Biochemie.Ich bin mir nicht sicher, wie gut dieser Begriff den Appetit anregt (ich kenne Leute, die ab hier schon entsetzt wären), aber eigentlich ist alles, was uns ernährt – das schließt natürlich unseren eigenen Stoffwechsel mit ein – hundertprozentig angewandte Biochemie. Ob beim Kochen, Backen, Brauen oder sonstigen Zubereitungen – da werden Moleküle vermischt, Gärungsprozesse angeregt, da koagulieren Eiweiße, da verkleistert Stärke, da arbeiten Enzyme und Fette und sonstige Stoffe zusammen. Allein die Beschreibung des so simpel anmutenden Vorgangs von bräunendem Toast (Stichwort: Maillard-Reaktion) kann gestandene Chemieingenieurinnen und -ingenieure ins Schwitzen bringen – und das weiß ich aus Erfahrung, denn ich hab’ mal eine Gruppe von MIT-ProfessorInnen danach gefragt.
Aber natürlich sind die Erzeugnisse dieser angewandten Biochemie durchaus lecker. Selbst wenn man da noch Substanzen mit verwenden muss, die man in den USA nur in der Putzmittelabteilung eines Haushaltswaren-Fachgeschäfts findet und in Deutschland sogar nur gegen Vorbestellung, Vorlage des Personalausweises und Ausfüllen mehrseitiger Formulare bekommt:
Denn damit die Brezeln so schön glänzend braun werden, müssen sie vorher in einer dreiprozentigen Natriumhydroxid-Lösung gebadet werden. Auch hier – wie bei praktisch allem was bäckt oder brät – geht nichts ohne die Maillard-Reaktion.
Doch Backen ist für mich nicht nur ein Frage, was womit wie reagiert – es ist auch eine Möglichkeit des Abreagierens. Für mich selbst. Wenn der Frust zu groß wird (zurzeit genügt es, wenn ich dazu eine Zeitung aufschlage oder auch nur an einem Zeitungsstand vorbei gehe), oder ich furchtbar dringend etwas zu prokrastinieren habe (einen Stapel Seminararbeiten, beispielsweise), dann kann ich mir mit Mehl, Wasser, Salz und Hefe eine perfekte Ausrede oder Ablenkung schaffen. An so ein paar hefeteigigen Baguettestangen kann man das ganz schön abarbeiten:
Oder sich die runden Bagels selbst zum Frühstück drehen:
Doch Hefe ist ja nicht das Einzige, was da so gärt (neben dem zumeist dumpfen politischen Unmut, versteht sich). Neuerdings versuche ich mich mit Sauerteig:
Nichts für zarte Gemüter, würde ich sagen – denn der ist, ganz im wörtlichen Sinn, aus der alles andere als keimfreien Luft gegriffen: Die gärende Masse war, vor längerer Zeit, mal eine ganz einfache Mischung aus Mehl und gefiltertem (!) Wasser. Doch schon nach etwas mehr als einem Tag zeigten sich kleine Bläschen, die verrieten, dass sich hier Bakterien (Milchsäurebakterien, wie ich hier nachlesen konnte) und offenbar auch irgendwelche in der Küchenluft schwebenden Hefepilze tummeln – kann sein, dass es sich dabei tatsächlich nur um die gewöhnliche Backhefe, Saccharomyces cerevisiae handelt. Aber ohne Labortest kann man da ja nicht wirklich sicher sein…
Sicher ist jedenfalls, dass dieser in seiner “gammeligen” Entstehung eher abschreckende Sauerteig, gemischt mit Roggen- und Weizenmehl, sowie etwas Wasser und Salz (mehr braucht’s dazu wirklich nicht) und natürlich dem beim Kneten notwendigen Muskelschmalz (Küchenmaschinen sind was für Weichlinge!), zu wirklich aromatischen, herzhaften Erzeugnissen führen, die jemanden wie mich, der lange nach auch nur annähernd brauch- und genießbarem Brot in seiner amerikanischen Wahlheimat suchen musste, zumindest kurzzeitig jeglichen Frust und Überdruss vergessen (und statt dessen Brot essen) lassen:
Falls sich jemand wundert: Die unterschwelligen Politfrustkommentare werden – hoffentlich – auch weiterhin zumeist unterschwellig bleiben. Zumindest was die US-Politik angeht, kann ich es sowieso nur noch mit Karl Marx halten. Genauer gesagt, mit seiner Beobachtung, dass sich “alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen” immer zweimal ereigneten – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Eine Farce ist’s ja schon – ich hoffe nur, dass sie nicht tragisch endet.
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