Ich greife hier mal einen Gastkommentar auf, den der Kommunikationschef der VolkswagenStiftung, Jens Rehländer, in Focus Online veröffentlicht hat: “Not amused” – Wider den Englisch-Wahn an Universitäten.
So ganz grundsätzlich würde ich Rehländer dabei gar nicht widersprechen wollen, denn es ist zum Beispiel eine Tatsache, dass Englisch die primäre Sprache des Wissenschaftsbetriebs geworden ist. Und es ist eine Tatsache, dass es einem aus dem Ausland kommenden Studenten grotesk erscheinen muss, wenn er erst eine schwierige (?) deutsche Sprachprüfung ablegen muss, um in Deutschland studieren zu dürfen – um dann sein Studium selbst nur noch in Englisch absolvieren zu müssen. Hier gestehe ich, dass ich dies nur vom Hörensagen kenne.
Da ich erstens selbst meinen lehrenden Alltag in einer Zweitsprache absolvieren muss, und zweitens ein nicht unerheblicher Teil meiner Studentinnen und Studenten nicht mit Englisch als erster Sprache aufgewachsen sind, bin ich zu diesem Thema natürlich parteiisch. Zudem sehe ich eine gewisse Parallele in der Notwendigkeit des Englischen als gemeinsame Wissenschaftssprache zu dem Problem der Reproduzierbarkeit wissenschaftlicher Resultate. In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob wissenschaftliche Ergebnisse auch dann noch Ergebnisse (und wissenschaftlich) wären, wenn sie für das Publikum nicht nachvollziehbar werden – und da ist es nur ein gradueller Unterschied, ob es der Zielgruppe dabei am Sprach- oder (in höchster Spezialisierung erforderlichen) Sachverständnis fehlt. Wenn ich eine Lösung für alle Probleme der Welt gefunden habe, sie aber in keiner relevanten Form mitteilen kann (ich übertreibe mal, wie man hoffentlich merkt) – ist es dann eine “Lösung”, oder wäre es für den Rest der Menschheit (und der Wissenschaft) ohne jede Relevanz? Das mag übertrieben klingen, denn selbstverständlich sind die “großen” Sprachen (naja, Englisch, Französisch, Portugiesisch, Italienisch, Hindi, Mandarin etc. halt) alles andere als obskur, aber andererseits findet die Peer-Review und die Publikation – und die ist nun mal der Maßstab der Wissenschaftlichkeit – zunehmend, in den meisten Fachgebieten sogar exklusiv, in englischer Sprache statt. Sich in der Sprache ausdrücken zu können, in der die Arbeit auch wahrgenommen wird, ist definitiv ein Vorteil.
Ich wurde zum Beispiel vor einigen Wochen von einer MIT-Bibliothekarin gefragt, ob ich für eine Doktorandin zwei deutsche Arbeiten über Strömungsforschung aus dem Deutschen ins Englische übersetzen könnte*, da diese Paper für die Arbeit der Studentin zwar wichtig, aber ob ihres Erscheinungstermins (um 1910 herum, wenn ich mich richtig erinnere) eben nicht in Englisch verfügbar sind. Was immer in diesen Arbeiten stand (Google Translate half ihr, sie zu finden, aber nicht sie zu lesen), war für sie erst einmal absolut unzugänglich.
Aber was ist mit Rehländers Argument, dass Wissenschaftlern durch den Zwang, sich in einer Sprache auszudrücken, die nicht die Sprache ist, in der sie aufgewachsen sind, die “Fachdiskussion verflacht”, weil Fremdsprachler ihren “Forschungsgegenstand niemals so differenziert und nuanciert beschreiben können wie in der Geburtssprache”. Das klingt auf Anhieb fast schon plausibel, und Rehländer zitiert sogar den Politikwissenschaftler Claus Leggewie, zu dessen akademischen Stationen auch Stopps an der New York University und der Université Paris-Nanterre zählen.
Aber stimmt das? Da halte ich gleich mit mehreren Argumenten dagegen:
1. Die wissenschaftliche Terminologie ist oft sehr spezialisiert, von einem eigenen Vokabular bis hin zur eigenwilligen Verwendung ansonsten gängiger Vokabeln (“Aneignung” heißt bei Geistes- und Gesellschaftswissenschaftlern beispielsweise etwas ganz anderes als für Juristen oder in unserem Alltags-Sprachgebrauch). Wissenschaftliche Ausdrucksweise zu lernen ist, im Prinzip, wie das Erlernen einer Fremdsprache; nennenswerte “Heimvorteile” durch die Sprache, in der man aufgewachsen ist, sind da – nach meiner Beobachtung in vier Semestern am MIT – nicht zu erwarten. Ich habe ebenso viele Studentinnen und Studenten, die trotz Englisch als erster Sprache nicht in der Lage sind, ein Konzept klar auszudrücken, wie Stundentinnen und Studenten aus asiatischen, afrikanischen oder lateinamerikanischen Heimatländern. Und das ist mehr als anekdotisch; immerhin habe ich pro Semester etwa 150 bis 200 Arbeiten zu begutachten, und rund zehn Prozent aller Undergraduate-StudentInnen kommen aus den Ausland. Und da sind die Studierenden der “Generation 1.5” (die mit ihren Eltern als kleine Kinder eingewandert sind und in US-Haushalten aufwachsen, wo Englisch nicht als erste SPrache gesprochen wird) noch nicht mal mit eingerechnet.
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