Dass ich diesen amerikanischen Vorwahlkampf, vor allem die Clownparade der Republikaner, so gelassen ertragen kann, überrascht mich eigentlich selbst. Es ist noch gar nicht so lange her, da hätten mir die dumpfbackigen bis ekelhaften Populismen a la Donald Trump – habt Ihr sicher auch genug davon in Euren Medien gehört und gelesen, da muss ich jetzt hoffentlich nichts verlinken – den Blutdruck in adernschwellende Höhen getrieben. Doch so ganz ignorieren will ich diese Surrealpolitik, mit der wir (= Menschen, die in den USA leben und noch nicht aufgehört haben, die Nachrichten zu verfolgen) täglich gepeinigt werden, dann doch nicht. Die folgende “Parabel”, die am Mittwoch auf der Titelseite der New York Times zu lesen war, beschreibt eigentlich ganz treffend, wie Trump sich seine eigene Realität schafft: In Renovation of a Golf Club, Trump Also Dressed Up History. Eine kurze Zusammenfassung:
Der Immobilienunternehmer und aktuell mal wieder für die US-Präsidentschaft vorwahlkandidierende Donald Trump hatte vor sechs Jahren für 13 Millionen Dollar einen Golfplatz am Ufer des Potomac übernommen, ein paar Kilometer flussaufwärts von der US-Hauptspadt Washington. Auf dem Platz, den er natürlich nach sich selbst benannte, ließ er an einer ufernahen Stelle ein Denkmal errichten, das die folgende Inschrift trägt:
“The River of Blood”
Many great American Soldiers, both of the North and South, died at this spot, “The Rapids”, on the Potomac River. The casualties were so great that the water would turn red and thus became known as the “River of Blood”.
It is my great honor to have preserved this important section of the Potomac River.
Donald John Trump
Übersetzung: “Der blutige Fluss – Viele großartige amerikanische Soldaten, sowohl der Nord- als auch der Südstaaten, starben an dieser Stelle, den Stromschnellen des Potomac. Die Todesopfer waren so zahlreich, dass sich das Wasser rot färbte und dadurch als der “blutige Fluss” bekannt wurde. Es ist mir eine große Ehre, diesen wichtigen Abschnitt des Potomac bewahrt zu haben. Donald John Trump.”
Klingt nobel. Und was ist nun das Problem? Na, zum Beispiel, dass diese “Blutfluss”-Historie nicht wahr ist. Die New York Times hat sich unter den Historikern, die sich mit diesem Teil des Landes und der US-Geschichte auskennen, mal umgehört – und die einstimmige Antwort ist: gab’s nicht, ist nie passiert. Es gab zwar kriegerische Handlungen (die gab’s praktisch überall an der Grenze zwischen Maryland und Virginia, also der Grenze zwischen Nordstaaten und Südstaaten), ein dramatisches Bürgerkriegsereignis ist sogar historisch verbürgt: Ein kurzes Stück flussabwärts vom Golfplatz füllt sich das Flussbett mit Stromschnellen und Inselchen; dieser Abschnitt wurde damals Rowser’s Furt genannt, und hier hatte der Südstaatengeneral James “Jeb” Stuart mit 5000 Soldaten in der Nacht vom 27. zum 28. Juni den Fluss auf dem Weg nach Gettysburg überquert – allerdings ist, den historischen Dokumenten zu Folge, dabei niemand ums Leben gekommen. Ein zweiter Zwischenfall ist offenbar weniger präzise verbürgt, sondern nur durch überlieferten Augenzeugenbericht dreier Sklaven belegt, wonach vier Unionssoldaten in der Gegend des heutigen Golfplatzes von Zivilisten überfallen und zwei von ihnen getötet wurden; doch angeblich seien die Leichen den Schweinen zum Fraß vorgeworfen worden – was dagegen spricht, dass ihr Blut jemals den Fluss erreicht hatte.
