“Nicht immer, aber immer öfter”, wäre wohl die Antwort auf diese – keineswegs rein rhetorische – Frage, die sich nach der Lektüre des Artikels Die Wissenschaft bekämpft den Betrug und fördert den Bluff von Urs Hafner in der Neuen Zürcher Zeitung anbietet. Hafner beschreibt darin die Mechanismen, mit denen Wissenschaftler und Wissenschaften versuchen, dem akademischen Betrug – sei es das plumpe Plagiat (das in einer praktisch alles entdeckbar machenden Internet-Welt eigentlich nur noch mit Dummheit oder grenzenloser Arroganz zu erklären ist) oder der weitaus gefährliche Datenbetrug – entgegen zu treten.
Doch wie der Titel schon ankündigt, geht es in dem Text auch um den wissenschaftlichen Bluff. Als solchen bezeichnet Hafner eine Forschungsarbeit, die “so inhaltsleer und realitätsfern” sei, dass es gar keine Rolle mehr spiele, “ob sie gefälscht ist oder nicht oder ob der p-Wert erreicht worden ist”. Bei solcher Forschung komme es “auf gar nichts mehr an.”
Was meint er damit? Da muss man raten, aber die Beispiele, die er zitiert, machen ziemlich klar, welche Forschung er meint:
“Je umsichtiger der Raucher seinen Rauchstopp plant, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser gelingt. Oder: Rosenduft steigert die Gedächtnisleistung. Oder: Curry erhöht die kognitive Leistung des Gehirns bei älteren Menschen. Oder: Eltern von Töchtern haben ein höheres Scheidungsrisiko als Eltern von Söhnen.”
Erst mal die Links zu den wissenschaftlichen Arbeiten. Bei der Raucherstudie muss ich zwar spekulieren, worauf sich dieser Satz bezieht, aber das hier würde sicher ganz gut passen: The process of smoking cessation: An analysis of precontemplation, contemplation, and preparation stages of change. An die Curry-Story erinnere ich mich selbst noch ganz gut: Curcumin attenuates hematoma size and neurological injury following intracerebral hemmorrhage in mice. Die erinnernde Kraft des Rosendufts wurde hier in Science beschrieben: Odor Cues During Slow-Wave Sleep Prompt Declarative Memory Consolidation. Und dem Zusammenhang zwischen dem Geschlecht des Nachwuchses und dem Risiko, dass Ehen scheitern, wurde hier nachgegangen: Do Daughters Really Cause Divorce? Stress, Pregnancy, and Family Composition.
Zur Freiheit der Wissenschaft gehört sicher auch, Blödsinn als Blödsinn bezeichnen zu dürfen. Und wie die jährlichen ignobel-Preisverleihungen zeigen, wird im Wissenschaftsbetrieb auch eine ganze Menge solchen Blödsinns produziert. Da wäre ich sicher einer der Letzten, der dieser Feststellung widersprechen würde… Aber hat Hafner Recht, wenn er daraus – wie bereits zitiert – folgert:
“Diese Forschung ist so inhaltsleer und realitätsfern, dass es gar nicht darauf ankommt, ob sie gefälscht ist oder nicht oder ob der p-Wert erreicht worden ist oder nicht. Es kommt in dieser Forschung auf gar nichts mehr an.”
So einfach ist das? Sind die oben zitierten Arbeiten wirklich “inhaltsleer und realitätsfern”? Wissenschaft besteht halt nicht nur aus bahnbrechenden Entdeckungen und großen Durchbrüchen; vor allem junge Forscher – denen (noch?) nicht die Forschungsgelder nachgeworfen werden – müssen sich oft erst einmal eine Nische schaffen, sich im Betrieb bewähren, kurz: klein anfangen. Und selbst wenn sie große Ambitionen haben, nach Projekten streben, die mal die Welt verändern werden, muss manchmal doch was publiziert werden. Und da kann’s schon mal sein, dass junge Forscher, die den Himmel erobern wollen, erst mal mit einem Brummton in ihrer Teleskopantenne kämpfen müssen und dafür sogar den Taubendreck wegputzen – dass dies dann doch zu einem Nobelpreis führte, ist eine ganz andere, aber dafür umso bekanntere Geschichte.
Kurz: Wissenschaft besteht sehr oft aus kleiner Dreckarbeit. Das sehe ich ja beinahe täglich: Wenn angehende Chemieingenieurinnen und -Ingenieure Monate damit verbringen, Titandioxid-Paste auf Glasträger zu schmieren und dann zu messen, welche Wärmeleitfähigkeit diese Kruste hat (die nicht zufällig an eingetrocknete Zahnpasta erinnert), dann klingt das auch ers mal lächerlich – doch es ist ein kleiner Schritt – oder, wenn sie Pech haben, ein Verstolperer, aber auch das gehört zur Wissenschaft – auf dem Weg zu leistungsfähigeren Dünnschichtsolarzellen. Oder dass sie ein ganzes Semester damit verbringen, eine Art Hirsebrei mit dem geringsten Energieeinsatz so homogen wie möglich zu mixen, kann in ein paar Jahren drin gipfeln, nachhaltigere Bioenergiequellen verfügbar zu machen. Nicht alles, was scheinbar lächerlich klingt, ist auch kategorisch nutzlos.
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