Das Thema sexuelle Gewalt an Colleges und Universitäten stand ja in den vergangenen Tagen hier schon gleich zweimal zur Debatte. Aber es wird mich – und vermutlich auch meine LeserInnen – noch eine Zeitlang beschäftigen; nicht so sehr, weil es ein neuer Trend ist (ganz im Gegenteil), sondern eher weil sich langsam überhaupt erst mal das Bewusstsein entwickelt, dass es tatsächlich ein Problem ist, das nicht mehr ignoriert werden kann. Im Zusammenhang mit diesem Problem habe ich auch den Begriff “Rape Culture” – Vergewaltigungskultur – ins Gespräch gebracht und bin damit natürlich prompt angeeckt: das sei ein feministischer Kampfbegriff, wurde mir entgegengehalten. Übersetzung: Wenn FeministInnen den Begriff verwenden, dann muss er ja für eine sachliche Diskussion untauglich sein. Und darum will ich hier mal ein paar Gedanken zum Thema “Vergewaltigungskultur” ausbreiten.
Und gleich vorweg: Jawohl, das ist, wenn man so will, ein Kampfbegriff – etwa so, wie “Freiheit” oder “Diktatur” Kampfbegriffe waren und sind. Sie drücken etwas aus, für oder gegen das man kämpft – nicht mehr und nicht weniger. Aber gibt es denn überhaupt diese Vergewaltigungskultur, oder ist das nur ein polemischer Begriff, der dazu dienen soll, Männer generell zu diskreditieren?
Wenn eine Dame “nein” sagt, meint sie “vielleicht”. Wenn eine Dame “vielleicht” sagt, dann meint sie “ja”. Und wenn sie “ja” sagt, dann ist sie keine Dame.
Diesen Spruch, mal als Aphorismus verkauft, mal als Witz konfiguriert, kann man in rund 770.000 Variationen bei einer simplen Google-Suche finden. Und vermutlich hat jede(r) meiner LeserInnen ihn schon mehr als einmal gehört oder gelesen. Während wir noch darüber nachdenken, warum er wohl hier steht, nehmen wir uns mal die Zeit, noch ein bisschen weiter dem Begriff der Vergewaltigung nachzugehen.
Wie würde man Vergewaltigung wohl am zutreffendsten definieren? Schauen wir doch mal ins deutsche Strafgesetzbuch, in dem der Paragraph 177 folgendes feststellt:
1) Wer eine andere Person
1. mit Gewalt,
2. durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder
3. unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist,
nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
Einfacher ausgedrückt, wenn eine Person sexuelle Handlungen über sich ergehen lassen muss, der sie oder er nicht zugestimmt hat, dann ist das sexuelle Nötigung oder (wenn diese Handlungen einen Geschlechtsakt einschließen) Vergewaltigung. Aber gibt es denn ganze Kulturen, die dem nicht zustimmen würden? Die, mehr noch, diesen Zwang für den kulturellen Normalfall ansehen? Nun, bis 1997 war Deutschland gewiss eine solche Kultur: Vergewaltigung war bis dahin immer außerehelich definiert – eine Ehefrau war nicht nur nicht davor geschützt, gegen ihren Willen sexuelle Handlungen durch ihren Ehemann (ja, auch das war so definiert: Vergewaltiger mussten einen Penis haben) zu erdulden – im Gegenteil: Es war ihre “eheliche Pflicht”, und im Jahr 1966 hatte der Bundesgerichtshof sogar entschieden, dass sie diese mit Freuden zu erfüllen habe: “Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, daß sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen läßt.” Wie gesagt, das war eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der sozusagen unsere oberste juristische Instanz für Verhaltensnormen ist, und die immerhin 19,6 Millionen Ehefrauen (Stand 1977) betraf – erscheint einem da der Begriff “Vergewaltigungskultur” immer noch übertrieben?
Und wie ist es mit Kulturen, in denen Frauen zur Ehe – und dann natürlich zu allem, was zu einer Ehe eben gehört – gezwungen werden? Zwangsehen, die gelegentlich auch gerne als Heiratsvermittlung verbrämt werden, sind weltweit durchaus üblich und finden auch in Deutschland tausendfach statt – und in keinem dieser Fälle hat die Frau ein Selbstbestimmungs- oder Mitspracherecht.
Aber wir sind doch modernen und aufgeklärter, zwingen unsere Töchter nicht in ungewollte Ehen und verachten jegliche Gewalt zwischen Ehepartnern. Und verurteilen selbstverständlich sexuelle Gewalt zutiefst. Also müssen wir uns den Begriff der Vergewaltigungskultur ganz bestimmt nicht mehr gefallen lassen, nicht wahr?
Nun, hier komme ich wieder auf diesen Spruch über die wahre Natur einer Dame zurück (dem garantiert auch heute noch sehr viele Männer und Frauen beipflichten würden): Was sagt der eigentlich aus? Dass eine Frau, wenn sie als respektabel gelten will, nicht das Recht hat, ihre sexuellen Wünsche klar und eindeutig auszudrücken. Und diese Denkweise ist noch weit verbreitet – auch unter Frauen. Die Rolle des Mannes scheint auch weiterhin die des “Eroberers” zu sein, der den Widerstand der Frau – den sie in jedem Fall zu leisten hat, denn andernfalls wäre sie ja ein “leichtes Mädchen” – brechen muss, um ihr Herz für sich zu gewinnen. Unsere Kulturgüter – Bücher, Filme, Musik – pulsieren geradezu mit dem Mythos des (erfolgreichen) Verführers. Und junge Frauen lernen dann, ihre Reaktionen auf junge Männer irreführend zu verschlüsseln – und junge Männer lernen nicht nur, die an sich klare Signalwirkung eines “Nein” zu ignorieren; sie lernen außerdem, dass es für einen Mann dazu gehört, den Widerstand von Frauen (je mehr, je besser) zu brechen. Und auf wie entsetzlich banale und gleichzeitig unvorstellbar brutale Weise dieses “Missverständnis” dann Leben zerstören kann, ist beispielsweise in dieser Reportage des Rolling Stone nachzulesen. Und nein, das ist kein Einzelfall – leider!
Aber wenn’s dann passiert, wie reagiert dann unsere Kultur? Leider viel oft damit, dass sie dem Opfer entweder nicht glaubt, oder ihm perfider Weise unterstellt, selbst Schuld zu sein – warum hat sie denn nicht “nein” gesagt? (Antwort: siehe oben.) Frauen, die sich gegen Anmache und Übergriffe wehren, müssen oft nicht nur mit dem Unverständnis der Männer umgehen, sondern auch mit dem hämischen Gegenwind, den ihnen ihre Geschlechtsgenossinnen ins Gesicht blasen: Hab’ dich nicht so, eine starke Frau hält das aus! Vielleicht – aber warum sollte sie das müssen?
Also nochmal: Die Nichtanerkennung der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen ist auch heute noch Teil unserer Kultur. Und darum ist es manchmal nötig, den im Titel genannten “Kampfbegriff” zu verwenden. Weil es den Kampf immer noch gibt…
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