Also kein Blutbad, kein blutroter Potomac. Doch die Geschichte, die ich erzählen will, endet nicht hier, sondern sie fängt erst an. Mit diesen Tatsachen konfrontiert, erklärte Trump erst, dass er mit “zahlreichen” Historikern gesprochen habe, die ihm die Blutfluss-Geschichte bestätigt hatten. Doch an deren Namen könne er sich nicht mehr erinnern; im weiteren Verlauf des Gesprächs mit der New York Times stellt sich dann heraus, dass nicht er, sondern jemand aus seiner Firma die Sache recherchiert hatte – aber wer das war, und ob diese Person(en) vielleicht weiterhelfen könne, war ihm auch entfallen.
Mit den Aussagen der Historiker zum Gegenteil konfrontiert, meint er nur: “Woher wollen die das wissen? Waren die dabei?” Clever, gell? Doch letztlich spiele es gar keine Rolle, was Historiker wissen oder nicht, denn er wisse einfach, dass es damals Massaker am Potomac gegeben haben müsse: “Dies ist eine erstklassige Stelle, um den Fluss zu überqueren, und wenn Leute hier den Fluss überqueren und man ist gerade im Bürgerkrieg, dann würde ich mal sagen, dass da Leute erschossen wurden – viele Leute.” Logisch, wenn Trump das sagt … Und das müsse man auch gar nicht weiter recherchieren, findet er: “Da muss man mit niemandem reden – das ist doch völlig egal. Viele Leute wurden hier erschossen. Das ist doch kar.”
Widdewiddewiesiemir, also. Doch das ist keine vereinzelte Anekdote. Von vergewaltigenden Mexikanern bis hin zu terroristisch unterwanderten Flüchtlingen – Trumps Maßstab für “wahr”, für “real” ist das, was er dafür hält. Und da unterscheidet er sich nur wenig von seinen Konkurrenten Ben Carson, Ted Cruz, Marco Rubio, oder auch John Ellis “Jeb” Bush.
Realität ist natürlich so eine Sache – auch Wissenschaftler scheinen damit Probleme zu haben, zumindest scheint einem das so, wenn sie mit den Medien reden und ihnen im Prinzip erklären, dass Mond erst dann entsteht, wenn wir hinschauen. Das führt manchmal sogar zu ganz launigen, wenn auch etwas schräg anmutenden Diskussionen zwischen echten Fachleuten, ist aber im Großen und Ganzen harmlos. Der Mond ist auch da, wenn wir nicht hinschauen, war es schon vor Millionen und Milliarden Jahren, als noch gar niemand hätte zu ihm hinschauen können. Und das ist wissenschaftlich belegbar: Urzeitliche Spuren fossiler Gezeitenzonen sind praktisch überall auf der Welt zu finden, sei es in den versteinerten Lebewesen, oder in der erhaltenen Morphologie der Strände selbst. Und Gezeiten sind beispielsweise ein Indiz für die Existenz des Mondes. Auch die Evolution der Landlebewesen wird übrigens gerne mit der Existenz von Gezeitenzonen in Verbindung gebracht.
Aber ich nehme mal an, der durchs Hingucken produzierte Mond ist eine Art Insiderwitz für Quantenexperten – in jedem Fall ist’s eher harmlos (sag’ ich jetzt mal, auch wenn ich durchaus das Gegenteil argumentativ vertreten könnte). Denn die Realität, die wissenschaftlich beschrieben wird, hat den Vorteil, dass sie überprüfbar und nötigenfalls wiederholbar ist. Doch wenn sich Politiker – vor allem Politiker, die sich um die militärisch machtvollste Position der Welt bewerben – einbilden, dass sie sich ihre Realität gerade so zurechtlegen können, wie es ihnen passt, ohne dabei auch nur einen einzigen Fakt bemühen zu müssen, dann wird es gefährlich. Leute wie Putin und Erdogan führen dies gerade exemplarisch vor…
Abb.: “Republican Clown Car Parade – Trump Exta Special Edition” von DonkeyHotey via Wikimedia Commons (CC-BY-SA-2.0)
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