Florian Freistetter stellt in einer kleinen Serie seines Blogs Astrodicticum simplex einige besonders schlechte Beispiele für “wissenschaftliche” Medien-Schlagzeilen vor. Als hauptberuflicher Journalist fühle ich mich da natürlich angesprochen, denn leider hat so mancher Artikel, den ich in meinen fast 30 Berufsjahren verfasst hatte, auch schon unter einer verzerrenden Schlagzeile gelitten. Aber ich will hier auch mal ein bisschen parallel zu Florians Artikeln – in denen es vor allem um journalistische Fehlleistungen geht – ein Licht darauf werfen, dass auch WissenschaftlerInnen selbst manchmal durchaus gezielt dazu beitragen, solche Schlagzeilen zu generieren; der Begriff “Gottesteilchen”, beispielsweise, ist keine Erfindung eines BILD-Redakteurs (auch wenn man es dort sicher gerne benutzt hat), sondern wurde von dem Nobelpreis-gekrönten Physiker Leon Ledermann 1993 im Titel seines Buches The God Particle populär gemacht. Ich hatte zu der Neigung einiger ForscherInnen, publikumsträchtige Reizwörter zu verwenden, schon vor Jahren an dieser Stelle mal Dampf abgelassen, doch das Thema ist eigentlich immer aktuell.
Nehmen wir doch mal diesen Artikel, der im Juni 2014 in nature communications erschien: Experimental simulation of closed timelike curves – eine Überschrift, die selbst durchaus sachlich und unaufgeregt ist. Aber schon im zweiten Satz des Abstracts taucht das reizvolle Schlüsselwort (naja, im Englischen sind es zwei Worte) “time travel”, also Zeitreise auf. Fachleute werden zwar sagen, dass doch jede(r) halbwegs informierte LeserIn erkennen müsste, dass es hier ausschließlich um Quantenphänomene geht, also nicht wirklich die Möglichkeit der Zeitreise – und mehr noch, die Möglichkeit, das Großvaterparadoxon zu umgehen – postuliert wird. Doch eine Reise ist nun mal eine Metapher für eine sehr menschliche Aktivität; und selbst Scientific American konnte dann nicht widerstehen, dieses Quantenphänomen auf menschliche Zeitreisen zu projizieren: Time Travel Simulation Resolves “Grandfather Paradox”. Und schreibt ganz unironisch (?), dass ein Partikel der Quantenwelt einem Menschen gleichzusetzen sei: “So instead of sending a person through a time loop, they created a stunt double of the person and ran him through a time-loop simulator to see if the doppelganger emerging from a CTC exactly resembled the original person as he was in that moment in the past.”
Ein anderes Beispiel erschien vor einigen Tagen in PLoS One: Von Conscious Brain-to-Brain Communication in Humans Using Technologies ist da zu lesen, und obwohl das Wort “Telepathie” erfolgreich im Paper selbst vermieden wird, wird doch in der “Hirn-zu-Hirn”-Formulierung die Analogie zum Gedankenaustausch geweckt (und entsprechend medial ausgeschlachtet). Der Haken ist nur, dass dabei eben keine Gedanken ausgetauscht wurden, sondern sehr simple Signale – eine Art Morsecode. Wenn ich den Versuchsaufbau richtig verstanden habe, dann wurden einer Versuchsperson in Thiruvananthapuram (Indien) eine codierte Folge von Nullen und Einsen an einem Bildschirm gezeigt, die übersetzt die Worte “hola” und “ciao” (das Experiment wurde unter der Leitung von Giulio Ruffini am Starlab in Barcelona durchgeführt) ergaben. Daraus ergaben sich charakteristische EEG-Muster, die dann per Email nach Straßburg geschickt wurden, wo sie von Experten ausgelesen und in einen transkraniellen Magnetstimulator eingefüttert wurden, der dann durch “drahtlose” Stimulierung der Empfängerhirne jene leuchtenden Lichtpunkte vor die geschlossenen Augen projizierte, die wissenschaftlich Phosphene genannt werden. Und anhand dieser “blinkenden” Phosphene ließ sich dann in Straßburg der Code und damit die Grußbotschaft rekonstruieren.
Das mag, rein technisch gesehen, in der Tat eine Kommunikation von Hirn zu Hirn und ohne physischen Kontakt mit diesem Denkpudding sein. Aber “Kommunikation” ist hier schon sehr weit gefasst, und die Umständlichkeit der Verschlüsselung, sowie die Notwendigkeit eines Codes macht diese Leistung weniger eindrucksvoll als das, was mit so genannten Brainwave-Controllern schon längst demonstriert wurde.
Dies ist also mein Aufruf an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der Versuchung zu widerstehen, ihre Arbeit durch irreführende (ob nun vorsätzlich oder eher unbedarft, spielt dabei keine Rolle) SciFi- und Mystery-Metaphern populärer zu machen – am Ende richtet das mehr Schaden als Nutzen an.
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