Von der gefälschten Mondlandung über die Anschläge vom 11. September und den erfundenen Klimawandel bis hin zu längst vorhandenen, aber von einer bösen Pharmaindustrie unterdrückten Heilmitteln gegen Krebs – Verschwörungstheorien haben immer (noch) Hochkonjunktur. Und weil’s so schön ist, werden sie auch gerne mal auch dann erfunden/konstruiert, wenn der Anlass eher trivial, die Resultate aber dem einen oder der anderen zu peinlich sind, um für sie einzustehen.
Doch eines der eigentlich plausibelsten Argumente gegen solche theoretisch erdachten Komplotte ist, dass es praktisch unmöglich wäre, eine so große Zahl der angeblich Verschworenen (Hunderttausende Mitarbeiter der Nasa oder alle Klima- und Geowissenschaftler der Welt oder vermutlich Millionen von Menschen in der kommerziellen Pharmaforschung) auch zuverlässig zur Verschwiegenheit zu vergattern. Doch Plausibilität ist ja leider kein Kriterium in solchen Diskussionen – sonst müsste man sie ja gar nicht erst führen…
In seinem aktuellen Beitrag On the Viability of Conspiratorial Beliefs, der am heutigen Dienstag in PLoS ONE veröffentlicht wurde, hat sich der Oxford-Physiker David Robert Grimes mal die Mühe gemacht, die Lebensdauer solch populärer Verschwörungstheorien wie dem Mondlandungsschwindel, der Klimaverschwörung, der Impfverschwörung (Impfungen wirken gar nichts, sondern dienen der chemischen Kontrolle der Bevölkerung) und der unterdrückten Krebsbekämpfung im Hinblick auf die daran beteiligten Personen zu untersuchen und eine Gleichung zu entwickeln, mit der sich so eine verschworene Lebensdauer allgemein errechnen lässt (mit Lebensdauer ist hier der Zeitraum zwischen dem Beginn und der Enthüllung einer Verschwörung gemeint).
Um es gleich vorweg zu sagen: Wenn mehr als 1000 Menschen schweigen müssten, um solche massiven “Verschwörungen” unter dem Deckel zu halten, dann würde es vielleicht drei, vier oder höchstens fünf Jahre dauern, bis jemand – ein “Whistleblower” – auspackt. Und diese Zahlen sind nicht einfach aus der Luft gegriffen, sondern dank echter, entlarvter Verschwörungen hochgerechnet. Denn solche gibt es tatsächlich, und das wohl aktuellste Beispiel ist die illegale und geheime globale Lauschaktion der NSA, die der NSA-Mitarbeiter Edward Snowden platzen ließ. Andere Beispiele, auf die sich Grimes stützen kann, sind die Tuskegee-Syphilis-Experimente und die Vertuschung der fehlerhaften forensischen Arbeit vermeintlicher FBI-Experten.
Ich werde nicht alle Details aus dem Grimes-Paper hier aufdröseln, aber er macht verschiedene Annahmen darüber, wie groß die Population der “Verschworenen” sein muss und wie sie sich über die Zeit entwickelt (je weniger Leute von einer Sache wissen, desto geringer ist die Chance, dass jemand plaudert, beispielsweise), und drei Fallbeispiele sind natürlich keine besonders stabile Datenbasis für die Ermittlung allgemeingültiger Gleichungen. Aber andererseits macht Grimes extrem vorsichtige Annahmen, aber die Resultate liegen so weit von einer “Weltverschwörung” entfernt, dass man zumindest als gesichert annehmen kann, dass die genannten “Verschwörungen” nicht plausibel aufrecht zu erhalten sind:
Was die Tabelle sagt ist, dass bei mehr als 2500 Beteiligten (ich runde die Zahlen mal, der Einfachheit halber) spätestens nach fünf Jahren jemand an die breite Öffentlichkeit gehen wird. Wenn man beispielsweise berücksichtigt, dass der Weltklimarat seit 1988 existiert, dürften dort nicht mehr als 500 Personen eingeweiht sein (die Rechnung berücksichtigt ja noch nicht einmal die Tatsache, dass sowohl Klima- als auch Krebs- und Immunologieforschung auch außerhalb der etablierten Institutionen betrieben wird, was eine Vertuschung noch um ein Vielfaches schwerer machen würde). Krebsforschung wird seit Jahrzehnten betrieben, müsste also auf einen elitären Kreis von ein paar Dutzend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beschränkt sein – doch allein in den acht größten Pharmakonzernen der Welt arbeiten mehr als 700.000 Menschen… Bei solchen Zahlen würde es maximal ein paar Monate dauern, bis jemand die Verschwörung verrät.
Aber wie so oft bei Verschwörungstheorien wird auch diese Arbeit nur all jene erreichen und überzeugen können, die solchen Gespinsten sowieso keinen Glauben schenken. Echte VerschwörungstheoretikerInnen lassen sich von so etwas Banalem wie Daten, Wahrscheinlichkeiten und Plausibilitäten nicht von der “wahren” Erkennnis ablenken, die so sehr unterdrückt wird, dass allein zur angeblichen Kennedy-Verschwörung mehr derzeit mehr als 1400 Bücher allein im US-Sortiment von Amazon zu finden sind und über den Mondlandungs-Hoax mehr Material “aufgedeckt” wurde als ein einzelner Mensch Zeit und Lust hätte zu lesen. Die Ironie ist ja, dass es tatsächlich immer wieder Komplotte und meinetwegen auch “Verschwörungen” (meine Probleme mit diesem irreführenden Begriff habe ich hier mal dargelegt gibt: Die in Grimes’ Paper ausgewerteten und oben erwähnten Fälle, beispielsweise, oder Nixons Watergate-Vertuschungsversuche; auch der jüngste Trinkwasserskandal in Flint (Michigan) würde hier mit reinpassen – aber wir wissen von diesen Fällen eben genau aus dem Grund, weil sie sich auf Dauer und manchmal ohnehin nur für sehr kurze Zeit verheimlichen lassen.
Aber das wäre ja ein logisches Argument. Und das kommt in der Aluhut-Gemeinde nun mal nicht gut an, wie schon Grimes vermutet:
… proponents of such views display not only conspiratorial traits but a litany of reasoning flaws, a reliance on anecdote over data and low cognitive complexity in thinking patterns…
Auf Deutsch: Anhänger solcher Theorien neigen nicht nur selbst zu konspirativem Denken, sondern haben eine ganze “Litanei” von argumentativen Schwachstellen, verlassen sich lieber auf Anekdoten als auf Daten und denken in schlichten Argumentationsmustern. So halt:
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