Nein, auf die Idee, die Worte “Krebs” und “Glück” in einem Satz (in diesem Fall: der Überschrift zu diesem Beitrag) zu verwenden, wäre ich von alleine nicht gekommen. Den Anlass dafür hat ein Paper geliefert, das vor zwei Wochen im US-Wissenschaftsmagazin Science erschienen war und von einem redaktionellen Beitrag begleitet wurde. Das Wort “Glück” – genauer, sein semantisches Pendant “bad luck” (was wir im Deutschen mit “Pech” übersetzen würden), tauchte gleich in der Überschrift des Begleitartikels von Jennifer Couzin-Frankel auf: “The bad luck of cancer”. Diese Wortwahl ist direkt dem Paper von Bert Vogelstein und Cristian Tomasetti (beide arbeiten an der Johns Hopkins University in Baltimore) entlehnt, das zwar den vergleichsweise unemotionalen Titel “Variation in cancer risk among tissues can be explained by the number of stem cell divisions” trägt, aber bereits im Abstract die Risiken bestimmter Krebsrisiken dem schicksalhaften Pech, dem “bad luck”, zuschreibt. Und das hat, nicht ganz überraschend, einen Shitstorm entfacht, der letztlich dazu führte, dass die Science-Autorin für die aktuelle Ausgabe noch mal einen Rechtfertigungsbeitrag geschrieben hat: Backlash greets ‘bad luck’ cancer study and coverage.
Worum es in dem Paper geht und wie die Kontroverse abgelaufen ist, wird hier bei Science-Based Medicine ganz gut und sachlich beschrieben. Ich will mich hier darauf beschränken, ein paar Kommunikationsaspekte zu diskutieren. Denn dass es in erster Linie ein Kommunikationsproblem war, darüber scheinen sich alle ziemlich einig zu sein.
Fangen wir beim grundlegendsten aller Kommunikationsprobleme an: der Wortwahl. Und dazu kann ich nur sagen (und so sage ich es auch meinen StudentInnen am MIT immer: In einem wissenschaftlichen Paper haben Anspielungen auf “Glück” oder “Schicksal” grundsätzlich erst mal nichts verloren (es sei denn, es geht darum, diese Phänomene sozial- oder sonstwie psychologisch zu analysieren). Bei “luckily” oder “fortunately”, auch wenn sie nur leicht dahin geschrieben sind und oft “nur” dazu herangezogen werden, so etwas wie eine vermiedene Laborpanne oder eine unerwartete Hilfestellung, gehen alle meine Warnsignale hoch.
Was mich an “Glück” und “Pech” hier stört, ist ihre emotionale Komponente: Viele Dinge passieren zufällig; doch bestimmend für Glück und Unglück sind nicht die auslösenden Zufälligkeiten, sondern ihre emotionale Bewertung durch uns. Nicht der Zufall macht Glück oder Pech aus, sondern der Umstand, dass uns die Resultate dieses Zufalls mal besser und mal weniger gefallen. Das hat aber mit der Zufälligkeit des Ergebnisses genau nichts zu tun. Allein durch die Wortwahl wurde das Thema also emotionalisiert und sogar polarisiert (weil manche dann eben “Glück” und andere konsequenter Weise “Pech” haben müssen).
Soweit ist die Sache ja noch recht unkompliziert: Wenn sich die beiden Johns-Hopkins-Autoren den Begriff “bad luck” verkniffen hätten, wäre der Shitstorm vielleicht völlig ausgeblieben. Aber die Kacke flog ja nicht nur den Verfassern der Studie um die Ohren, sondern auch der Science-Autorin Jennifer Couzin-Frankel: “Schlechten Journalismus” wirft ihr beispielsweise eine Kolumne im Guardian vor, die auch gleich pauschal allen JournalistInnen rät, sich “erst mal schlau zu machen”, ehe sie über Wissenschaft schreiben. Abgesehen davon, dass damit der Autorin unterstellt wird, sie habe ihre Sorgfaltspflicht nicht erfüllt (wofür es, wenn ich den Artikel selbst und die Analyse bei Science-Based Science dazu anschaue, keine Hinweise gibt), fordert dies auch eine ganz bestimmte Rolle des Journalismus, nämlich die des Schiedsrichters – und das ist eine Rolle, über die man diskutieren kann, aber die keineswegs eine “naturgemäß” vorgegebene Aufgabe des Journalismus ist. Primär sind Journalisten dazu da, zu berichten – idealer Weise, zumindest im klassischen Journalismus, tun sie das neutral und vor allem korrekt.
Ich werfe jetzt nur mal das Hetzwort “Lügenpresse” und die damit impplizierten Unterstellungen in die Runde, um zu zeigen, dass sich an dieser Grundaufgabe schon die Geister scheiden. Aber im Wissenschaftsjournalismus lässt sich das Dilemma ziemlich klar aufzeigen: Heißt “korrekt berichten”, dass Journalisten sich genau an das halten, was ihnen die Wissenschaft vorgibt? Oder sollen sie “korrekt berichten” in dem Sinn, dass sie mögliche Fehler und Ungeschicklichkeiten korrigieren? In diesem Fall also entweder “Pech” schreiben, wo die Wissenschaft “Pech” sagt, oder einen korrekteren Begriff als den heranziehn, den die Wissenschaftler bemüht haben? Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es hier keine klar zu definierenden Regeln gibt und beides als “korrekter” Journalismus zu rechtfertigen ist…
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