“Die sollen Deutsch reden!” Wie oft kann man das mit Bezug auf Einwanderer und Flüchtlinge hören, die sich in Deutschland aufhalten – und diese Phrase taucht nicht nur in den scheinbar spontanen Nachbarschaftsdialogen oder in Stammtischgesprächen auf, sondern früher oder später wird daraus auch ein politisches Postulat gestrickt. Das jüngste Beispiel für dieses politische Pochen auf die integrative Kraft der deutschen Sprache lieferte der baden-württembergische Verbraucherschutzminister Peter Hauk – gegenüber der Zeitung Mannheimer Morgen forderte er:
Wer in unserem Land lebt, sollte in der Landessprache kommunizieren. Das gilt auch für soziale Medien.
Damit bezieht er sich vor allem auf türkische Mitbewohner, die sich seiner Ansicht nach “im Internet häufig nur innerhalb der türkischen Community” bewegen – was immer das konkret auch heißen mag.
Aus meiner persönlichen Sicht ist diese Forderung nach exklusivem Gebrauch der residentiellen Landessprache durchaus faszinierend: Da ich seit gut zwei Jahrzehnten in den USA lebe und, ganz nebenbei bemerkt, diese Zeilen gerade in einem kleinen Strandhaus in Greenport, New York, schreibe, müsste ich sie, nach Hauks Logik, in Englisch schreiben. Denn natürlich schreibe ich sie für eine “deutsche Community” – ja wo kämen wir denn da hin? So kann ich mich doch nie in die US-Gesellschaft integrieren… Doch es wird noch etwas pikanter: Oft sind es genau die gleichen Leute, die sich eben noch über die nicht-deutschen Sprachgepflogenheiten von Zugezogenen entrüstet haben, die mit Entsetzen feststellen, dass ich mit meinem Sohn auf Englisch kommuniziere: “Ja, spricht der denn kein Deutsch? Das geht doch nicht, er ist doch Deutscher!”
Ist er. Und er ist Amerikaner, geboren und seit 16 Jahren aufgewachsen in den Großräumen von New York und Boston. Und nein, er spricht kein Deutsch, auch wenn er es sehr gut verstehen kann – aber es gibt für ihn keinen Anlass, Deutsch zu reden, weil er eben nicht in eine deutsche Community integriert ist: Die einzigen deutschsprachigen Menschen, die er tagein, tagaus trifft, sind seine beiden Eltern, und von denen weiß er, dass sie auch genauso gut Englisch sprechen. Aber er ging schon immer auf amerikanische Schulen, ist in amerikanischen Sportvereinen, hat amerikanische Freunde, mit denen er dann – logischer Weise – in amerikanischem Englisch kommuniziert. Also genau das, was Hauk fordert – und doch muss ich meine Familie praktisch bei jedem Besuch in Deutschland dafür verteidigen, dass wir untereinander Englisch sprechen. Aus der Sicht dieser Deutschpatrioten ist das zwar alles das Gleiche, da sie in D nur Deutsch zu hôren erwarten – aber sie vergessen dabei, dass dieser Horizont einfach zu eng ist – entweder müssen sich Einwanderer grundsätzlich in ihren Gastländern ausschließlich der Gastland-Sprache bedienen (was bedeuten würde, dass Deutsch für Menschen wie mich tabu sein müsste), oder sie sollten das Recht, wenn nicht sogar die Pflicht haben, ihre Heimatsprache als Zeichen ihrer kulturellen Verbundenheit weiterhin zu pflegen. Beide Forderungen schließen einander aus.
Doch diese subjektive Anekdote ist nicht alles: Wie der Sprachlog schon Ende 2014 hier aufgezeigt hat, sind die Sprachkenntnisse von Zuwanderern meist schon gut bis sehr gut – nur, weil sie ihre Heimatsprache noch beherrschen und benutzen, bedeutet ja nicht, dass sie nicht des Deutschen mächtig und damit integriert sind. Nach dieser Logik dürfte sich ja auch sonst niemand in einer ihm oder ihr fremden Sprache ausdrücken. Und schon in diesem Beitrag wurde klar, dass diese Forderungen nach Sprachvorschriften letztlich nur ein perfider Trick sind – sie fordern etwas, was zumeist schon erfüllt ist, und erzeugen damit überhaupt erst den Eindruck eines großen Problems, wo gar keines ist.
Doch natürlich braucht es Zeit, Willen und Mühe, eine neue Sprache zu erlernen; das wird umso schwerer, je älter man ist. Doch die Bereitschaft, diese neue Sprache, im konkreten Fall also Deutsch, zu lernen, ist keineswegs nur eine Bringschuld der Zugewanderten: Wie das Paper Language shift among adolescent ethnic German immigrants: Predictors of increasing use of German over time, das Andrea Michel, Peter Titzmann und Rainer Silbereisen von der Friedrich-Schiller-Unversität in Jena im Oktober 2011 im International Journal of Intercultural Relations veröffentlicht haben, belegen konnte, spielt es für die Umstellung auf die “neue” Sprache eine wichtige Rolle, wie sehr sich die Zuwanderer dieser neuen Gruppe zugehörig und von ihr akzeptiert fühlen. Man könnte also, etwas überspitzt formuliert, sogar sagen, dass wenn erst mal die Integration (und die kann ja von Natur aus nur bilateral funktionieren – niemand kann sich in eine Gruppe gegen deren Widerstand integrieren) im Gang ist, der Spracherwerb geradezu automatisch nachfolgt. “Die sollen erst mal Deutsch lernen” – eine Variante der Eingangs zitierten Stammtisch-Parole – träfe demnach voll daneben: Nein, vor allem sollten sie erst mal wissen, dass sie hier Teil der Gesellschaft werden können.
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