Ja, dies ist eine Fortsetzung der Überlegungen zum Thema Leistungsbewertung, die ich hier in einem eher subjektiven “Rant” angestoßen habe und die von Martin bei Hier wohnen Drachen dankenswerter Weise auf wesentlich stabilere Beine (was ja offenbar auch sonst eine seiner akademische Spezialtäten ist) gestellt wurden. Martin und ich spielen uns ja manchmal eher harte Schmetterbälle zu, aber hier ist es, hoffe ich, eher ein freundliches Federballspiel. Denn ich finde seine Analogie zwischen der Aktienbörse und der Art, wie schulische Leistungen bewertet werden, vor allem deshalb interessant, weil sie tatsächlich auf vergleichbare Mechanismen hinweist, die – in beiden Fällen, wie ich finde – zu wenig wünschenswerten Resultaten führen.
Fangen wir mit dem Aktienmarkt an, dann wird leichter erkennbar, worauf ich raus will. (Ich werde hier sehr vereinfacht und vor allem aus meiner Erinnerung und Beobachtung schreiben; wer wirtschaftswissenschaftliche Literaturhinweise erwartet, muss such auf eine Enttäuschung gefasst machen.) Als ich Mitte der Achtziger Jahre meine berufliche Laufbahn als Wirtschaftsjournalist begann, waren Bilanzkonferenzen großer Konzerne noch sehr stark von einem Wort geprägt: “Dividende”, oder synonym auch die “Ausschüttung”. Wer Aktien kaufte, erwartete eine Rendite, in der Form von Gewinnbeteiligung – und die Höhe der Ausschüttung war oft das hitzigste und strittigste Thema der Aktonärsversammlungen. Aktien, die viel Rendite brachten, waren auch begehrt und damit viel Wert – aber gleichzeitig bestand ein großes Interesse auf Seiten der Inhaber, zu denen Gründer und Aktionäre natürlich gleichermaßen zählten, den Pool derer, die bei dieser Aufteilung der Profite etwas abkriegen, ziemlich klein zu halten. Denn dann gab’s mehr Geld für jeden.
Doch der Paradigmenwandel hatte damals schon begonnen: Investoren, die nur an Gewinnen und Dividenden interessiert waren, wurden als Couponschneider geschmäht; sie schienen der langfristigen Entwicklung der Unternehmen eher zu schaden, da sie nicht daran interessiert waren, erwirtschaftetes Geld wieder zurück in die Firma zu stecken, sondern nur Gewinne abschöpfen wollten. Als Lösung wurde das Konzept des “Shareholder Value” populär – nicht mehr die Dividende (und damit das Potenzial des Unternehmens, unmittelbar Gewinne zu generieren) sollte den Investoren Lust machen, ihr Geld in ein bestimmtes Unternehmen zu stecken, sondern die Erwartung, dass das Unternehmen florieren und damit als Investition auch langfristig attraktiv sein würde – was die Nachfrage nach den Aktien steigern und damit deren Kurswert steigern würde. Das “langfristig” war vor allem in den USA ein Trugschluss, da hier Geschäftsberichte im vierteljährlichen Rhythmus vorgelegt werden müssen und Kurse sowieso täglich wie in einer Fieberkurve erfasst werden. Aber das ist eine andere Geschichte… (und wer nun ungeduldig nach dem Bezug zum Bildungssystem fragt – ich bitte noch um einen Moment Geduld.)
In den 90-er Jahren kam es schließlich zu einer Verkoppelung diesees Shareholder Value – in dem nicht mehr die Bilanzzahlen, sondern primär die Aktienkurse als Wertmaßstab für die Leistung eines Unternehmens angesehen wurden – mit der New Economy, also der sowieso schon länger sich abzeichnenden Verschiebung von den so genannten produzierenden Sektoren (Landwirtschaft, Handwerk und Industrie) zu den eher “immateriellen” Dienstleistungen, zu denen ja auch der Handel zählt. Das war keineswegs trivial, da Dienstleistungen ja nicht auf Vorrat produziert werden können, also immer nur dann entstehen, wenn sie nachgefragt werden. Doch durch das Internet und die daraus resultierende Netzökonomie konnten Dienstleister plötzlich – theoretisch jedenfalls – Publikumsmassen erreichen, die scheinbar grenzenlos (auch im wörtlichen Sinn) waren. Und das, ohne aufwändig in Anlagen und Infrastruktur investieren zu müssen – eine clevere Idee und eine Internetadresse, mehr brauchte es oft nicht, um Interessenten in grenzenloses Entzücken zu versetzen. Und auch die Investmentbranche kam schnell auf den Geschmack – der Börsengang, im US-Jargon IPO (Initial Public Offering) wurde zum erklärten Firmenziel eines jeden Startups.
Und hier kommt nun jener Paradigmenwandel, den wir – in einer durchaus plausiblen Analogie – auch im Bildungswesen erleben: Das Firmenziel war nicht mehr davon bestimmt, ein attraktives Produkt oder eine attraktive Dienstleistung anzubieten; diese “Werte” waren nur das Vehikel, einen IPO zu generieren – das “Produkt” war ein Wertpapier, eine Aktie, ein Anteilsschein (man möge sich das passende Vokabular hier selbst aussuchen), das zu einem möglichst hohen Preis verkauft werden kann. Und da die Menge dieser “Anteile” (die Anführungszeichen erklären sich gleich selbst) sich nicht mehr danach richten mussten, was tatsächlich an Sach- und Anlagevermögen vorhanden war, sondern allein davon bestimmt wurde, was man an Aktin in dem vorhandenen Wertpapiermarkt unterbringen könnte, wurde die Aktie selbst zum Produkt. Und so konnte es beispielsweise passieren, dass eine Internetsuchfirma wie Lycos.com oder ein nur marginal profitabler Online-Service wie AOL plötzlich zu Kapitalgiganten wurden, die (wie im Fall AOL und dem Konzern Time Warner) selbst die größten Giganten der “alten” Branche auffressen konnten. Wie das ausging, wissen wir ja inzwischen…
Kommentare (5)