Es ist schon bald sieben Jahre her (kaum zu glauben, dass ich diese Blog überhaupt schon so lange betreibe), dass ich einen Beitrag mit dem Titel “Legalisiert die Homöopathie” hier veröffentlicht hatte. Und weil a) die Überschrift nicht ohne Ironie gemeint war und b) nicht jeder Lust hat, so einen alten Text noch einmal zu lesen, hier ein tl;dr: Es ging um (m)einen Vorschlag, die gesetzlichen Regelungen hinsichtlich Wirksamkeitsnachweis etc. auch auf Homöopathika anzuwenden, wenn sie bzw. ihre Hersteller eine Gleichbehandlung mit Arzneimitteln verlangen. Diesen gleichen Vorschlag macht im nun ein Artikel im New England Journal of Medicine, der allerdings als zusätzlichen Nutzen noch die historische Perspektive dafür liefert, warum homöopathische Produkte bisher mit Erfolg der Arzneimittelkontrolle entgehen konnten: Regulating Homeopathic Products — A Century of Dilute Interest. Wer keine Lust zum Lesen hat, kann sich ein Interview mit einem der Autoren, Dr. Scott Podolski von der Harvard Medical School hier anhören.
Es ist dabei nicht ohne historische Ironie, dass die Homöopathie, wie die von Samuel Hahnemann gegründet wurde, keineswegs eine Gegnerin der evidenzbasierten Medizin war, sondern im Gegenteil als eine Alternative zu einer ziemlich mittelalterlichen Sicht von “Medizin” entstanden war, die im wesentlichen aus Aderlässen und anderen “humoralen” Quacksalbereien bestand. Dagegen war Hahnemanns Ansatz, zumindest (im Selbstversuch) nach Erfahrungswerten und physikalischen Erklärungen zu suchen, durchaus modern*. Der Haken ist halt, dass diese Hahnemannschen Ideen nicht konsequent weiter gedacht wurden, sondern zum Glaubensbekenntnis erhoben und seitdem unverändert – und im krassen Widerspruch zum Wissen über Physik und Chemie – gepredigt und praktiziert wird. Interessanter Weise scheint der Name Hahnemann an sich in den USA keine unmittelbaren Abwehrreaktionen auf Seiten der Mediziner hervorzurufen – wie sonst wäre beispielsweise zu erklären, dass die Uniklinik der Drexel University in Philadelphia auch heute noch nach Samuel Hahnemann benannt ist. Und nein, das ist, soweit ich das feststellen kann, keine zweifelhafte Einrichtung, sondern eine voll akkreditierte medizinische Ausbildungsklinik, an der trotz ihrer homöopathischen Wurzeln seit Jahrzehnten nur noch “echte” Medizin ohne Hokuspokus betrieben wird (wie ich beispielsweise der Beschreibung der Brustkrebs-Therapie hier entnehme). Und Drexel ist, wenn auch keine Spitzenuni, doch eine anerkannte Forschungsstätte, deren medizinische Forschung amerikaweit auf Rang 86 liegt.
Aber ich schweife ab. Denn eigentlich geht es mir hier vor allem noch um ein mäklerisches Detail: In dem NEJM-Artikel von Podolsky tauchen mehrfach die Begriffe “homöopathic drugs” oder “homöopathic medicine” auf. Und das finde ich nun wieder nicht so gut – denn irgendwie signalisiert diese Wortwahl eine Vergleichbarkeit der homöopathischen Präparate mit medizinischen Präparaten. Dabei kann beim Lesen der Eindruck entstehen, dass das Problem mit der Homöopathie primär darin besteht, dass ihre Heilmittel es geschafft haben, sich der Kontrolle durch die Arzneimittelbehörden zu entziehen – wenn das eigentliche Problem doch darin besteht, dass Homöopathie erstens keine Heilmittel produziert und zweitens gegen alle Grundregeln des lauteren Wettbewerbs allein schon dadurch verstößt, dass in den Röhrchen und Fläschchen nicht das drin ist, was drauf steht. Mit anderen Worten: Schon die Tatsache, dass das New England Journal of Medicine homöopathische Präparate als “Medizin” bezeichnet hat, könnte – mal wieder – als ein Beweis fehlinterpretiert oder missbraucht werden, dass die Zauberei mit Zuckerkügelchen doch etwas “Medizinisches” hat…
* Dies ist keine Verteidigung oder Rechtfertigung von irgendetwas, und schon gar nicht der Homöopathie. Aber es hilft zum besseren Verständnis der Geschichte, wenn man sich klar macht, wie weit sich die Medizin in den vergangenen zwei Jahrhunderten weiterentwickelt hat und wie wenig (wenn überhaupt) im gleichen Zeitraum die Homöopathie.
Abb.: Verschiedene homöopathische Mittelchen, von Wikidudeman (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons
P.S.: Wie ich gerade sehe, hat Ulrich Berger in seinem Blog Kritisch gedacht auch das Thema Homöopathie aufgegriffen – ebenso aus aktuellem Anlass, wenn auch aus einem ganz anderen: Schirmherrschaft über Homöopathie? Eine Petition
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