Also müsste ich jenseits dieser Schwelle für Mimi eine ungebrauchte Zahl finden.

Zahlenmuster

Aber soweit sind wir noch nicht. Mimi hat zunächst die fünf Ziffern studiert und schaut mich etwas ratlos an:

„Und diese Zahl ist noch nicht gebraucht? Die sieht aber nicht neu aus.“ – „Ja, weil es nicht die ganze Zahl ist. Schau hier, die Ziffern gehen ja immer weiter. Hier sind die ersten eintausend Ziffern deiner Zahl.

„Eintausend Ziffern? Soweit kann ich noch nicht zählen.“ – Ehrfurchtsvoll betrachtet sie den einseitigen Ausdruck, der eine Zahlenkette von 44 Ziffern in 23 Zeilen enthält. Tatsächlich beginnen die ersten Zahlen mit 3,14159.

Aber Mimi schaut sich die Matrix mit ganz anderen Augen an. Schnell findet sie vertraute Muster. Sechsmal die Neun hintereinander. Und eine Viererbox mit Dreiern. Ein Kreuz aus Einsern. Die Fünf, die Null und die Eins in Dreiergruppen.

Und erst senkrecht: die Vierer, die Null, die Dreier, Acht, Neun, alle schön untereinander angeordnet. Dreier- und Vierergruppen. Sorgfältig kringelt sie alles ein.

Dann geht es an die Diagonalen: dreizehn mal wird sie fündig.

Jetzt ist ihr Jagdinstikt erwacht. „Hast du noch mehr Zahlen von meinem Pi?“

Wortlos lege ich ihr die Seite mit den „First 10,000 decimals of PI“ auf den Tisch.

Jetzt sind die Zahlen in 77 Zeilen zu jeweils 13 Blöcken von 10 Ziffern gelistet. Dadurch wird die Erkennung von Mustern wesentlich schwieriger. Dennoch findet sie schnell die sechs Neuner und gleich dreimal vier Siebener in einer Reihe.

„Und hier ist mein Geburtstag 10.12. Und unser Jahr 2013 habe ich auch gerade gefunden. Papaa, hast du noch mehr Zahlen?“

Unser Computer, der Zahlenknacker

Nun ist es an der Zeit, den Computer einzusetzen. 10 Millionen Stellen auf 200 Seiten. Wir blättern einmal kurz durch. Zahlen wie Sand am Meer. Mimi hüpft enthusiastisch auf ihrem Stuhl herum. Mittels der Suchfunktion finden wir auf Seite 97 unsere Postleitzahl 59368. Auf Seite 111 unsere Vorwahl 02389.

Ich werde mutiger. Mein Geburtstag? Achtstellig. Ich werde kurz vor der achtmillionsten Stelle fündig. Nun suchen wir Mimis Geburtsdatum? Mamas Geburtstag? Beides Fehlanzeige. Da müssen wir wohl nach der zehnmillionsten Stelle schauen.

Also gehen wir jetzt in die Datenbank mit den 200 Millionen Stellen. Über diese Suchfunktion klappt es besser: Mein Geburtstag taucht achtstellig nochmals nach 18 und nach 60 Millionen Ziffern auf. Mamas Geburtstag ist wesentlich seltener. Nur einmal nach der 142.149.231. Stelle treten die vertrauten Ziffern zu Tage. Und Mimi?

Der Computer meldet: “The string 10122003 did not occur in the first 200.000.000 digits of pi after position 0. (Sorry! Don’t give up, Pi contains lots of other cool strings.)”

Mimi überlegt jetzt, ob sie traurig darüber sein soll. Aber dann strahlt sie plötzlich: „Das sind ja alles gebrauchte Zahlen. Und die Zahl von meinem Geburtstag ist nicht dabei. Also ist sie doch eine neue Zahl, nicht wahr, Papa? Deine ist ja schon ganz schön viel benutzt worden.“

Erleichtert atme ich auf. Wir haben sie gefunden, Mimis Zahl. In keiner Tabelle und Datenbank verzeichnet. Zumindest nicht in den ersten 200 Millionen Ziffern. Von den 10 Billionen bekannten Stellen erzähle ich vorsichtshalber garnichts.

