Ich will hier nicht auf die Enthauptungsvideos verlinken, die nun leider unausweichlich durch unsere Nachrichtenwelten spuken, und ich bitte meine Leserinnen und Leser schon jetzt, in eventuellen Kommentaren keine zu verlinken. Ich denke, jede(r) weiß auch so, worum es hier geht, und ich selbst beispielsweise habe es bisher konsequent vermieden, mir solche Videos anzusehen. Nicht nur, weil genau dies ja der Intention der Mörder (und da lasse ich jetzt mal keinen Raum für Interpretationen: einen wehrlosen Menschen vorsätzlich zu töten ist immer Mord) entgegen kommt, und auch nicht einfach nur, weil ich solche Bilder nicht im Kopf haben will – sondern vor allem, weil ich fürchte, dass wir, individuell und kollektiv, eher dazu neigen werden, abzustumpfen. Dass wir also aufhören, uns diese eigentlich unvorstellbare Grausamkeit bewusst machen zu wollen und statt dessen Bilder nur noch archivieren – “noch eins, und noch eins, und noch eins”…
Aber hier geht will ich mal ein paar Nebengedanken teilen, in denen es speziell um das Thema “Lösegeld – zahlen oder nicht zahlen” geht. Denn offenbar wurden, wie ich diesem Artikel in der New York Times entnehme, bereits 15 europäische Geiseln, die im gleichen Gefängnis gehalten wurden wie die ermordeten Amerikaner James Foley und Steven Sotloff sowie der ebenfalls enthauptete Brite David Haines, gegen Zahlung von Lösegeldern freigelassen. Doch die USA und Großbritannien (naja, vielleicht bald nicht mehr ganz so groß …) vertreten eine sehr strikte Nichtzahlungspolitik, die sich auch mit den Prinzipien des so genannten Algiers-Memorandums des Global Counterterrorism Forum, dem auch Deutschland als Gründungsmitglied angehört und das sich explizit mit dieser vergleichsweise neuen Finanzierungsmethode von Terrororganisationen durch Entführungen gegen Lösegeld befasst.
Im Prinzip ist diese Strategie, keine Lösegelder zu zahlen, durchaus schlüssig – so lange Entführungen nur dazu dienen, Geld zu erpressen. Wenn der zu erwartende Nutzen Null, das Risiko eines Sonderkommando-Einsatzes aber groß ist, lohnen sich Entführungen nicht. Wenn dagegen gezahlt wird, dann trägt das nicht nur substanziell zu den “Haushalten” dieser Terrororganisationen bei, sondern motiviert auch andere Gruppierungen, diese Taktik zu nutzen. Aber gezahlt wird offenbar trotzdem, und sogar eine ganze Menge: Laut diesem Bericht der Financial Action Task Force (ebenfalls eine multistaatliche Organisation) wurden in Einzelfällen bis zu 1,5 Millionen Euro an Lösegeldern an Terrororganisationen gezahlt; laut diesem Bericht der privaten Sicherheitsberatungsfirma Stratfor wurden vier französische Journalisten, die im Juni 2013 von ISIS in Syrien gekidnappt worden waren, gegen ein Lösegeld von geschätzten 14 Millionen Euro freigelassen. Und dieses Paper über Kidnapping for Ransom (KFR, wie es üblicher Weise abgekürzt wird), das an Center for Security Studies der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich erarbeitet und im vergangenen Oktober veröffentlicht wurde, beziffert die durchschnittlichen Lösegeldsummen, die Al-Qaida 2011 erpressen konnte, auf 5,4 Millionen Dollar pro Geisel.
Doch wie gesagt, die USA und Großbritannien verfolgen hier eine sehr harte Linie – so hart, dass sie auch verhindern wollen, dass die Familien der Geiseln oder deren Arbeitgeber (es gibt inzwischen Versicherungen gegen KFR und private Berater, die sich auf Verhandlungen mit solchen Geiselnehmern spezialisiert haben) private Lösegeld-Absprachen mit den Entführern treffen, und so hart, dass die US-Regierung entsprechenden Druck auf die Familien von James Foley und Steven Sotloff ausgeübt hat. (Die US-Regierung dementiert zwar und erklärt durch die Sprecherin des Außenministeriums, Marie Harf, “It’s part of our job to help families in these horrible situations understand America’s laws about paying ransom to terrorists, of course” – aber wer schon mal “Erklärungen” einer Behörde, des Finanzamts beispielsweise, erhalten hat, wird verstehen, warum dies wie Druck gewirkt haben dürfte).
Und hier wird’s halt ein bisschen kompliziert: Aus der Sicht des Kollektivs ist es immer die bessere Strategie, nicht zu zahlen – doch aus der Sicht des Individuums wiegt die Chance, ein Leben zu retten, schwerer als Geld. Es erscheint uns unmenschlich, wenn eine Staatsgewalt sich das Recht nimmt, ein ziviles Menschenleben (die Sache sieht anders aus, wenn es um Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleute und andere Berufe geht, in denen das Risiko des Todesfalls generell eingeschlossen und von den Betroffenen auch erkannt und akzeptiert wird) diesem übergeordneten Interesse zu opfern.
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