Heute ist – wen überrascht’s? – Pi-Tag: Der 14. März wird im angelsächsischen Sprachraum 3/14 (seltener: 3.14) notiert, und das sind die ersten Stellen der Kreiszahl π. Am MIT beispielsweise wird dieser Tag vor allem durch ausgiebiges Verzehren von allenthalben angebotener Pizza gewürdigt (Pizza wird in den USA traditionell in wagenradgroßen Fladen gebacken, die als “pie” bezeichnet werden; auch runde, mit Frucht gefüllte Kuchen heißen “pie”, und das heutige Datum dient auch gerne als Rechtfertigung für den exzessiven Verzehr derselben). Doch auch wenn die Essmanieren amerikanischer Collegestudenten nicht generell den Maßstäben zivilisierter Nahrungsaufnahme entsprechen dürften, beziehen sich die “schriftstellernden Affen” meiner Überschrift nicht auf diese kulinarischen Collegerituale.
Um das zu erklären, muss ich ein wenig weiter ausholen. Die März-Ausgabe des US-Magazins WIRED hat der Zahl Pi eine kleine Randspalte auf Seite 40 gewidmet, und einer der kleinen Notizen dieser Spalte weist darauf hin, dass π “alles enthält”: Da sie nicht-periodisch ist, sich also keine Ziffernfolge in den unendlichen Nachkommastellen regelmäßig wiederholt, andererseits aber π auch eine normale Zahl ist, in deren Nachkommastellen alle Ziffern von Null bis Neun etwa gleich häufig vorkommen (Mathematiker werden mir vergeben, hoffe ich – aber für den Zweck meiner Überlegungen dürfte diese grobe Charakterisierung wohl reichen), heißt das auch, dass jede vorstellbare und beliebig lange Ziffernfolge irgendwo in π auftauchen wird. Und da sich Ziffernfolgen beispielsweise auch als Buchstaben interpretieren lassen, muss konsequenter Weise jeder Text, egal ob es ein Götz-Zitat ist oder der volle Wortlaut der “Herr der Ringe”-Trilogie, in π zu finden sein. Und das in jeder Sprache …
Toll! Nicht neu, aber so hatte ich noch nie über π nachgedacht. Doch irgenwie erinnert mich das an das Inifinite-Monkey-Theorem, das in verschiedenen Varianten besagt, dass ein Affe mit unendlicher Lebensdauer an einer unentlich haltbaren Schreibmaschine (und natürlich unendlich viel Papier) irgendwann, und rein zufällig, den exakten Text von Shakespeares Hamlet – das literarische Werk ist hier beliebig durch ein anderes ersetzbar – tippen wird. Ich bin zum ersten Mal auf dieses Theorem übriges bei der Lektüre des Hitchhiker’s Guide to the Galaxy gestoßen, wo es als amüsante Pointe in der Story des unendlichen Unwahrscheinlichkeitsantriebs auftaucht. Aber ich habe auch gelernt, dass es gerne als Argument gegen die Evolutionslehre verwendet wird: Genau so wenig wie dieser theroetische Affe es jemals schaffen werde, den Hamlet zu tippen, sei es glaubhaft, dass der genetische Code unserer Zellen durch evolutionären Zufall entstanden sein könnte.
Klar, der Denkfehler liegt darin, dass der genetische Code eben nicht “zufällig” entstanden ist – aber das heißt trotzdem nicht, dass es einen Schöpfer gibt. Aber wenn in π praktisch jedes Werk der Weltliteratur, ebenso wie jede verpatzte Seminararbeit, jedes nicht gelungene Gedicht und jeder Strafzettel, der irgendwann von irgendjemandem mal ausgestellt wurde, in ASCII-Code auftauchen wird, dann muss das doch etwas bedeuten, oder?
Nö. Sage ich jetzt mal prophylaktisch. Denn selbst wenn die exakte ASCII-Ziffernfolge der Lutherbibel drin steht, heißt das nicht, dass diese Ziffernfolge eine Bedeutung hat. Genau so wenig, wie beispielsweise in den Kratzspuren meines Katers an der Wohnungstür überraschend “Zitate in Mandarin” auftauchen, nur weil einige der Schrammen sich vielleicht als chinesische Schriftzeichen interpretieren lassen. Genau so wenig wie die Erosion Berghänge zu Gesichtern formt, sondern allenfalls “Gesichter”. Die Bedeutung entsteht nicht durch die Buchstaben, die Kratzer, die Formen an sich, sondern dadurch, was wir daraus lesen. Und was wir hinein schreiben. Und was, wenn beispielsweise eine achte Folge von Harry Potter in den Ziffernfolgen der π-Nachkommastellen auftauchen würde? Dann liegt das daran, dass wir die Zeichen als solche interpetieren – und halt jede andere, ebenso mögliche Zeichenfolge, die keine Harry-Potter-Story ergibt, gar nicht wahrnehmen. Mit andern Worten: Wenn wir Texte in π finden können, dann nur, weil wir diese “Texte” in unserer Wahrnehmung erst konstruieren und Nicht-Text (der vermutlich sooooo viel häufiger vorkommen wird) gar nicht erst erkennen.
Foto: The Pizza Review via Flickr (CC-BY-2.0)
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