Das Massachusetts Institute of Technology, an dem ich als Kommunikationsdozent den Studierenden eine möglichst präzise Ausdrucksweise beizubringen versuche, hat am Donnerstag in einer Pressemitteilung die Entdeckung des bisher am weitesten von uns entfernten massiven Galaxienhaufens verkündet. Sicher eine faszinierende Entdeckung, da diese zehn Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernte Anhäufung von vermutlich Tausenden von Galaxien um ein paar Milliarden Jahre älter ist als es nach bisherigen Erkenntnissen über die Bildung solcher Galaxienhaufen für möglich gehalten wurde.
Aber das ist nicht mein Thema hier. Was mich an der Pressemitteilung fasziniert hat, war der Gebrauch der Gegenwartsform in der Beschreibung des Clusters DCS J1426.5+3508, die mir in diesem Fall zugleich völlig selbstverständlich und absolut fehl am Platz vorkommt (oder sollte ich geschrieben haben: vorgekommen war?) – denn natürlich wissen alle Beteiligten, dass der beobachtete Zustand runde zehn Milliarden Jahre alt ist; je weiter wir ins All blicken, desto weiter blicken wir in die Vergangenheit. Streng genommen hätte Michael McDonald, einer der Mitentdecker dieses Galaxienhaufens, sagen müssen, dass dieser Haufen vor zehn Milliarden Jahren wie eine unübersichtliche Baustelle war, doch statt dessen sagt er: “This cluster is sort of like a construction site — it’s messy, loud, and dirty, and there’s a lot that’s incomplete.”
Und genau so hätte ich’s vermutlich auch meinen Studentinnen und Studenten empfohlen. Denn unsere Wahrnehmung des Clusters ist – wir, oder besser: die dafür viel besser ausgerüsteten Forscherinnen und Forscher – sehen ihn jetzt, und was sie sehen, ist ein Ereignis in diesem Moment. Das Problem, dass das, war wir in der Gegenwart sehen, schon eine (wenn auch winzige) Zeitlang vergangen ist, haben wir ja immer: Licht braucht etwa (jetzt mal ganz grob, für’s Kopfrechnen) drei Nanosekunden, um einen Meter weit zu wandern. Das Fußballtor, das wir von der Tribüne eines Fußballstadions aus, sagen wir mal, hundert Metern Distanz bejubeln, ist da bereits 300 Nanosekunden alt; das Flugzeug, das in 10.000 Metern Höhe über uns fliegt, sehen wir immer nur dort, wo es vor 30 Mikrosekunden war.
Im Alltag ist das natürlich irrelevant; selbst die Hundertstel- und Tausendstelsekunden, die uns aus der Fotografie so vertraut sind, vergehen im Bruchteil eines Augenblicks und ohne, dass wir irgend eine Zeit dabei wahrnehmen. Unsere Wahrnehmung kennt vermutlich nur das Jetzt; alles andere, Vergangenheit und Zukunft, sind Prozesse unseres Bewusstseins. Das ist zwar weder überraschend noch neu, aber es ist doch manchmal ganz hilfreich, sich dieses Phänomen der Zeit – und vor allem, wie wir mit ihr intuitiv umgehen – vor Augen zu führen.
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