Wenn man die Anhängerschaft des aktuell führenden republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten fragt, was sie an ihm bewundern, dann fällt nahezu unausweichlich der Satz: “Er spricht aus, was andere sich nicht trauen.” (Und nein, ich werde den Namen des Kandidaten nicht nennen und schon gar nicht verlinken – aus hygienischen Gründen.) In ähnlicher Form scheint diese Bewunderung auch für die Wortwahl der Anführer einer neuen politischen Strömung zu gelten, die in Deutschland offenbar den Rand des allgemeinen Anstands zu unterspülen scheint. Diese Aussage “spricht aus, was andere sich nicht zu sagen trauen”, ist aus Sicht der sie Aussprechenden natürlich erst mal leicht zu übersetzen: “… (XYZ) sagt, was ich mich bisher nicht zu sagen getraut habe.” Und impliziert ist damit: XYZ ist ein(e) Kämpfer(in) für meine Meinungsfreiheit. Und Kämpfer für Meinungsfreiheit sind doch echte Helden, nicht wahr?
Kurze und uneingeschränkte Antwort: Ja! Menschen haben für Rede- und Meinungsfreiheit (nicht das Gleiche, wie inzwischen auch auf Wikipedia nachzulesen ist) ihr Leben und noch häufiger ihre Freiheit und Unversehrtheit riskiert. Die Freiheit, eine eigene Meinung zu haben und sie auch offen aussprechen zu können, ist in den USA beispielsweise als das höchste Verfassungsrecht (First Amendment) verankert; in Deutschland wird sie durch Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert. Und Rechte, die nicht in Anspruch genommen oder freiwillig aufgegeben werden, verwelken und zerfallen schnell…
Doch das macht nicht automatisch jede Person, die ausspricht, was ihr in den Sinn kommt, zum Meinungsfreiheitskämpfer. Denn erstens ist der Gebrauch eines – von anderen erkämpften – Rechts nicht automatisch ein Kampf für das Recht selbst. Aber im konkreten Fall würde ich trotzdem darauf beharren, dass die Sprecherinnen und Sprecher das Recht besitzen (aiuch wenn sie es nicht erkämpft haben). Die Frage ist jedoch: Warum wurden diese Dinge nicht schon früher ausgesprochen?
Als erstes würde ich diese “Unterdrückung” mal anzweifeln: All das Xenophobische, das Simplistisch-Populistische, was die populären Pöbler (nein, ich nenne auch weiterhin keine Namen, setze immer noch kein Link! Man muss in den vergangenen sechs Monaten schon auf einem anderen Planeten gelebt haben, um nicht zumindest zu ahnen, von wem ich rede – aber ein Blick in die Tageszeitung genügt, um dies aufzuholen) neuerdings in Massenveranstaltungen von sich geben, hatte längst schon den Luftraum über den Stammtischen erobert, wurde als Wahrheit unter Gleichgesinnten ausgesprochen und abgenickt. Der als fehlend reklamierte Mut, dies auch im größeren Kreis zu tun, war nicht etwa durch Angst vor Verfolgung oder Konsequenzen abhanden gekommen – zumindest nicht vor ernsthaften Konsequenzen – sondern vermutlich eher dadurch, dass die derart Redenden sich sehr genau der Engstirnigkeit bewusst waren, die sie damit zur Schau trugen. Was sie an diesen politischen Hetzrednern bewundern ist, dass sie nun nicht mehr selber sagen müssen, was sie schon lange dachten, und wofür sie sich bisher vielleicht wenigstens ein bisschen schämten. Nun können sie sich einfach einer “Meinung” anschließen – es ist die “Freiheit” der MitläuferInnen.
Aber vielleicht sollten sie sich erst mal klar machen, dass nicht alles, was gesagt wird, auch wert ist, gesagt zu werden. Dass es manchmal gute Gründe gibt, eine Aussage nicht automatisch für gut zu halten, nur weil sie überhaupt gemacht wurde. Es kann doch kein Zufall sein, dass ich gerade über diesen Artikel im Journal of Neuropsychiatry and Clinical Neurosciences gestolpert bin: Pathological Joking or Witzelsucht Revisited. Und nein, “Witzelsucht” ist kein verfrühter Aprilscherz – es ist eine echte pathologische Kondition, ausgelöst durch organische Schädigungen des Frontalhirns.
Nicht, dass ich den hier auch weiterhin namentlich nicht genannten Politikerinnen und Politikern unterstelle, dass sie pathologisch beschreibbare Hirnschäden haben. Ihre Motive sind vermutlich viel simpler und vordergründiger (und hier ist ein Hinweis, was zumindest bei der deutschen Spezies dieser Populisten dahinter stecken könnte); aber es hilft, sich gelegentlich vor Augen zu führen, dass nicht alles, was aus einem Mund kommt – und egal, wie viele Kameras es einfangen – eine Meinung ist. Manchmal ist es einfach nur Müll, der raus muss. Und darum am besten auf dem Müllhaufen gelagert werden sollte.
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