein Angestellten-Zustand als degoutant bis inakzeptabel eingestuft wird. Genau das macht für mich einen der reizvollen Punkte der sporadisch stattfindenden ‘Offenen Ateliers’ aus, eine Parallelgesellschaft, die offensichtlich von keinem als störend empfunden wird.

    Kleiner Seitenhieb.

    btw: Ich finde nicht den Ursprung der eingesternten Fußnote, die allerdings auch locker allgemein, ohne festgelegten Bezug durchgeht.

  2. #2 Jürgen Schönstein
    1. März 2013

    @rolak
    Mannomann, so früh wach und dann schon so aufmerksam ;-): Das fehlende Fußnoten-Sternchen gehörte ans Ende des ersten Absatzes. Und ist nun auch dort angebracht.

  3. #3 Adent
    1. März 2013

    @Jürgen
    Wenn du schon dabei bist, ausgerechnet im letzten Satz ist ein fieser Tippfehler (es muß man statt an heißen) 😉
    @rolak
    Ja, das habe ich auch schon immer als merkwürdig empfunden, als ob man mit dem was einem Spaß macht kein Geld verdienen dürfe…

  4. #4 Fliegenschubser
    1. März 2013

    Ein schöner Artikel, den ich vollkommen unterstütze und nachvollziehen kann. Für guten Journalismus würde ich auch gutes Geld bezahlen. Und ich würde mir wünschen, dass ein großer Teil der deutschen Rundfunkgebühren für gute Journalisten ausgegeben werden würden, und nicht für drittklassige Soaps o.ä.

  5. #5 Spoing
    1. März 2013

    Da ich mich nur oberflächlich mit dem Leistungsschutzrecht befasst habe, ist mir als Hauptkritikpunkt immer die Sache mit Google und co hängen geblieben. Also dass sich diese ab jetzt dafür zahlen sollen, dass sie in ihren Short-news auf die Zeitungsseiten verweisen.
    Das wird in der Netzwelt hingegen als grotesk abgelehnt. Da ein: “siehe da, da kannst du was kaufen” ja noch lange nicht das kopieren der Ware darstellt.

    Genau diese übertriebene Regelung ist ja jetzt raus. Was sind denn jetzt noch genau die fragwürdigen Punkte dieses Gesetzes. Außer das es für die Journalisten nichts besser (aber auch nichts schlechter) macht.
    Irgendwie bekommt man als Nicht-Medienmensch überhaupt keinen Überblick über die Sache, da keiner Fakten präsentiert sonder nur Argumente.

  6. #6 Jürgen Schönstein
    1. März 2013

    Danke, hab’s korrigiert 😉

  7. #7 fdm
    1. März 2013

    @Spoing
    Das ist der Witz an der Sache: Es ändert sich eigentlich nichts. Es ist eigentlich nichts geschützt, was nicht auch schon vorher geschützt war.

    Das Problem ist das eigentlich. Zum Beispiel sollen private Blogs nicht betroffen sein. Wann aber ist ein Blog privat? Kleinste Textausschnitte dürfen übernommen werden. Aber wie lang ist ein kleinster Textausschnitt? Und was ist eigentlich mit Zitaten? Ist das Zitatrecht höher anzusiedeln?

    Diese Fragen werden sicherlich die Gerichte beantworten und sie werden sie wahrscheinlich ähnlich wie früher beantworten, aber bis dahin herrscht Rechtsunsicherheit. Und das bietet die Chance gefahrlos Leute abzumahnen, die über keine gefüllte Kriegskasse verfügen.

  8. #8 Kaba
    1. März 2013

    Ein gewagter Artikel in Zeiten, wo journalistische Arbeit überwiegend als “Content” gewertet wird und entsprechend vergütet. Das ist auch der einzige Grund, warum der überhaupt noch verteidigt wird. Jedenfalls nicht des inhaltlichen Wertes wegen.

  9. #9 rolak
    1. März 2013
  10. […] Ein Leistungsschutzrecht, das ich mir wünschen würde  » https:// scienceblogs.de […]