Oha! Wie konnte ich meine Leser (scheint in diesem Fall primär die Männer zu betreffen) nur so brüskieren und behaupten, dass es nicht an der Sexualbiologie liege, dass Frauen im Leistungssport anders abschneiden als Männer. Da muss ich doch meinen sonst von Testosteron gebadeten Verstand verloren haben (ein Kommentator empfahl mir als Therapie sogar eine Penektomie). Will ich diese Behauptung angesichts der Proteste wirklich aufrecht erhalten?
Ja. Und aus den folgenden Gründen:
Mit meinem Hinweis darauf, dass noch in den 60-er und 70-er Jahren die meisten männlichen Spitzen-Sprinter es schwer gehabt hätten, den heute noch geltenden 100-Meter-Weltrekord der Frauen zu schlagen, wollte ich eigentlich nur eines illustrieren: Dass es nicht allein an der sexuell definierten Biologie liegen kann. Denn die hat sich, soweit ich das nachvollziehen kann (oder hat sich unsere Evolution in jüngerer Zeit dramatisch beschleunigt?) in den vergangenen Jahrzehnten nicht verändert. Womit ich nicht sage, dass es nicht belegbar ist – und schon gar nicht behaupte, dass es nicht durch Körpereigenschaften erklärbar ist – dass Männer schneller rennen als Frauen. ich sage nur, dass sich die Geschwindigkeit einer Läuferin oder eines Läufers nicht allein (und vermutlich noch nicht einmal vorrangig) durch das Geschlecht vorhersagen lässt. Es ist doch naiv zu glauben, dass es im Spitzensport allein aufs Training ankommt, und wer sich die Dopingskandale anschaut (eine Runde Tour de France gefällig?), der wird erkennen, dass “Doping” immer nur das ist, was nachgewiesen werden kann.
Der Haken ist doch, dass die meisten Leistungssportarten so konzipiert sind, dass mehr Muskelmasse (das ist ein echter, allerdings “nur” statistischer Unterschied zwischen Männern und Frauen) generell von Vorteil ist. Und es ist eine Tatsache, dass Männer durch mehr Muskelmasse nur umso männlicher wirken (was niemanden misstrauisch macht), Frauen aber auch. Und das weckt zum einen sofort den Dopingverdacht, zum anderen bietet es garantiert eine höhere Hemmschwelle bei Frauen, solche Methoden anzuwenden. Also nochmal: So lange gedopt wird (und das scheint ja, allen Kontrollen zum Trotz, leider beinahe schon eine Regel denn eine Ausnahme zu sein), sind weder männliche noch weibliche Spitzenleistungen ein zuverlässiger Beleg dafür, was Männer oder Frauen von Natur aus erreichen könnten.
Aber es geht noch weiter: Spitzensport ist ein soziales Konstrukt. Und zwar eines, das einen ganz bestimmten männlichen Körpertypus bevorzugt. Ja, das wiederhole ich gerne: Leistungssport ist etwas, das ausschließlich gesellschaftlich genormt ist. Sicher, wir kennen die antiken Idealvorstellungen vom gesunden Geist im gesunden Körper, sprachen in bestimmten (dunklen) Zeiten unserer Geschichte auch gerne mal von “Körperertüchtigung” im Zusammenhang mit Sport und sehen den Leistungssport gerne als Vorbild für allgemeine Fitness. Der Haken ist nur, dass Leistungssport alles andere als physisch und psychisch gesund ist; Spitzensportler verschleißen ihre Körper in hohen Maßen und kämpfen zudem mit einer enormen mentalen Belastung. Keines von beiden hat auch nur annähernd etwas “Gesundes”. Aber zurück eingangs erwähnten männlichen Körpertypus: Viele athletische Wettkampfsportarten sind so zugeschnitten, dass mehr Muskelmasse generell einen Vorteil bringt. Und das schließt in der Tat nahezu alle Frauen aus – aber, was gerne vergessen wird, auch nahezu alle Männer. Sicher, Usain Bolt rennt schneller als jede Frau – aber eben auch schneller als jeder Mann. Und was sagt uns das dann? Genau nichts.
Es mag sein, dass sportliche Wettbewerbe aus dem “Nachspielen” realer Situationen, beispielsweise in der Jagd oder im Krieg, entstanden sind. Aber sie haben mit diesen Ausgangs-Tätigkeiten kaum noch etwas gemeinsam. Nehmen wir mal den Speerwurf: Da geht es nur darum, den Speer weiter zu werfen als andere. Aber sowohl in der Jagd als auch im Gefecht wäre Präzision des Zielens viel entscheidender als die pure Wurfdistanz für den erfolgreichen Einsatz dieses Geräts; Zielgenauigkeit ist aber nicht von vorneherein eine Funktion der Kraft. Oder nehmen wir das Sprinten: Sicher, wer schnell rennen kann, ist besser dran, wenn es darum geht, vor einem Gegner oder einem Raubtier wegzurennen. Aber wer zum Weglaufen eine schnurgerade, von allen Unebenheiten bereinigte Strecke bräuchte, würde in so einer Wildnis sicher nicht lange überleben. Schon gar nicht, wenn er erst noch auf einen Startschuss wartet. Einen Evolutionsvorteil hätten hier eher solche Läuferinnen und Läufer, die schneller solche Gefahrensituationen erkennen und dann auch schneller darauf reagieren – und die auch nicht einfach nur geradeaus drauf losrennen, sondern bliztschnell einen cleveren Fluchtpunkt ausfindig machen.
Also nochmal: Unsere Leichtahletik-Sportarten sind so definiert, wie sie sind, weil sie einen bestimmten Typus von Athleten fördern. Aber das ist, auch wenn’s schwerfällt zu glauben, keine biologische Notwendigkeit, sondern eine soziale Präferenz. Es wären genau so viele, wenn nicht noch unendlich viel mehr Sportarten denkbar, in denen sich zusätzliche Muskelmasse eher nachteilig als vorteilhaft erweisen würde.
Doch wir wählen eine Geschlechtertrennung selbst in solchen Sportarten, wo es nicht allein auf Muskeln ankommt: Im Eiskunstlauf, beispielsweise. Oder in den meisten Teamsportarten, wo zumindest einige Spielpositionen eher Geschicklichkeit und Wendigkeit erfordern. Und in denen Frauen es garantiert mit Männern aufnehmen würden. Aber es ist halt auch hier primär eine soziale Entscheidung: Wir sehen es offenbar nicht gerne, wenn Männer und Frauen in direkte sportliche Konkurrenz treten. Und wir sollten öfter mal darüber nachdenken, ob es hier nicht auch genauso oft darum geht, unsere männlichen Überlegenheitsgefühle bewahren zu können.
Also noch einmal als abschließendes Fazit: Dass Männer im Hochleistungssport bessere Resultate erzielen als Frauen, liegt vor allem daran, wie “Resultate” definiert sind. Und darüber, was Frauen oder Männer im realen Leben leisten können, sagen solche Hochleistungssport-Resultate exakt nichts aus. Wenn dies die Messlatte des (biologischen) Überlebenserfolgs wäre, hätten sowohl Frauen als auch Männer keine reale Chance.
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