So, nun ist also der Arte-Bericht erschienen, der als die große Enthüllung der korrupten Ernährungswissenschaften und der mit ihr konspirierenden Medien angekündigt wurde. Wer den Bericht nicht gesehen hat, sollte sich ihn ruhig entweder auf der arte-Seite (siehe den eben geposteten Link) oder auch hier bei YouTube ansehen (wie ich es tun musste, da ich als US-Bewohner bei arte nicht reinschauen kann):
Und ich finde, dass diese Story in der Tat eine Schlappe für den Journalismus ist. Und damit meine ich nicht die windigen Blätter, die auf die angebliche Studie reingefallen sind – warum, das habe ich ja hier schon deutlich genug gesagt. Nein, der Bericht selbst ist peinlich, und zwar nach seinen eigenen Maßstäben – und man fragt sich: hat da keine Redakteurin, kein Redakteur mal Qualitätskontrolle gemacht?
Ich nenne mal ein paar Beispiele. Im Prinzip geht es ja ganz enthüllungsjournalistisch los, und dagegen ist prinzipiell erst mal nichts einzuwenden: Dass führende deutsche Mediziner und Ernährungsexperten sich an die Diätindustrie verdingen und dann gleichzeitig dafür sorgen, dass ihre Kunden in den S3-Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft empfohlen werden – das ist ein Skandal. Und wenn die Tricks, die diesen Diätstudien die jeweils gewünschten Ergebnisse garantieren sollen und die von der als Expertin hinzugezogenen Gesundheitswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser detailliert beschrieben werden, tatsächlich so weit verbreitet sind, dann ist das eigentlich sogar ein Grund, Verfahren wegen Verstoßes gegen akademische Integrität einzuleiten. Und das scheint ja eher die Regel als die Ausnahme zu sein, denn die Doku verkündet bei Minute 22:20: “Indizien für solche Tricks haben wir in jeder Diätstudie gefunden, die in den S3-Leitlinien empfohlen werden (sic!)…”
Doch anstatt diese Indizien zu beschreiben und die derart inkriminierten Studien zu entlarven (und vielleicht auch gleich die AutorInnen dieser Studien), was sicher ein respektables Stück Enthüllungsjournalismus wäre, bleibt’s bei dieser Pauschalaussage. Statt diese zu belegen, machen sich die DoukumentarfilmerInnen umgehend daran, ihre eigene verzerrte Studie zu produzieren – nach dem Motto: Wenn wir bescheißen können, dann können’s andere auch.
Ab der 23. Minute wird’s dann schon bedenklich: Hier werden die ProbandInnen im Bild gezeigt, die ganz offensichtlich verarscht werden (tut mir leid, da fällt mir kein besseres Wort ein) und, nach allen Maßstäben unserer Gesellschaft, sogar bewusst betrogen werden – denn sie werden für ein ganz anderes “Experiment” eingespannt als das, für das sie ihr Einverständnis erklärt haben. An keiner Stelle wird später erklärt, ob diese Testpersonen nachher aufgeklärt wurden und – was zumindest ein bisschen die Ehre des Journalismus hier retten könnte – darüber informiert wurden, wie sie vor den falschen Karren gespannt wurden. Das tut sogar jede billige Sendung mit “versteckter Kamera”…
Doch es geht weiter: In der 35. Minute erklären die DokumentarfilmerInnen ganz stolz, dass sie sich, zusätzlich zu den Manipulationen aus Dr. Mühlhausers Kiste, noch einen weiteren Trick ganz alleine ausgedacht hatten: Sie ließen die Testpersonen in der Vergleichsgruppe vor dem Wiegen ein Glas Wasser (sieht etwa nach einem 0,4-Liter-Glas aus) trinken, damit sie entsprechend schwerer werden. Das ist nichts anderes, als wenn sie beim Wiegen den Fuß auf die Waage gestellt oder die Waage selbst manipuliert hätten, doch dieser Trick wurde in dem “Paper” (das leider nicht mehr online verfügbar ist) jedenfalls nicht klar offengelegt. Das wäre, wenn wir von einer betrügerischen Absicht ausgehen, ja auch egal, denn danach beschreibt die Doku erst mal, wie sie an der Datenauswertung gedreht hatten, also bestimmte Werte ausgefiltert hatten etc., um die gewünschten Resultate zu erzeugen. Das wäre ja alles noch im Rahmen der geplanten Täuschung, doch warum behaupten die Doku-AutorInnen dann in Minute 42:30, dass sie ihre Publikation geschrieben hätten, “ohne die Zahlen zu fälschen”?
