Gelesen habe ich den Leitartikel Only Minorities Need Apply, der in der heutigen Ausgabe der New York Times erschien, schon heute morgen – aber auch nach studenlangem Nachdenken bin ich mir nicht sicher, ob ich ihn verstanden habe oder ob hier ein subtiler Fall von Poe’s Law vorliegt. Der Soziologieprofessor John D. Skrentny vertritt (?) darin die folgende These: Wenn Firmen Minderheiten einstellen, weil Minderheiten zu ihren Kunden gehören, oder wenn sich bei der Personalauswahl eines Krankenhauses darauf geachtet wird, dass auch die ethnischen (?) Gruppen, aus denen sich die Klinik-Kundschaft zusammensetzt, auch im Pflegepersonal widerspiegelt, dann ist das ungesetzlich. Weil – und das haben hohe US-Gerichte offenbar auch mehrfach bestätigt – jegliche ethnisch (in den USA ist der Begriff “rassisch” leider unverändert gebräuchlich, aber für eine Verwendung im Deutschen ist er mir zu belastet – obwohl…) motivierte Geschäftsentscheidung ungesetzlich. Skrentny verwendet dafür den Begriff des “racial realism” – womit er meint, dass die Belegschaft eines Unternehmens die gleiche Minderheiten-Zusammensetzung hat wie ihre Kundschaft. Das sei, so schreibt er, diskriminierend.
Eine interessante Überlegung, und sicher, wenn ein xbeliebiges Frauencafé (ich nehm’ das jetzt einfach mal willkürlich als Beispiel) Männer als Bedienung nur deswegen ablehnen würde, weil die Besitzerin Männer nicht mag, dann hätte das den Hautgoût der Diskriminierung. Aber was ist, wenn die Kundschaft Männer nicht im Café sehen mag? Da wird’s schon schwieriger. Und was ist, wenn Männer gar nicht auf die Idee kämen, sich bei diesem Frauencafé um einen Job zu bewerben – muss der Laden dann schließen? Letztlich müsste jede Einstellungspraxis, die Minderheiten nicht unterrepräsentiert, nach dieser Logik verboten werden.
Es ist natürlich etwas subtiler – muss es ja sein, denn mit so platten Ideen würde niemand auf die Meinungsseite der New York Times kommen. In der Tat kann die Einstellung von “Minderheiten” – wie immer man die definiert – unappetitliche Motive haben: wenn ein Unternehmen beispielsweise nur Minderheiten beschäftigt, um ihnen geringere Löhne und Gehälter zu zahlen, oder um ihnen keine Aufstiegschancen bieten zu müssen (dies sind Beispiele, auf die Skrentny abstellt), dann ist das diskriminierend. Aber nach Skrentnys Argumentation wäre “racial realism” auch dann illegal, wenn sowohl die Unternehmen
Ich vermute mal, auch wenn es nirgendwo in dem Artikel steht, dass er letztlich eine geschickt verklausulierte Forderung nach der Abschaffung von “Affirmative Action” ist – im Deutschen würden wir diese Gleichstellungspolitik wohl als “Quotenregelung” bezeichnen. Wenn diese Quote stimmt, so könnte man mit Skrentny argumentieren, dann ist das gleichbedeutend mit “racial realism” und damit schon von vorneherein suspekt. Und im Prinzip sind solche Quotenregelungen ja auchzwangsläufig rassistisch oder sexistisch: Sie manifestieren ethnische Zugehörigkeit oder Geschlecht als Beschäftigungskriterium. Wenn Frauen eingestellt werden, weil der Betrieb eine Frauenquote erreichen muss, dann ist das sexistisch, und wenn AfroamerikanerInnen eingestellt werden, weil die Firma ihre Affirmative-Action-Quote erfüllen muss, dann ist das rassistisch. Genauso, wie es “sexistisch” ist, wenn ein Mann sich in eine Frau verliebt oder es “rassistisch” war, als Barack um Michelles Hand anhielt …
Natürlich wäre es, wie Skrentny schreibt, eine bessere Welt, wenn Rasse (oder Geschlecht, darauf geht er nicht explizit ein) keine Rolle mehr spielen würden. Aber es ist naiv zu glauben, dass sich dieser Wunsch ganz von alleine erfüllen wird – dafür sind die Folgen der Benachteiligung, die sich in Jahrzehnten oder eher noch Jahrhunderten aufgebaut haben, noch zu gravierend. Gewiss, die Emanzipation der schwarzen Sklaven hatte ihnen die Freiheit gegeben – aber welche Freiheit ist es, jemanden ohne Bildung und ohne Besitz in eine System zu entlassen, in dem Bildung und Besitz die essentiellen Sozialmerkmale sind? Welchen Zweck hat es, Frauen im Gesetz als “nicht benachteiligt” zu definieren, aber zu ignorieren, dass Arbeitszeitregelungen und manchmal schlichtweg die physischen Struktur des Arbeitsplatzes (nur ein Stichwort: Stillräume) die Nachteile noch lange fortschreiben werden, von den vermauerten Denkstrukturen mal ganz abgesehen? Chancengleichheit heißt eben nicht, dass alle den gleichen Startschuss hören und die gleiche Strecke rennen müssen, sondern dass alle die gleiche Chance haben, am Ziel anzukommen.
(Dieser Beitrag erschien am Mittwoch, dem 7.5., versehentlich zuerst hier im falschen Blog-Bereich.)
Letzte Kommentare