„Kannst du mir das ausdrucken? Dann kann ich allen meinen Freundinnen zeigen, dass ich eine neue Zahl habe, die noch keiner benutzen konnte.“

„Hör mal, liebe Mimi. 200 Millionen Zeichen kann ich nicht ausdrucken. Soviel Papier haben wir garnicht. Das Drucken würde mehrere Tage dauern. Und du müsstest einen ganzen Schubkarren voll mit Computerausdrucken zur Schule nehmen, wenn du deinen Freundinnen diese riesige Zahl zeigen willst. Und außerdem sind das ja nur die gebrauchten Zahlen. Neue Zahlen sind unsichtbar, denn sonst sind sie durch das Anschauen sofort benutzt worden. Es sind sozusagen geheime Zahlen.“

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Kommentare (16)

  1. #1 volki
    20. März 2013

    Aber so ganz läßt mich der Gedanke nicht los. Die Zahlenfolge in Pi ist unendlich. Das bedeutet, irgendwann muss jedes Geburtsdatum, jede PIN-Nummer, jede Telefonnummer der Welt, ja jede beliebige Zahl in Pi vorkommen.

    Da möchte ich widersprechen. Dies ist nur dann wahr, falls pi eine normale Zahl sein sollte. Das wird zwar vermutet ist aber noch weit weg davon, dass man das beweisen könnte.

  2. #2 Thilo
    20. März 2013

    @volki: “Normal” wurde heißen, dass die Zahlenfolgen alle gleich oft vorkommen, das ist nochmal eine stärkere Behauptung.

  3. #3 volki
    20. März 2013

    @Thilo: Ja, du hast natürlich recht. Ich sollte schreiben:

    “Dies ist dann sicher gestellt, falls pi eine normale Zahl ist.”

    Trotzdem ist die Normalität die bedeutendere Eigenschaft und ich unterstelle Jürgen einmal er hatte diese Eigenschaft im Kopf, als er diese Zeilen schrieb (zumindest ich habe als erstes an Normalität gedacht).

  4. #4 volki
    20. März 2013

    Mir ist noch was eingefallen; aus der Behauptung von Jürgen würde folgen:

    Die Ziffer 0 (oder eine andere Ziffer) kommt unendlich oft in der Dezimalzahlentwicklung von pi vor.

    Selbst nur dies zu beweisen wäre eine kleine mathematische Sensation.

  5. #5 Ulrich Berger
    20. März 2013

    @ volki: Ich kann beweisen: “Die Ziffer 0 oder eine andere Ziffer kommt unendlich oft in der Dezimalzahlentwicklung von pi vor.” Ist das jetzt eine mathematische Sensation, oder bestehst du auf den unschönen Klammern in deiner Formulierung?

    Ich kann übrigens auch beweisen, dass “Jürgens Behauptung” in Wahrheit gar nicht Jürgens Behauptung ist!

  6. #6 volki
    20. März 2013

    @Ulrich: Ohje, habe ich das wirklich so misverständlich geschrieben? Dann las mich das korrigieren zu:

    Sei a ein Element aus {0,1,…,9} und pi=sum_i a_i 10^{-i}, wobei die Summe über alle nicht negativen ganzen Zahlen i läuft. Weiters sei I_a:={i \in Z : i>=0 und a_i=a}. Dann ist |I_a|=oo.

    Ich kann übrigens auch beweisen, dass “Jürgens Behauptung” in Wahrheit gar nicht Jürgens Behauptung ist!

    Das verstehe ich nicht. Willst du damit andeuten, dass Jürgen nicht der erste war (ja da gebe ich dir recht), oder habe ich was oben im Text überlesen, oder???

  7. #7 volki
    20. März 2013

    PS: Ja ich bestehe auf meine Klammern! Auch wenn das unschön formuliert ist.

  8. #8 volki
    20. März 2013

    Das verstehe ich nicht. Willst du damit andeuten, dass Jürgen nicht der erste war (ja da gebe ich dir recht), oder habe ich was oben im Text überlesen, oder???

    Ich habe es gerade selber gesehen, dass der Beitrag von Manfred Kindler ist.

