In seinem Blog Astrodicticum simplex hat Florian Freistetter gerade ein Thema aufgegriffen, das Karsten Lohmeyer in Lousy Pennies angestoßen hat: Der Dschungelcamp-Effekt. Oder warum Journalisten Angst vorm Bloggen haben. Als bloggender Journalist fällt mir dazu natürlich viel ein – und es ist nicht unbedingt deckungsgleich mit Lohmeyers Erfahrung (was nicht als Kritik, sondern als Ergänzung, als parallele Betrachtung gemeint ist).
Das geht schon damit los, dass ich den “Dschungelcamp-Effekt” nicht ganz verstehen kann: Es mag zwar so aussehen, als ob diese “Reality”-Show eine ungeschminkte Wahrheit zeigt, in der jede(r) mehr oder weniger auf sich alleine gestellt ist. Doch diese Shows sind ebenso wenig “Reality” wie jede andere Form der Fernsehunterhaltung – da wird vermutlich noch mehr redigiert und “erzählerisch” bearbeitet als beim Tatort. Und im Gegensatz zu BloggerInnen werden die im Dschungel campenden Selbstdarsteller wenn schon nicht fürstlich, dann aber doch substantiell bezahlt.
Aber wenn man diesen wohl eher aus aktuellem Anlass gewählte Dschungelcamp-Parabel mal “außen vor” lässt, bleibt tatsächlich die Frage, ob und wie gut Journalisten vor der ungefilterten Öffentlichkeit eines Blogs umgehen können. Denn so paradox es klingt – ich vermute mal, dass die wenigsten Journalisten, denen ich im Laufe beiner drei Berufsjahrzehnte begegnet bin, für “die Öffentlichkeit” schreiben. Denn ehe sie diese Öffentlichkeit übrehaupt erreichen können, müssen sie ein ganz anderes, viel spezifischeres Publikum überzeugen: ihre KollegInnen und die Chefredaktion. Themen werden in Konferenzen vorgeschlagen und diskutiert – dies ist schon mal die erste Hürde. Ein Thema, das in der Konferenz nicht auf Begeisterung stößt, wird sich beim Gerangel um den immer zu knappen Platz kaum durchsetzen können. Aber selbst wenn das Thema an sich für gut befunden wird, muss der Text, wenn er dann vorliegt, noch die kritischen Meinungen von RessortleiterInnen, Chefs vom Dienst und Chefredakteuren/Chefredakteurinnen passieren, ehe sich die (in vielen Verlagen schon abgeschaffte) Text-/Korrekturredaktion und/oder die Fakten überprüfende Dokumentationsredaktion noch einmal darüber hermachen darf. Erst wenn all diese internen Leserinnen und Leser überzeugt sind, hat das Stück überhaupt eine Chance, die Öffentlichkeit zu erreichen.
Aber das heißt eben nicht, dass der Text dadurch unbedingt besser geworden ist, oder dass der Journalist/die Journalistin all den Input der Redaktion als angenehm und hilfreich empfindet. Manchen meiner Kolleginnen und Kollegen – und Karsten Lohmeyer zählt sich offenbar dazu – mag es eine Erleichterung sein, wenn andere an dem Produkt der eigenen Arbeit herumgefeilt haben. Aber ich würde aus meiner eigenen Erfahrung, als Reporter ebenso wie als blattmachender “Tischredakteur”, dagegen halten, dass mindestens ebenso häufig, wenn nicht noch viel häufiger, dieses Herumrühren zahlreicher Köchinnen und Köche, jede(r) mit eigenem Geschmack und Vorlieben, einen journalistischen Brei produzieren, auf den die Autorin/der Autor dann alles andere als Stolz sein kann. Ich erinnere mich an das Feedback, das mir der Chefredakteur einer sehr großen deutschen Tageszeitung zu einem meiner Artikel gab: “Erstklassige Schreibe von Ihnen, mein Lieber. Wir haben es dann auch ganz toll umgeschrieben.”
Ich glaube nicht, dass es die Angst vor der Blamage ist, die JournalistInnen davon abhält, zu bloggen. Die wenigsten Menschen, die ich in diesem Beruf getroffen habe, neigen zu solchen latenten Selbstzweifeln – ein stark entwickeltes Ego ist eines der typischsten Charaktermerkmale, das ich in meinem Berufszweig beobachten konnte. Mangelnde Rechtschreibfähigkeiten sind eher ein Zeichen dieser Selbstgewissheit: Was soll’s, um solche banalen Kleinigkeiten wie Interpunktion und Ortografie (sic!) muss ich mich gar nicht kümmern. Und redigiert zu werden, ist ihnen eher eine Ärgernis. Es ist sicher kein Zufall, dass wir bei JournalistInnen bei den ScienceBlogs mit dem Köder gelockt werden, hier unredigiert schreiben zu dürfen.
Das Problem ist tatsächlich das, was man “Öffentlichkeit” nennt. Print-JournalistInnen erhalten vielleicht einen oder zwei Leserzuschriften pro Woche (manchmal aber auch jahrelang nicht eine einzige); in großen Verlagen werden diese zudem oft von eignenen Leserbrief-Redaktionen beantwortet. Und was immer an Kritik oder Lob darin enthalten ist, bleibt nahezu vertraulich, zwischen Leserbrief-Schreiberinnen und -Schreibern einerseits und der Redaktion andererseits. Doch schon bei Texten in Online-Ausgaben können Dutzende, manchmal Hunderte von Kommentaren zu einem einzigen Beitrag eingehen; darin geäußerte Kritik wird dann für alle sichtbar gemacht. Damit umzugehen, muss man als PrintjournalistIn erst mal lernen – und das ist ein schmerzhafter Lernprozess. Aber es ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, auch eine lohnenswerte Erfahrung: denn wenn es Lob gibt, dann muss man das auch mit niemandem teilen. Was immer in meinem Blogbeiträgen steht, ob gut oder schlecht, ist allein meinem Tun zuzuschreiben.
Aber es gibt tatsächlich einen Aspekt, an dem ich bis heute zu knabbern habe. Und obwohl es fast peinlich ist es zuzugeben, wäre es feige, wenn ich mich nicht dazu bekennen würde: Als Korrespondent für große Zeitungen und Magazine konnte ich immer damit angeben, wie groß meine Leserschaft ist; in meiner Zeit als New-York-Korrespondent für den Axel-Springer-Verlag hatte ich täglich eine potenzielle Reichweite von mehr als zehn Millionen, und FOCUS pflegte seine Leserreichweite (die nicht das gleiche ist wie die Auflage) zu meiner Zeit mit mehr als sechs Millionen pro Ausgabe zu beziffern. Als ich mit dem Bloggen anfing, erwiesen sich tausend Besucher im Monat schon als ein unerwartet hohes Reichweitenziel. Meine Angst als Journalist ist nicht, mich vor der großen Öffentlichkeit mit meinen Gedanken und meinem Schreibstil zu blamieren – was mich besorgt ist, dass diese Öffentlichkeit vielleicht gar nicht hinschaut.
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