Verzerrend ist auch, dass sie zwar – so etwa ab der 40. Minute – erst mal darüber berichten, wie der peer-review-Prozess funktioniert, um dann (auf Empfehlung des als “Mitverschwörer” gewonnenen John Bohannon) ihre Studie gar nicht erst an ein echtes peer-review-Journal zu schicken, sondern sie gleich an 30 (!) käufliche und die peer-review umgehende Open-Access-Publikationen zu schicken. Dass es diese “schwarzen Schafe” gibt, hatte Bohannon ja schon im Herbst 2013 dokumentiert; dass diese hier in einen Topf mit “echten” Journalen geworfen werden, ist zumindest unlauter. Und wenn dann eines (!) der “Journale” anbeißt, wird es prompt zum “angeblich renommierten Magazin” erklärt – doch wer den International Archives of Medicine dieses Renommee bescheinigt hat, wird nicht verraten.
Kurz nach der 47. Minute erfahren wir dann, dass eine aufwändig vorbereitete Pressemitteilung an “hunderte Journalisten in ganz Deutschland” geschickt wurde. Doch das waren nicht etwa WissenschaftsjournalistInnen, wie man bereits drei Minuten voher hören konnte – Zielgruppe waren “Beauty-Journalisten”, und wer immer damit gemeint sein könnte, ist vermutlich eher auf Schönheitstipps und Kosmetika spezialisiert. WissenschaftsredakteurInnen würde ich im Beauty-Ressort allerdings nicht unbedingt erwarten… Doch selbst dort ist man offenbar nicht so blöd gewesen: Hunderte erhielten die Nachricht, doch letztlich fielen offenbar nur fünf darauf rein: BILD, Cosmospolitan, RTL, Brigitte und FOCUS Online, hier fälschlich – Redaktion und Eigentümerstruktur sind völlig verschieden, nur die Marke ist ähnlich – als FOCUS präsentiert. (Warum das nicht unbedingt überraschend ist, hatte ich hier auch schon erklärt). Wie sich dies zur Aussage “BILD legt vor, und alle folgen” verdichten lässt, ist mit den Methoden des ordentlichen Journalismus leider nicht zu erklären…
Die gleiche Hyperbel kommt, wenn um 49:50 verkündet wird, dass auch in den USA “niemand” der Schokoladenmeldung widerstehen konnte – doch zu sehen gibt’s dann nur einen erkennbar noch nicht mal im Ton seriös gemeinten Clip einer lokalen Fernsehstation in Dallas und einen YouTube-Kanal. Ehrlich? Das genügt als Beleg für die Aussage, “niemand” hätte dieser Meldung widerstehen können? Und dann beschweren sich die Doku-MacherInnen noch, dass niemand von den Hunderten Journalisten, die sie reinlegen wollten, bei ihnen angerufen hatte, um ihrer Story nachzurecherchieren – auf die Idee, dass die den Schrott gleich in die Tonne getreten hatten, scheinen sie nicht zu kommen. Und für die Behauptung, das “-zig Millionen Menschen” von ihrer “Studie” gehört hätten, bleiben sie auch jeden Beweis schuldig: Nicht jeder Artikel, der irgendwo in Print oder Online erscheint, wird auch von allen Konsumenten der jeweiligen Medien gelesen/gesehen. Die im Bericht gezeigte Lokalausgabe Frankfurt der BILD hat beispielsweise, nach Verlagsangaben, am Samstag gerade mal eine verkaufte Auflage von weniger als 92.000 Exemplaren, und wer mit der Zeitung vertraut ist weiß, dass die Geschichten “unter dem Bruch” von Lokalausgabe zu Lokalausgabe sehr verschieden sein können. (Womit ich nicht sage, dass dies so war – aber eine Nachfrage bei der Redaktion, oder eine etwas breitere Recherche, hätten diese Frage sicher klären können.)
Mir ging es hier nur um die journalistischen Aspekte dieser Dokumentation; um die forschungsethischen Aspekte hat sich Lars Fischer einige lesenswerte Gedanken gemacht. Sicher ist: Guter Journalismus geht anders. Und wer vorhat, mit Steinen zu schmeißen, sollte sich kein Glashaus aufbauen.
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