    *schäm mich*

  9. #9 Ulrich Berger
    20. März 2013

    Moment mal, jetzt forderst du den Beweis, dass ALLE Ziffern von 0 bis 9 unendlich oft vorkommen? Man muss bescheiden sein, also für’s erste biete ich immer noch den Beweis an, dass mindestens eine solche Ziffer unendlich oft vorkommt 😉

  10. #10 volki
    20. März 2013

    Tut mir leid! Ich habe halt meine Meinung geändert 😉

  11. #11 Made
    20. März 2013

    Zu normaler Zahl oder nicht, mal eine Frage.

    Die Zahl 0,1010010001000010000010000001000000001…. müsste doch irrational sein, oder nicht? Da gibt es keine sich periodisch wiederkehrende Ziffernfolge. Ab Stelle n gibt es eine Folge von x Nullen, die vorher nicht einmal aufgetaucht ist.

    Für ein m>n(+x) gibt es eine Folge von mindestens (x+1) Nullen, die es an keiner Stelle weiter vorn gegeben hat. Also ist die Zahl nicht periodisch. Also auch nicht rational.

    Und dennoch kommen unendlich viele (endliche) Ziffernfolgen nie vor in dieser Zahl (alle Einserfolgen mit mehr als einer Eins nämlich) Also ist die Normalität schon eine Voraussetzung um sicher sein zu können, dass jede Ziffernfolge vorkommt.

    Oder wo liegt mein Fehler?

  12. #12 Thilo
    21. März 2013

    @Made: alles richtig, nicht jede irrationale Zahl ist normal. Sonst wüßte man ja auch schon, dass Pi normal ist.

  13. #13 Made
    21. März 2013

    @Thilo:

    Und heißt das nicht, dass wir noch nicht wissen, ob in Pi wirklich jede Zahl enthalten ist? Oben klang es so als wäre das schon klar.

    Oder gibts da noch ein anderes Kriterium, das schwächer ist als “normal” aber stärker als “unendlich lang”?

  14. #14 Thilo
    21. März 2013

    Ob π normal ist, kann man bisher nicht bewiesen.
    Schon in den 80ern hatte Kanada die ersten10 Millionen Ziffern von π untersucht und festgestellt, daß die Häufigkeiten zwischen 999.333 (die 2) und 1001093 (die 5) variieren. Das entspricht der Varianz, die man bei Gleichverteilung erwarten würde: Zufallszahlen nähern sich mit Geschwindigkeit 1/Wurzel(n) der Gleichverteilung an.

    Bellard hat die Gleichverteilung vor einigen Jahren für die ersten 2,699,999,990,000 Stellen überprüft: die Häufigkeiten variieren dort zwischen 269999112082 (die 0) und 270001112056 (die 8).

    scienceblogs.de/mathlog/2010/03/14/pitag

    Ob Pi alle möglichen Zahlenfolgen enthält, ist ebenfalls nicht bewiesen. Das würde aber wohl folgen, wenn Pi normal ist. (was per Definition heißt, dass die Ziffern nicht nur zur Basis 10, sondern zu jeder Basis gleichverteilt sind)

    math.stackexchange.com/questions/216343/does-pi-contain-all-possible-number-combinations

  15. #15 Olaf aus HH
    Hamburg, D, Europa, Erde...
    21. März 2013

    Was immer Ihre Tochter sich jetzt denken mag – diese Geschichte ist einfach wunderbar.
    Eltern haben es nicht immer einfach – aber wenn es klappt, ist es ein Geschenk.
    Für alle.
    Danke für diese schöne Geschichte.

  16. #16 Manfred Kindler
    Werne
    30. März 2013

    @Olaf,
    sehr beruhigend, dass die kleine Geschichte auch mal aus anderen Augen gesehen wird. Ich habe das Problem der Normalität als Nicht-Mathematiker zwar einigermaßen verstanden, aber möchte doch ungern meiner nunmehr neunjährigen Tochter die Illusion einer Zauberzahl rauben. Zumal ich schon an einem Folgeartikel über die Eulersche Zahl sitze, deren Normalität ebenfalls noch unbewiesen ist.
    Danke jedenfalls für die angeregte Diskussion.