3. Wiegt die Verkehrsteilnehmer in falscher Sicherheit
Das ist vergleichbar dem Argument, das ja auch bei Radhelmen vorgebracht wurde: Durch das Helmtragen würde die Risikowahrnehmung der Verkehrsteilnehmer gesenkt. Dies stützt sich primär auf eine britische Studie aus dem Jahr 2007: Drivers overtaking bicyclists: objective data on the effects of riding position, helmet use, vehicle type and apparent gender, in der Ian Walker zu dem Ergebnis kam, dass Autofahrer einen helmtragenden Radler mit einem im Schnitt um 8,5 Zentimeter geringeren Seitenabstand überholen als einen unbehelmten Radler (Radlerinnen, wenn sie als solche erkennbar sind, bekommen laut dieser Studie sogar einen größeren Sicherheitsabstand gewährt). Ein Problem mit dieser Studie ist, dass diese 8,5 Zentimeter angesichts eines Mindest-Überholabstands von etwa 1,20 Metern – ob mit oder ohne Helm – nicht wirklich sicherheitsrelevant wäre; ein viel größeres Problem mit dieser Studie ist, dass ihre Daten den Zusammenhang zwischen Helmtragen und Überholabstand überhaupt nicht belegen können.
Eine Studie, die in diesem Beitrag über die Überschätzung des Sicherheitseffekts von Warnwesten zitiert wird, kam zwar zu dem Resultat, dass diese Westen “nur” in 70 Prozent der Fälle die Sichtbarkeit der RadfahrerInnen für AutofahrerInnen erhöhen – aber diese Studie belegt damit nicht etwa die Unwirksamkeit der Westen, sondern weist nur darauf hin, dass durch zusätzliche Reflektoren, die nicht nur die Position der Radler markieren, sondern auch ihre Bewegungen (zum Beispiel das Drehen des Kopfes als Andeutung eines bevorstehenden Abbiegemanövers) vermitteln können, der Sicherheitseffekt noch erhöht werden könnte.
Aber gab es da nicht mal eine Studie, die belegte, dass Helmtragen das Sicherheitsemfpinden der RadfahrerInnen verändert? In der Tat, diese beispielsweise – aber die sagt nur aus, dass Radfahrer, die ans Helmtragen gewöhnt sind, sich ohne Helm unsicherer fühlen, während bei sonst nicht-helmtragenden RadlerInnen kein signifikanter Unterschied in der Risikowahrnehmung mit oder ohne den harten Hut zu beobachten ist.
4. Warum müssen dann nicht beispielsweise auch Fußgänger oder Autofahrer Helme und Schutzwesten tragen?
Auch das Argument kommt immer wieder: Das Risiko für Kopfverletzungen sei für Fußgänger oder Autofahrer ja genau so hoch wie für Radfahrer – warum müssen die dann keine Helme tragen? Davon abgesehen, dass dies erst mal mit brauchbaren Zahlen nachgewiesen werden müsste – so ist zum Beispiel mit dem “Fußgänger-Risiko” quasi das gesamte Unfallrisiko zu Fuß, also auch im Haushalt oder bei anderen Tätigkeiten, mit gemeint und erfasst auch Risiken, die nicht spezifisch durch das Zu-Fuß-Gehen entstehen – ist das letztlich ja eher ein Argument für den generellen Nutzen der Schutzkleidung. Dass dies nicht praktikabel wäre, ist kein Argument dagegen. Aber bei Warnwesten zieht dieses Argument schon gar nicht: Seit dem 1.7 müssen Autofahrer solche Westen mit sich führen und bei Pannen – oder anderen Situationen, die sie zwingen, sich auf oder unmittelbar an der Fahrbahn aufzuhalten – diese Westen auch tragen. Auch Straßenbauarbeiter, Rettungsdienste oder Verkehrspolizisten tragen im Einsatz reflektierende Warnkleidung. Und selbst bei FußgängerInnen und vor allem JoggerInnen, die nachts auf schlecht beleuchteten Straßen unterwegs sind, sehe ich diese Warnwesten – oder andere reflektierende Elemente auf ihrer Kleidung sehr häufig.
Doch letzten Endes geht es ja gar nicht darum, ob Helme und Westen die Sicherheit der VerkehrsteilnehmerInnen erhöhen – sondern allein um die Frage, ob dies gesetzlich vorgeschrieben werden darf. Und das ist nochmal ein ganz anders Problem: Es wird immer Menschen geben, die sich selbst gegen die sinnvollste Vorschrift wehren – weil sie sich nun mal keine Vorschriften machen lassen wollen. Die meisten wachsen mit der Pubertät aus dieser Trotzphase heraus, und sie wissen, dass es in einem Gemeinwesen immer verbindliche Regeln geben muss – auch die rote Ampel ist eine “Vorschrift”, ebenso wie die Tatsache, dass Autos funktionierende Bremsen haben müssen oder dass ein Verkäufer seine Ware spätestens nach Erhalt des Kaufpreises rausrücken muss. Nicht alles lässt sich natürlich gesetzlich regeln, und ob eine solche Vorschrift überhaupt durchsetzbar wäre, steht nochmal auf einem anderen Blatt. Aber das ändert erst mal nichts an der Nützlichkeit dessen, was sie zum Inhalt hat.
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