Das Problem mit Solarenergie ist, dass nachts die Sonne nicht scheint. Klingt trivial, ist es aber nicht, denn Strom muss immer dann „produziert“ werden, wenn er gebraucht wird. Eine Lösung wären natürlich hochleistungsfähige Akkumulatoren, aber das treibt die Kosten für Solarstrom nur noch weiter in die Höhe – und die liegen derzeit sowieso noch weit über dem Niveau der fossilen Brennstoffe (144.30 Dollar pro Megawattstunde für Solarstrom in den USA, gegenüber 65.60 Dollar pro MWh für konventionell erzeugten Strom). Und nachts gibt’s halt keinen Strom aus Sonnenenergie – oder doch?
Im Prinzip wäre das wohl möglich, behaupten Ari U. Joaqin und Gitta B. Kiddin vom Advanced Photovoltaics Research Institute and Lab, einer interinstitutitonellen Forschungsinitiative, an der 14 US-Universitäten beteiligt sind und die vom US-Energieministerium finanziell gefördert wird. Sie arbeiten tatsächlich an einer Solarzelle, die auch nachts noch Strom abgeben kann. Möglich würde dies durch eine Schicht von Graphen – eine nur ein Atom dünne Schicht von Kohlenstoffatomen, für deren Entdeckung es 2010 den Physik-Nobelpreis gab.
Am besten ginge dies mit so genannten organische Dünnschicht-Fotozellen, die zwar im Vergleich zu den auf Silizium basierenden Zellen einen deutlich geringeren Wirkungsgrad haben: Ihr derzeitiger Wirkungsgrad liegt etwa zwei Prozent. Aber dafür sind sie andererseits auch so billig herzustellen und gleichzeitig leicht, dass es sich lohnen könnte, ganze Hochhausfassaden damit zu verkleiden (dazu gleich noch ein bisschen mehr).
Im Prinzip funktionieren alle Solarzellen so, dass durch das einfallende Sonnenlicht Ladungs-“Löcher” in die aktive Schicht der Zellen geschlagen, so genannte Exzitone, die dann für den Ladungstransport (um es ganz simpel – zu simpel – auszudrücken) zuständig sind. Die Graphen-Schicht, die durch den Quanten-Hall-Effekt besondere elektrische Eigenschaften besitzt, ist hingegen quasi von Natur aus voll solcher elektrischer “Löcher”, die wie ein Netz die ladungsrelevanten Photonen aus dem normalen Sonnenlicht einfangen. Aber wenn dieser “Lichtdruck” nachlässt, dann werden diese Graphen-Exzitonen wieder abgegeben und in der Valenzschicht der Solarzellen wie gewöhnliche Exzitonen eingefangen.
Erste Versuche bestätigen, laut Joaquin, zwar das Prinzip, doch das Problem sei, die Abgabe über einen längeren Zeitrum hinzudehnen – bisher werden alle “Nacht-Exzitone” spätestens bei Verschwinden des Sonnenlichts auf einen Schlag abgebaut. Das Forscherteam hofft, dies entweder durch den Temperaturgradienten (= die allmähliche nächtliche Abkühlung) auszugleichen; eine Alternative wäre, mehrere Graphenschichten zu kombinieren, die dank spezifischer Dotierungen unterschiedliche Rückhalteraten für Exzitone besitzen.
Der Reiz der organischen Dünnschicht-Solarzellen liegt nicht nur darin, dass sie durch einfache Beschichtungsmethoden (also nicht in den hochreinen Bedingungen, unter denen Siliziumzellen gefertigt werden) wie Sprüh- oder Druckverfahren hergestellt werden. Zwischen zwei Kathodenschichten Elektrodenschichten – für gewöhnlich Indiumzinnoxid für die Anode und Silber für die Anode Kathode – werden Halbleiterschichten eingebettet, die aus leicht erfügbaren organischen (kohlenstoffhaltigen) Materialien bestehen: in ersten Linie interessant sind hier Phthalocyanine, die bereits als industrielle Farbstoffe (unter anderem für Bluejeans) im Einsatz sind, und Fullerene, das sind kugelförmige Kohlenstoffmoleküle, deren Aufbau an einen Fußball erinnert.
Die Bundesregierung fördert die Forschung mit organischen Dünnschicht-Solarzellen, vor allem am Institut für angewandte Photophysik der Technischen Universität Dresden. In den USA befassen sich vor allem Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der University of Michigan mit dieser Technologie, die allerdings noch im Laborstadium steckt: Beim derzeitigen Wirkungsgrad von etwa zwei Prozent können sie aus jedem Kilowatt, das auf sie scheint, höchstens 20 Watt in elektrischen Strom umwandeln.
Aber Richard Lunt, dessen Labor am MIT unter anderem vom US-Energieministerium finanziert wird, sieht bereits kurzfristig ein Verbesserungspotenzial um das Zwei- bis Dreifache, und zumindest theoretisch, so erklärte er mir, sei für organische Photozellen ein Wirkungsgrad von acht bis zwölf Prozent denkbar. Das liegt zwar immer noch deutlich unter dem, was herkömmliche Solarzellen leisten können (deren Wirkungsgrad liegt in der Größenordnung von 18 Prozent), aber dafür bieten die organischen Zellen gleich ein ganzes Bündel von Vorteilen:
– Sie sind transparent und können daher anstelle von gewöhnlichem Fensterglas eingesetzt werden, womit allein schon die Klagen über die „Verschandelung“ durch Solaranlagen verstummen dürften; die Verwendung als Fenster- und Fassadenmaterial bietet zudem den Vorteil, dass vor allem bei niedrig stehender Sonne (die in Mitteleuropa nun mal eher der Normalfall ist) das einfallende Sonnenlicht besser, weil auf größerer Fläche, genutzt werden kann. Um mal das Hochhaus des Süddeutschen Verlags in München als Vergleichsmaßstab zu verwenden: In die Ebene verlegt, entspräche allein schon seine Südfassade knapp der Fläche eines Fußballfeldes.
– Da sie ohne baulichen Mehraufwand anstelle herkömmlicher Glasscheiben eingesetzt werden können, rechnet Lunt auch mit vergleichsweise geringen Anschaffungskosten. Allein der Einbau herkömmlicher Solarzellen macht etwa die Hälfte ihrer Investitionskosten aus; Glasscheiben mit organischer Solarbeschichtung hingegen sind im Einbau nicht teurer als gewöhnliche Fenster.
– Dünnschicht-Solarzellen erfordern keine besonderen Herstellungsbedingungen; sie könnten im Prinzip in einem ganz normalen Druckverfahren hergestellt werden – während herkömmliche Silizumzellen unter hochreinen Bedingungen gefertigt werden müssen und daher mit einer hohen „Energieschuld“ auf den Markt kommen, die frühestens nach fünf Betriebsjahren ausgeglichen ist.
Lunt und seine Kollegen am MIT konzentrieren ihre Forschung zudem auf organische Halbleiter, die speziell nur auf Licht im Infrarotspektrum reagieren; ein aufgedampfter, nanometerdünner Infrarotspiegel erhöht die Energieausbeute der Halbleiter, ohne das dabei nennenswerte Verluste im sichtbaren Lichtspektrum – im Gegensatz zu bisherigen Dünnschicht-Photozellen sind die MIT-Solarzellen fast so klar wie gewöhnliches Fensterglas. Selbst durch eine zusätzliche Graphen-Schicht würde sich die Transparenz nur unwesentlich verringern.
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