Das ist nicht ganz unbedeutend, denn im Gegensatz zur Abstimmung, deren Wirksamkeit nur davon abhängt, dass eine Mehrheit dafür war, nicht aber, wie groß die Mehrheit war (sofern die formalen Vorschriften dafür, welche Mehrheit erforderlich ist – einfach, absolut, qualifiziert oder sogar einstimmig – eingehalten wurden), spielt es bei Wahlen hingegen schon eine Rolle, wie groß oder wie knapp die Siegerpartei gewählt wurde. So gesehen kann auch eine Stimme für eine unterlegene Partei das künftige Geschehen in der Politik mitgestalten, denn ohne Fraktionszwang sind Abstimmungen in den Parlamenten nicht durch die Wahlergebnisse determiniert, und der Eigennutz der Abgeordneten (sie wollen wieder gewählt werden) deckt sich nicht automatisch mit dem Willen der Partei.
Hinzu kommt, dass sich die Vorhersagekraft dieser (angeblich) erwarteten “Pivotalität” empirisch nicht bestätigen ließ: In ihrem Paper Beliefs and Voting Decisions: A Test of the Pivotal Voter Model, das im 2008 im American Journal of Political Science erschienen ist und für das sie diesen Effekt in einem kontrollierten Versuch getestet hatten, stellten John Duffy und Margit Tavits fest, dass
the fit between their beliefs about decisiveness and turnout was considerably worse than the theory predicted: many subjects whose perceived pivotality probability was higher than the cost of voting did not vote while many of those who stated a probability considerably lower than the cost of voting still decided to participate.
Mit anderen Worten: Es war zumindest unter den Bedingungen des Versuchs offenbar nicht die Erwartung, die entscheidende Stimme abgeben zu können, die WählerInnen an die Urnen trieb.
Und nur weil das Modell der rationalen Entscheidung das tatsächliche Wahlverhalten nicht erklären kann, heißt das noch lange nicht, dass Wählen gehen irrational ist – denn vielleicht sagt auch nur, dass das Modell nichts taugt.
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